Der Haß, der dem ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen entgegenschlägt, hat Symbolcharakter. Hatte dieser doch einen Rassismus gegen Deutsche kritisiert: Einzelne würden lediglich offen aussprechen, „was die treibenden politischen Kräfte im politisch-medialen Raum als Stoßrichtung haben: Eliminatorischer Rassismus gegen Weiße und der brennende Wunsch, daß Deutschland verrecken möge“, so der Jurist.
Stimmt das? Noch vor jeder Prüfung seiner Argumente schlagen Maaßen Beschimpfungen aus eben diesem Raum entgegen, die vieles über unsere Gesellschaft sagen. Denn was derzeit abgewickelt wird, ist das überkommene Rechtsverständnis der alten Bundesrepublik, für das Maaßen steht. Um diesen Umbruch in seiner ganzen Radikalität zu verstehen, müssen wir in der abenländischen Geistesgeschichte weit zurückreisen.
Es ist kein Zufall, daß in der Antike mit der Demokratie auch die Philosophie geboren wurde. Wer im alten Athen auf der Agora stand und um Unterstützung für ein Anliegen warb, mußte dafür Bedürfnisse der anderen abschätzen können. Wie die Befriedigung dieser Bedürfnisse sollte das Anliegen aussehen. Das erforderte Witz, Geschick und Erfahrung. Eigenschaften, die nicht jeder Bürger hat. So gab es bald Spezialisten, die für Geld zu mieten waren. Die sogenannten Sophisten zogen dann durch raffinierte Reden die Volksmasse auf die gewünschte Seite.
Diese Überredungskünstler waren also die ersten Volksvertreter wie auch Rechtsanwälte. Das erklärt, ihre geringe Beliebtheit. Vor allem deren frivoler Umgang mit der Wahrheit störte Platon. Heute vertrat ein Sophist diese Seite, morgen jene – je nachdem, wer ihn bezahlte. Eine objektive Erkenntnis gab es nicht. Platon beauftragte seinen Schüler Aristoteles, diesen Sophisten beizukommen.
Tatsächlich fand Aristoteles etwas ungeheuer Wichtiges. Er entdeckte, daß eine Aussage objektiv wahr sein muß, wenn sie durch vernünftiges Schließen aus Aussagen gebildet wurde, die ihrerseits wahr sind – unabhängig von ihrem Inhalt! Der Satz „Alle Menschen sind sterblich“ und der Satz „Sokrates ist ein Mensch“ führt uns unweigerlich zu dem Satz „Sokrates ist sterblich“. Was für ein Mensch Sokrates ist, ob arm, reich, häßlich oder schön, ist für den Wahrheitsgehalt der Aussage belanglos.
Ich kann auch jeden anderen Menschen einsetzen. Solange die Prämissen gültig sind, werde ich immer eine wahre Konklusion erhalten. Dies mag uns heute trivial erscheinen, tatsächlich kann aber daraus unser abendländisches Denken abgeleitet werden. Ein Denken, das eben nach objektiver Welterfassung strebt. Vieles, auch unser Rechtsstaat, birgt dieses Streben in sich.
Nehmen wir an, jemand besucht ein Café und wird von der Bedienung ignoriert. Als er den Kellner anspricht, antwortet ihm dieser, Personen mit seiner Hautfarbe würden hier nicht bedient. Zornig ergreift der Gast ein Messer und sticht den Kellner nieder. Wie ist diese Tat zu bewerten? Das objektive Recht interessiert sich nur für die Handlung; weder die Hautfarbe des Opfers noch des Täters werden bewertet.
Heute aber kommen viele je nach Hautfarbe von Täter und Opfer zu sehr unterschiedlichen Bewertungen. Ermöglicht hat das ein politisch-medialer Komplex, der objektive Sachverhalte durch subjektive „Narrative“ ersetzt: Abstraktionen, an die positive oder negative Gefühle geknüpft werden wie „Flüchtling“, „weißer Mann“, „Toleranz“, „Abschottung“ und so weiter, die als Trigger funktionieren. Der größte und stärkste Trigger ist aber „Rassismus“.
Mit „Rassismus“ kann ich jede Handlung zum Verbrechen erklären und jedes Verbrechen, das sich gegen diese Handlung richtet, zur wünschenswerten Tat. Voraussetzung ist ein Maß an Kontrolle über das Wort, das keine Objektivität zuläßt. Die Enquete-Kommission „Rassismus und Diskriminierung in Thüringen“ beispielsweise beschäftigt sich über Jahre mit „Rassismus“, widersetzte sich jedoch konsequent jedem Versuch, diesen zu definieren.
Das führte zu grotesken Szenen, wie sie der „Alternative Bericht“ der Thüringer AfD-Fraktion 2019 öffentlich machte. So behauptete ein Gutachter in einer Anhörung, „Rassismus“ sei, wenn jemand behauptet, es gäbe so etwas wie eine Gruppe schwarzer Menschen. Zugleich sagte der Gutachter aber auch, es sei „Rassismus“, wenn man „Schwarzen Menschen“ eine eigene Identität absprechen würde. Das eine ist also das gleiche wie sein Gegenteil, je nachdem ob gerade erwünscht oder nicht. Lassen wir das gelten, wäre es das Ende des abendländischen Denkens.
Übrig bleibt ein Machtkampf um „Narrative“. Wem gelingt es am besten, die Leidenschaften der Menschen zu entfesseln? Wem gelingt es, positive Gefühle auf sich zu konzentrieren? Wem, den politischen Gegner zum Verstummen zu bringen, damit er zur Projektionsfläche negativer Gefühle wird? Jede einstmals zur Objektivität strebende Institution wird zu diesem Zweck vereinnahmt.
Übrig bleiben leere Worthülsen, eine zerstörte Sprache und verwirrte Gedanken. Wenn Maaßen Rassismus gegen Deutsche beklagt, verweist er auf objektive Sachverhalte. Dazu bräuchten wir nur die Aussagen über Deutsche, die auf der Thema Seite zusammengetragen wurden, durch den Namen eines fremden Volkes zu ersetzen. Doch die neuen Sophisten lassen diese Erkenntnis nicht zu. Noch einmal die Enquete-Kommission: „Es gibt weder einen antideutschen Rassismus, noch gibt es Rassen.“ Eine andere Wahrnehmung beruhe „nicht auf Erkenntnissen oder Studien, sondern ist eine in rechten Kreisen weit verbreitete Position“.
Mit anderen Worten: Es ist den Deutschen untersagt, sich überhaupt nur als eine möglicherweise von Rassismus betroffene Gruppe zu fühlen. Was aber ist das für eine Haltung? Der „Antifaschist“ kann mit bestem Gewissen einen politischen Gegner überfallen, ihn ins Koma prügeln und der Überzeugung sein, wegen der Vorsilbe „Anti“ sei er das Gegenteil von dem, was er zu bekämpfen glaubt. Das gleiche gilt für den „Antirassisten“. Der politisch-mediale Komplex beklagt einen tiefgreifenden Rassismus der Gesellschaft. Damit hat er völlig recht. Das Problem: er ist die Krankheit, nicht die Medizin.