© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/23 / 10. März 2023

Da kiekste, wa?
Berlin: Vom Kurswechsel der SPD zur CDU fühlen sich die bisherigen grün-linken Koalitionäre brüskiert
Jörg Kürschner

Ist Rot-Grün mit seiner strategischen Machtreserve Linkspartei nach den Bankrott-Sondierungen in Berlin ein Auslaufmodell? Haben machtversessene grüne Ideologen überzogen, angesichts ihrer Beteiligungen an 12 von 16 Landesregierungen und ihrer tonangebenden Rolle in der Ampel? Im Land Berlin überschüttet sich die selbsternannte „Fortschrittskoalition“ aus SPD, Grünen und Linken mit Streit und Haß. Das Tischtuch ist zerschnitten, da die SPD eine „Rückschrittskoalition“ mit dem Wahlsieger CDU anstrebt.

„Der hat mich nie verarscht“, war ein liebenswürdig gemeintes Lob des 2012 verstorbenen SPD-Fraktionschefs Peter Struck für den politischen Gegner. Wenn es stimmt, daß persönliches Vertrauen in der Politik der unverzichtbare Kitt für Koalitionen ist, überrascht das Scheitern von Rot-Grün-Rot in der Bundeshauptstadt überhaupt nicht. 

Noch zu Beginn der vergangenen Woche schien es, als ob das Dreier-Bündnis den größten Stolperstein aus dem Weg geräumt hatte. Regierungs-

chefin Franziska Giffey (SPD) sprach nach der dritten Sondierungsrunde von einem „gangbaren Weg“ beim Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“. Die SPD-Landeschefin hält wenig von dem Vorhaben, hat die heruntergekommenen Mietshäuser in Frankfurt/Oder noch in Erinnerung als sichtbares Zeichen einer eigentumsfeindlichen Politik. Eine Position, die Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Wahlkampf demonstrativ unterstützt hatte. Beim Volksentscheid im September 2021, dem Tag der Pannenwahl, hatten 59,1 Prozent für die Enteignung großer privater Wohnungsunternehmen gestimmt. 

Details nannte Giffey allerdings nicht. Doch ihr „gangbarer Weg“ führte ohne großen Umweg zum CDU-Wahlsieger Kai Wegner, der auch mit den in Berlin weit links stehenden Grünen die Chancen einer Zusammenarbeit ausgelotet hatte. Und die eher träge Hauptstadt-SPD hatte rasch ganze Arbeit geleistet, um ihren Seitenwechsel zu begründen. Einen Tag später wurde, welch ein Zufall, der fünfseitige Bericht der Sondierungskommission an den SPD-Landesvorstand bekannt. 

„Rot-Grün-Rot kein dauerhaft belastbares Projekt“

In dem nimmt Giffey, die meist betulich-harmlos daherkommende SPD-Frau mit der krankheitsbedingt hohen Stimme, kein Blatt vor dem Mund. „Rot-Grün-Rot in Berlin stellt derzeit kein gemeinsames dauerhaftes und belastbares Projekt dar“, heißt es dort. Und die Grünen: „Sie haben in nahezu allen politischen Teilbereichen erhebliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Verabredungsfähigkeit aufkommen lassen“. Es seien „Absprachen in Abrede gestellt worden“, etwa beim Wohnungs- und Schulneubau. Es gibt auch Berichte, die gleich starken Grünen (18,4 Prozent) hätten die Entscheidungsfreiheit Giffeys einschränken wollen. 

Auch die SED-Nachfolger bekommen ihr Fett weg. Die Partei stehe vor einer „Zerreißprobe“, zentrale Protagonisten arbeiteten „derzeit aktiv an einer Spaltung der Partei“. Gemeint ist der tiefe Riß zwischen Medienstar Sahra Wagenknecht und der Linken-Spitze. Mit der CDU hingegen gebe es „größere Schnittmengen“. Nach fast 22 Jahren Opposition könnte die CDU wieder den Regierenden Bürgermeister stellen.

Grüne und Linke fühlten sich ausgetrickst, reagierten empört. Grünen- Spitzenkandidatin Bettina Jarasch hatte das Rote Rathaus lange fest im Blick, jetzt droht ihr die harte Oppositionsbank. Thema Vertrauen: Die Auto-Hasserin hatte ihre Geringschätzung Giffeys deutlich werden lassen, als das Verwaltungsgericht die andauernde Teilsperrung der Friedrichstraße in Berlin-Mitte für den Autoverkehr für rechtswidrig erklärt hatte. Giffey hatte daraufhin ein vernünftiges Konzept gefordert. „Einfach zu sagen: Wir entwidmen und dann gucken wir mal, kann nicht unsere Antwort sein“. Die Grünen-Spitzenpolitikerin reagierte herablassend. „Ich bin mir nicht sicher, ob Franziska Giffey genau verstanden hat, worum es bei diesem Urteil ging“. Linken-Landeschefin Katina Schubert war wütend. „Verhandlungen mit Giffey sind – auch wenn der Deal mit der CDU scheitern sollte – eigentlich nicht mehr denkbar“. Von „erstunkenen und erlogenen Denunziationen“ war die Rede.

Klappt Schwarz-Rot, oder macht der linke SPD-Landesverband der ungeliebten Chefin einen Strich durch die Rechnung. Die Zeichen stehen auf Sturm. Nach ihrem eigenen Kreisverband Neukölln hat sich auch Steglitz-Zehlendorf positioniert. Verhandlungen mit der CDU seien ein „Schlag gegen all jene in dieser Stadt, die sich tagtäglich für eine offene, soziale und klimagerechte Stadt einsetzen“, sagte Vize-Kreischefin Franziska Drohsel, die einst der vom Verfassungsschutz wegen Linksradikalismus beobachteten „Roten Hilfe“ angehört hat. Stattdessen sollten Koalitionsverhandlungen mit Grünen und Linken aufgenommen werden. 

Nach einem Beschluß des Landesvorstands sollen die Mitglieder in einer Urabstimmung das letzte Wort haben. Die Basis, so das Kalkül, sei eher konservativ orientiert und werde sich mehrheitlich für ein Bündnis mit der Union aussprechen. Scheitert Giffey, bleibt ihr nur der Rücktritt als Regierungs- und Landeschefin. So sieht es auch die AfD-Fraktions- und Landeschefin Kristin Brinker, die sich auf Programmarbeit konzentrieren will. Als „sozialkonservative Opposition“ will sie Kontakt zu den Sozialverbänden suchen, sagte sie der JUNGEN FREIHEIT.

Die CDU beobachtet das Rumoren beim potentiellen Koalitionspartner genau, hält sich aber mit Kommentaren zurück. „Kein Öl ins Feuer gießen“, lautet die Devise. Demonstrativ einstimmig billigte der Landesvorstand Koalitionsverhandlungen mit der SPD, die an diesem Donnerstag beginnen sollen. Es wird spekuliert, Giffey werde für ihren Verzicht auf den Chefsessel im Roten Haus mit einem Super-Ressort abgefunden. Die CDU-Spitze drückt aufs Tempo, denn die Wiederholungswahl hat die Legislaturperiode nicht verlängert. Schon im Herbst 2026 wird das Abgeordnetenhaus neu gewählt. Die Zeit für Reformen in Berlin ist äußerst knapp.