© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/23 / 03. März 2023

Der schlafwandlerische Gang in die Katastrophe
Klimapolitik: Mit Milliardenschulden und EU-Importschutz gegen die industrielle Selbstzerstörung / Mit grünem Staatssozialismus die Welt retten?
Albrecht Rothacher

Die Studie „Ökonomische Evaluation klimapolitischer Instrumente am Beispiel der Chemie-, Zement- und Stahlindustrie“ der Bertelsmann-Stiftung nimmt sich eines Alptraum-Themas an: Wie kann die deutsche Grundstoffindustrie überleben, wenn Deutschland und die EU bis 2045 „klimaneutral“ werden sollen? Zuletzt war dies vor gut 1.800 Jahren so – mit germanischen Strohhütten rechts des Limes und römischen Landgütern (Villae rusticae) links davon. Danach brach das Frühmittelalter mit Ochsengespannen und den Köhlern als Klimasündern an.

Die Bertelsmänner nahmen sich die drei Branchen vor, die angeblich für 71 Prozent der Industrieemissionen verantwortlich sind. Klar ist, die Industrie kann den „Technikwechsel“ zu wasserstoffbasierten Verfahren, wo ein Drittel der intakten Anlagen mit verschrottet werden sollen (oder nach China oder Indien verkauft werden), nicht alleine stemmen. Zudem werden die Kosten für den Emissionshandel pro Tonne CO₂-Ausstoß (EU-ETS) politisch gewollt immer mehr verteuert. So fordern die Studienautoren für die Chemie-, Zement- und Stahlbranche bis 2040 68 Milliarden als „Verpflichtigungsermächtigungen“ vulgo: Staatssubventionen, die im Rahmen von Klimaschutzverträgen (CCfD) der Industrie detailliert vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen hat. Sprich: ein grüner Staatssozialismus. Woher das Geld für den CO₂-Nullausstoß kommen soll, außer von der inflationären Druckerpresse der EZB, wenn Deutschlands industrieller Kern vom Steuerzahler zum Subventionsempfänger mutiert, darüber schweigen sich die Studienautoren aus. Der britische Spectator nennt dies „magisches Denken“: EU-Schulden auf nationale Schulden draufzusatteln sei keine Politik für geopolitische Relevanz. Es sei der Weg in den Ruin.

Der Auftakt eines Handelskriegs der EU gegen den Rest der Welt?

Ein Teil der phantastischen Milliardenausgaben soll vom geplanten CO₂-Grenzausgleich (CBAM) eingespielt werden, mit dem die EU-Industrie vor Importen aus dem Rest der Welt, der sich an die Vorgaben des rechtlich unverbindlichen Pariser Klimaabkommens nicht hält, schützen soll. Denn von Brasilien, über China, Japan, Südkorea und Indien bis zur Türkei freut man sich sehr, daß das klimahysterische Europa mit seiner Dekarbonisierung auf Öl, Gas und Kohle verzichten will: Das verbilligt Energieimporte, ihre Produktionskosten sinken. Doch die inflationstreibenden und protektionistischen CBAM-Importzölle haben den Schönheitsfehler, daß sie den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) widersprechen, weil sie legitime Importe diskriminieren, völlig intransparent berechnet werden und damit Gegenzölle provozieren. Das wäre der Auftakt eines Handelskriegs der EU gegen den Rest der Welt. Nun hat die deutsche Chemie- und Keramikbranche Exportquoten von 65 Prozent. Bei Stahl, Papier, Nichteisenmetallen und Glas sind es 35 bis 47 Prozent, von den Endprodukten gar nicht zu reden. Zu erhöhten Produktionskosten kommen Strafzölle hinzu. Dann ist Schicht im Schacht, mit EZB-Schuldscheinen ist dem nicht beizukommen.

Jener schlafwandlerische Gang in die Katastrophe ist leider keine Fiktion. Den EU-Kandidaten auf dem Balkan, die sich nicht wehren können, werden von der EU-Kommission bereits für 2026 massive CO₂-Einfuhrzölle angedroht, weil sie ihre Stromexporte in die EU mangels Alternativen in Kohlekraftwerken erzeugen. Und wie reagiert die Industrie, die ihre Fertigungen und Aktionäre schützen muß, auf den Berlin-Brüsseler Karrieretraum vom „Tellerwäscher zum Tellerwaschenden“ (Christian Ortner)? Vorhersehbar bereitet sie ihre graduelle Auswanderung vor, indem sie neue Werke in den USA, China oder Südostasien baut, Länder mit sicherer Energieversorgung, weniger Steuern und ohne CO₂-Schikanen. So findet die groß angekündigte Batteriefertigung von Tesla nicht im brandenburgischen Grünheide statt. Ford verschwindet nach hundert Jahren aus Deutschland. Bayer verlegt seine Pharmaziesparte in die USA, BASF seine größte Zehn-Milliarden-Investition nach China. Der Abgang der Aluminiumindustrie („Energie in Dosen“) ist nur noch eine Frage der Zeit. Und es erwischt schon ganze Zulieferstandorte: Das Werk im oberösterreichischen Steyr, das jahrzehntelang Motoren für die süddeutsche Automobilindustrie fertigte, steht nun vor der Schließung.

Insofern braucht die Ukraine, so sie denn wirklich nach einem Frieden noch in die EU will, ihre gefluteten Kohlegruben im Donbass und das verwüstete Stahlwerk von Mariupol nicht mehr aufzubauen, denn mit Solarpanelen und Windradparks ist auch dort der Industriestandort in der CO₂-neutralen EU nicht zu retten.


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