An den „Deutschlandrat“ – bestehend aus den mittlerweile sämtlich verstorbenen Personen Armin Mohler, Hellmut Diwald, Robert Hepp, Bernard Willms, Hans-Joachim Arndt, Wolfgang Seiffert, Franz Schönhuber, vorübergehend auch Harald Rüddenklau und Wolfgang Venohr – werden sich selbst die kaum noch erinnern, die schon in den achtziger Jahren zum einen oder anderen rechten Widerstandszusammenhang gehörten. Das hat seine guten Gründe insofern, als das Projekt im Ansatz scheiterte und niemals Wirkung entfaltete.
Wenn die Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte dem „Deutschlandrat“ in ihrer jüngsten Ausgabe trotzdem eine mehr als vierzig Druckseiten umfassende Abhandlung widmen, ist das erklärungsbedürftig. Oder auch nicht. Denn hier läuft das Ganze unter „Die Neue Rechte im letzten Jahrzehnt der Bonner Republik“, und was mit der „Neuen Rechten“ zu tun hat, gilt nach derzeit üblicher Auffassung immer als relevant, da es der Gefahrenabwehr dient. Wobei zugegeben sei, daß Moritz Fischer, der Verfasser des Beitrags, nicht allen Usancen folgt, die Historikern und Politologen empfohlen sind. Er kritisiert schon in der Einleitung die Unschärfe des Begriffs „Neue Rechte“ und die Neigung, ihn rein polemisch zu verwenden.
Was dann folgt, ist eine minutiöse Nachzeichnung der von Mohler ausgehenden Bemühungen, 1983 die wichtigsten rechtsintellektuellen Köpfe der Bundesrepublik zusammenzubringen und ihnen öffentliche Resonanz zu verschaffen. Die Chancen dafür schienen gut zu stehen, jedenfalls besser als im „Roten Jahrzehnt“, weil durch die Nachrüstungsdebatte Bewegung in die Deutsche Frage gekommen war, die Linke etwas unvorsichtig mit dem Thema Identität hantierte und die Union so viel Raum auf ihrem rechten Flügel freigegeben hatte, daß die Aussicht bestand, den mit einer neuen Partei – den Republikanern, zu deren Führung Schönhuber zählte – zu besetzen.
Daß der Deutschlandrat trotzdem nicht über ein paar interne Sitzungen und eine Art Bekanntmachung hinauskam, mit der man sich vorstellte und einen politischen Kurswechsel forderte, lag daran, daß ein Mitglied – Wolfgang Venohr – Probleme mit der Verortung als „Konservativer“ oder „Rechter“ hatte, ein anderes – Harald Rüddenklau – nicht zu integrieren war, zwei weitere – Robert Hepp und Hans-Joachim Arndt – die Tendenz zu zögerlich fanden, während ein letzterer – Bernard Willms – die Sache zu anspruchslos fand.
Man könnte die Angelegenheit deshalb unter die zahllosen Bemühungen des Lagers verbuchen, Gegensätze zu überbrücken und irgendwie aus dem Ghetto herauszufinden. Aber Fischer schlägt stattdessen vor, den „Deutschlandrat“ als Prototyp zu betrachten und als eine Art Modell für spätere Mobilisierungskonzepte. Eine Interpretation, die des Nachdenkens eher wert wäre, wenn er zwei Fragen sorgfältiger geprüft hätte: Erstens, wie deuteten Mohler, Diwald, Hepp, Arndt, Willms und Schönhuber die Verschiebung des politisch-weltanschaulichen Koordinatensystems in dem für sie biographisch relevanten Zeitraum (Seiffert kam hier aufgrund seiner ehemaligen Funktion als DDR-Funktionär eine Sonderrolle zu)? Zweitens: Warum sollten sie sich damit abfinden?
Die Protagonisten waren keineswegs randständige Figuren
Dem Text merkt man deutlich an, wie fremd Fischer der Tatsache gegenübersteht, daß die politische Debatte vor 1968 sehr offen geführt wurde und die Mitglieder des „Deutschlandrates“ in dieser Phase der Nachkriegszeit keineswegs randständige Figuren waren. Mohler hatte als Geschäftsführer der Siemens-Stiftung durchaus Einfluß auf das intellektuelle Geschehen, seine Analyse der Fünften Republik brachte Piper, seine gaullistische Programmschrift „Was die Deutschen fürchten“ samt wohlwollendem Hinweis auf David Hoggans Revisionismus erschien zuerst in hoher Auflage bei Seewald, dann als Taschenbuch bei Ullstein, die Urfassung seiner Vergangenheitsbewältigung wurde für eine offiziöse Einrichtung der Politischen Bildung geliefert.
