Der deutsche Wohlstand beruht auf vier Hauptsäulen: dem Auto, dem Maschinenbau, der Chemie und der Elektrotechnik. Daß der Fahrzeugbau wegen der Klimadiskussion in der Bredouille ist, weiß jeder. Doch durch die Energiewende, den Ukraine-Krieg und die EU-Sanktionen könnte nun eine zweite Säule wegbrechen: „Bei knapp 90 Prozent der Unternehmen sind die Betriebsabläufe durch die hohen Rohstoffpreise weiterhin schwer gestört. Fast 70 Prozent sehen die Energiepreisentwicklung als schweres oder sehr schweres Problem“, warnt der Verband der Chemischen Industrie (VCI).
„Bei den Energiekosten meldet jedes fünfte Unternehmen einen Anstieg von über 100 Prozent. 40 Prozent der Unternehmen haben bereits ihre Produktion gedrosselt oder Drosselungen geplant. 25 Prozent verlagern Produktion ins Ausland“, heißt es in der 11. VCI-Mitgliederumfrage. Jedes fünfte der 1.900 VCI-Unternehmen mußte neue Aufträge oder Kunden ablehnen. Fast jede zehnte Chemiefirma plant, Produktionsanlagen dauerhaft stillzulegen. „Bei 50 Prozent der Unternehmen führten die Drosselungen bereits zu Lieferausfällen chemischer Vorprodukte“, so der VCI. Die Umsatzerwartungen für 2023 seien „denkbar schlecht“.
Selbst der größte Chemiekonzern der Welt hat mit Problemen zu kämpfen: „Das operative Ergebnis der BASF-Gruppe wurde im Jahr 2022 durch zusätzliche Energiekosten von weltweit 3,2 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr belastet. Rund 84 Prozent dieses Anstiegs entfielen auf Europa, wovon vor allem der Verbundstandort Ludwigshafen betroffen war. Die gestiegenen Kosten für Erdgas machten 69 Prozent des gesamten Energiekostenanstiegs weltweit aus“, erklärte die Konzernführung bei der Vorstellung ihres Jahresberichts.
Der Terroranschlag auf die Ostseepipelines traf die Rohstofftochter Wintershall Dea sogar direkt: „2022 betrug das Beteiligungsergebnis minus 4,9 Milliarden Euro nach 207 Millionen Euro im Jahr 2021. Grund für den deutlichen Rückgang waren Sonderaufwendungen in Höhe von rund 6,3 Milliarden Euro.“ Es gab eine vollständige „Wertberichtigung der Beteiligung an der Nord Stream AG sowie der Finanzierung des Projekts Nord Stream 2“.
„Wir warten nicht ab und hoffen auf eine Besserung der Lage“
Zudem muß die sibirische Öl- und Gasförderung „vollständig und geordnet“ aufgegeben werden: „Es gibt kein Zurück mehr. Wir warten nicht ab und hoffen auf eine Besserung der Lage. Wir verlassen Rußland – dieses Kapitel unserer Geschichte ist abgeschlossen“, erklärte Wintershall-Chef Mario Mehren. Für die deutschen Steuerzahler gilt das nicht: Ein Teil der Verluste wird wohl durch „Investitionsschutzgarantien der Bundesrepublik Deutschland für Direktinvestitionen“ ausgeglichen.
Die BASF-Aktionäre kommen mit einem blauen Auge davon: Der globale Konzernumsatz stieg zwar inflationsbedingt um 11,1 Prozent auf 87,3 Milliarden Euro. Das Betriebsergebnis (Ebit) reduzierte sich aber um 11,5 Prozent auf nur noch 6,9 Milliarden Euro. Es sollen wieder 3,40 Euro Dividende je Aktie gezahlt werden – bei einem Kurs von 48 Euro wären das sieben Prozent Rendite. In Deutschland stieg der Umsatz sogar um 19,2 Prozent auf 15,2 Milliarden Euro – doch nur 8,98 Milliarden Euro des BASF-Umsatzes wurden auf dem Heimatmarkt erzielt. 53,4 Milliarden Euro Umsatz kamen von außerhalb Europas.
Neben den Großstandorten Ludwigshafen und Antwerpen gibt es zwei weitere in den USA und je einen in Malaysia und in Nanking/China. Und in der südchinesischen Millionenstadt Zhanjiang – als Fort Bayard einst französischer Kolonialbesitz – wird für zehn Milliarden Euro das nächste „High-Tech-Verbundprojekt“ hochgezogen. Für die 230 kleineren BASF-Werke in 91 Ländern der Welt gibt es keine Bestandsgarantie: Man werde „die Produktion an einer reduzierten Anzahl von hoch effizienten Standorten konsolidieren“. Die Region Europa leide unter Überregulierung, bürokratischen Genehmigungsverfahren und „vor allem unter hohen Kosten für die meisten Produktionsfaktoren“, kritisierte BASF-Chef Martin Brudermüller bei der Bilanzkonferenz. „Zusätzlich belasten jetzt die hohen Energiepreise die Profitabilität und Wettbewerbsfähigkeit in Europa.“
Von den weltweit 122.000 BASF-Arbeitsplätzen werden daher zunächst 2.600 gestrichen – 700 davon am Standort Ludwigshafen. Die dortigen Kunden müssen sich aber keine Sorgen machen: Sie werden künftig von den Werken in Antwerpen, Eichwald (Chalampé/Elsaß), Geismar (Louisiana), Shanghai und Yeosu (Südkorea) versorgt.