© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/23 / 03. März 2023

Hauchdünn belegt
Zehn Jahre AfD: Die Partei plane den Umsturz, behauptet Publizist Patrick Bahners – aber ohne tiefer zu recherchieren
Jörg Kürschner

Was soll man von einer Textproduktion halten, die pünktlich zum zehnjährigen Bestehen der AfD deren Repräsentanten verunglimpft und lächerlich zu machen versucht? Alice Weidel, die „Schreckschußpistolenfrau“, Björn Höcke, der „Flächenbrandredner mit Staatsexamen“, Marc Jongen, der Kulturpolitiker, ein „Wirrkopf“, oder Alexander Gauland, der „Protestparteipatriarch“. Den konservativen Schriftsteller Uwe Tellkamp diffamiert Patrick Bahners philosophisch verbrämt als „verkrümmten Zinnsoldaten“, die Islamkritikerin Seyran Ates hält er für eine Denunziantin. Soll man da noch weiterlesen? 

Auf jeden Fall, denn Bahners, ein notorischer AfD-Hasser, liefert ein Lehrstück politischer Delegitimierung einer Partei und deren knapp fünf Millionen Wähler. Er erblickt in der AfD die Wiederkehr eines „neuen deutschen Nationalismus“. Mit ihrem Einzug in den Bundestag 2017 sei „die Geschäftsgrundlage demokratischer Politik in der Bundesrepublik über den Haufen geworfen“ worden. Kein Zweifel also: Die AfD hat es „auf den Umsturz der bestehenden Ordnung abgesehen“. Und die Partei werde ihren festen Platz in der Politik behaupten. Noch Fragen? 

Aber ja, denn so manchen Leser dürfte interessieren, ob Bahners überhaupt mit den zahlreichen Politikern jemals gesprochen hat. Diesen Eindruck erweckt er aufgrund der Detailtiefe seiner Charakterisierungen, die auch Persönliches nicht aussparen. Eine Stichprobe. Die Nachfrage bei Joachim Wundrak, AfD-Bundestagsabgeordneter und Drei-Sterne-General a. D., ergibt die vermutete Antwort. Mit Wundrak hat Bahners nie Kontakt aufgenommen. Stattdessen hat er im Elfenbeinturm seiner Schreibstube mit voreingenommenem Blick eifrig gegoogelt, zum Beispiel die Wunstorfer Auepost, die in der niedersächsischen Heimat Wundraks erscheint. Und Bahners wurde fündig. Ein Kollege, so das Ergebnis seiner feinsinnigen Google-Recherche, habe den Hausherrn im „modernen Fachwerkhaus am Hang“ besucht. Ein Generalleutnant werde nach der Besoldungsgruppe B 9 wie die Botschafter an den größten Auslandsvertretungen bezahlt, ergänzt Co-Rechercheur Bahners die Beobachtungen seines Auepost-Kollegen. 

Sicher hätte der Hausherr auch Bahners empfangen, den langjährigen Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Dann hätte dessen Vorwurf geklärt werden können, in Wundraks privatem parteipolitischem Engagement gäbe es „eine nicht leicht zu erklärende Unklarheit“. Konkret geht es um die Dauer von Wundraks CDU-Mitgliedschaft. Aber für Klarheit zu sorgen ist nicht Bahners Anliegen. Er beläßt es lieber bei der Unklarheit; zu Lasten Wundraks. 

Einen „aufsehenerregenden Schritt“ nennt der Verfasser den AfD-Eintritt des hochdekorierten Generals. Trotz umfänglicher Ausführungen zur Person Wundraks scheitert Bahners bei dem Versuch, das Engagement eines bürgerlichen Repräsentanten für die AfD zu erklären. Dessen öffentliche Begründung, Angela Merkel habe die CDU nach links gerückt, waren längst bekannt. Der Google-Rechercheur stößt an seine Grenzen, bedient sich einmal mehr im Zeitungsarchiv.

Eine „unerhörte politische Begebenheit“

Bahners ist ein Protagonist des politischen Mainstreams, denn mit Abweichlern aller politischen Couleur geht er hart ins Gericht. Der Grüne Boris Palmer, der jüngst gegen den Willen seiner Partei wiedergewählte Oberbürgermeister von Tübingen, argumentiere „anstößig“, da er die Integrationsfähigkeit der Deutschen in Beziehung zu „kulturellen Unverträglichkeiten“ der Migranten gesetzt hatte. „Das Gefühl der Überforderung wurde jedenfalls auch herbeigeredet“, meint Bahners und knöpft sich Joachim Gauck vor, der mit dem „Gestus eines Seelenheilers“ die Zunge der Bevölkerung gelöst habe. Der damalige Bundespräsident hatte auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 erklärt: „Inzwischen trauen wir uns, das fundamentale Dilemma dieser Tage offen auszusprechen. Wir wollen helfen. Unser Herz ist weit. Doch unsere Möglichkeiten sind endlich.“ 

Subtil versteht es Bahners auch, die Nazikeule zu schwingen. Der ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Berengar Elsner von Gronow ist ein Enkel des gleichnamigen Bürgermeisters von Swinemünde (1933–1936), einem überzeugten Nationalsozialisten. Als dieser 1981 starb, war der Enkel gerade drei Jahre alt. Haftung durch Herkunft? Immerhin sortiert Bahners den Ex-Parlamentarier als Gemäßigten in der AfD ein.

Und natürlich Hans-Georg Maaßen, das Enfant terrible des deutschen Politikbetriebes. Der ehemalige Verfassungsschutzpräsident verbreite „Verschwörungstheorien“. Rechter Umtriebe verdächtig sei er allemal, hatte er doch im Februar 2020 die überraschende Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten begrüßt („Hauptsache, die Sozialisten sind weg“). Die kurzzeitige Ablösung des Linken-Politikers Bodo Ramelow war gelungen, da CDU, AfD und FDP geschlossen für Kemmerich gestimmt hatten. Daß ein Ministerpräsident nach einer demokratisch zustande gekommenen Wahl Personenschutz erhält, gehört zum politischen Alltag. Daß Kemmerichs Ehefrau auf der Straße bespuckt wurde und ihre sechs Kinder auf dem Schulweg Polizeischutz erhielten, ist dem Autor keine Zeile wert.

Die Wahl Kemmerichs ist für Bahners eine „unerhörte politische Begebenheit“, die damit auch Angela Merkels brutale Intervention während ihres Staatsbesuchs in Südafrika rechtfertigt. Das Ergebnis müsse „rückgängig gemacht werden“, verlangte die Kanzlerin in Pretoria. Eine grundgesetzwidrige Forderung, wie auch die Mehrheit der Bundesverfassungsrichter befand, da Merkel das Recht der AfD auf Chancengleichheit verletzt habe. Überhaupt fällt auf, daß der Historiker Bahners mit der Jurisprudenz fremdelt. Er schreibt, „daß die Verfassung die Bürger gar nicht verpflichtet“. Eben doch, wenn ein Verfassungsgericht ein Zivilurteil überprüft (mittelbare Drittwirkung von Grundrechten). Im Klappentext der über 500 Seiten starken Textproduktion wird Bahners als „einer der einflußreichsten Journalisten Deutschlands“ vorgestellt.

Patrick Bahners: Die Wiederkehr. Die AfD und der neue deutsche Nationalismus. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2023, gebunden, 539 Seiten, 28 Euro