Diwald besaß wegen seiner Arbeiten zur Frühen Neuzeit hohes akademisches Ansehen, das ZDF sendete regelmäßig die Debatten, die er mit Sebastian Haffner in der (von Venohr konzipierten) Reihe „Dokumente deutschen Daseins“ führte. Seine „Geschichte der Deutschen“ war auf Vorschlag des Propyläen-Verlags geschrieben worden und entwickelte sich – trotz der gegen den Autor entfesselten Hexenjagd – zum Bestseller. Auch an Arndts wissenschaftlicher Reputation war bis zum Erscheinen von „Die Besiegten – Versuch einer Politologie für Deutsche“ im Jahr 1978 kein Zweifel geäußert worden. Dasselbe galt für seinen Kollegen Hepp, der bei Beck publizierte und dessen Thesen zum demographischen Niedergang sogar die Welt abdruckte. Wenn man ihm Gelegenheit bot, lehrte er jeden Kontrahenten rhetorisch das Fürchten. Ähnliches galt für Willms, unzweifelhaft der beste deutsche Hobbes-Kenner, und bis in die siebziger Jahre ein streitbarer, wenngleich unorthodoxer Linker. Eine Position, der sich auch Schönhuber lange zugeordnet hat, Vorsitzender des Bayerischen Journalisten-Verbandes, stellvertretender Chefredakteur des Bayerischen Fernsehens und zuletzt noch Hauptabteilungsleiter des BR. Ergänzend sei hinzugefügt, daß der von Fischer erwähnte Witiko-Bund kein Verein der Unberührbaren war. Er hatte Mitglieder nicht nur in der Sudetendeutschen Landsmannschaft, sondern auch in CDU und CSU. Die zögerte lange, Nationalkonservative wie die dort versammelten vor den Kopf zu stoßen. Ein Sachverhalt, an den man heute in den Parteizentralen nur ungern erinnert wird, weshalb ihn die unionsnahe Geschichtsschreibung ebenso vertuscht wie etwa die Verbindung zwischen einem Mohler und einem Franz Josef Strauß.
Im Grunde ist mit diesen Bemerkungen auch die zweite Frage beantwortet. Ihre Erfahrung lehrte Mohler, Diwald, Arndt, Hepp, Willms und Schönhuber, daß die kulturellen Kräfteverhältnisse am Anfang der achtziger Jahre kein Naturzustand waren, sondern das Ergebnis einer Machtübernahme durch die Linke, mit dem Ziel, alle anderen Positionen vollständig zu zerstören oder gleichzuschalten. Wenn sie als Protagonisten des „Deutschlandrats“ glaubten, dagegen noch Widerstand leisten zu können, hatte das mit der begründeten Annahme zu tun, daß in der Bevölkerung, wenn keine schweigende Mehrheit, dann doch eine starke schweigende Minderheit existierte, die die Gesamtentwicklung ablehnte und nur darauf wartete, daß man ihr eine Stimme gab. Hinzu kam bei diesen Männern ein wohlbegründetes Selbstbewußtsein samt dem Widerwillen gegen die Art und Weise, in der der progressive Nachtrab die Lehrstühle besetzte, die Richtung der Sender bestimmte und sich in der Presse und den Lektoraten festsetzte.
Man mag die Erwartungen der Mitglieder des Deutschlandrates aus heutiger Perspektive für wirklichkeitsfern halten. Aber in den vergangenen vierzig Jahren haben sich Prozesse vollzogen, mit deren Absurdität kaum zu rechnen war. Und wenn es um Lagebeurteilungen und Prognosen geht, wird man feststellen müssen, daß diejenigen eines Mohler, eines Diwald, Arndt, Hepp, Willms oder Seiffert allemal dichter an dem waren, was gekommen ist, als die Verheißungen ihrer Gegner.