So richtig scheint die CDU/CSU noch nicht in der Opposition angekommen zu sein. Deutlich wird dies an der kürzlich vorgelegten Statistik des Bundestags zur Anzahl der Anfragen an die Bundesregierung und anderer parlamentarischer Initiativen im vergangenen Jahr. Zur richtigen Einordnung ist es wichtig zu wissen, daß Koalitionsfraktionen nur in Ausnahmefällen Kleine oder Große Anfragen an die Regierung stellen, da es sich dabei ja um Selbstbefragungen handeln würde. Das Fragerecht ist daher eines der wichtigsten Kontrollrechte der Opposition.
Seit über einem Jahr ist der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz wortgewaltiger Oppositionsführer. Doch für Arbeitsdruck in seinen Reihen scheint er nicht zu sorgen. So weist die Statistik aus, daß im vergangenen Jahr insgesant 1.473 Kleine Anfragen gestellt wurden, um die Bundesregierung zu einer Stellungnahme zu einem bestimmten Sachverhalt zu veranlassen. Die meisten Anfragen (689) stellte die AfD-Fraktion, obwohl sie nur 78 Abgeordnete stellt. Die mit 197 Abgeordneten ungleich größere CDU/CSU-Fraktion, die auch über erheblich mehr Mitarbeiter verfügt, stellte gerade 296 Anfragen und damit sogar weniger als die Linksfraktion, die sich trotz ihrer geringen Stärke von nur 39 Abgeordneten erheblich fleißiger zeigte und auf 488 Anfragen kam.
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Anträgen. Die sollen die Regierung zu einer Änderung oder Neuorientierung ihrer Politik bewegen. Über Anträge wird regelmäßig im Plenum debattiert. Auch hier sah man die AfD im vergangenen Jahr vorne. Von den 414 eingebrachten Anträgen stellte die AfD-Fraktion mit 154 die meisten. Von der CDU/CSU-Fraktion kamen 130 Anträge, von den Linken 95.
Anträge werden allerdings auch von den Regierungsfraktionen gestellt. Zu den Grundlagen jeder Koalition gehört, daß die Koalitionspartner auf eigenständige parlamentarische Initiativen oder Initiativen zusammen mit Oppositionsfraktionen verzichten. So war in der Großen Koalition regelmäßig zu erleben, daß beispielsweise die SPD im Plenum Sympathien für Anträge der Linken auf Einführung einer Vermögensteuer erkennen ließ, aber aus Gründen der Koalitionsräson die Linken-Anträge ablehnte. Auch im vergangenen Jahr wurden 21 Anträge von den Regierungsfraktionen immer nur gemeinsam gestellt. Allerdings kommt es in bestimmten Fällen, etwa bei der Einsetzung von Untersuchungsausschüssen oder Kommissionen, durchaus zu gemeinsamen Anträgen mit der Opposition, in drei Fällen sogar mit der AfD, die von den anderen Fraktionen sonst strikt gemieden wird.
An seinen 68 Sitzungstagen im Jahr 2022 beschloß der Bundestag 115 Gesetze. Daß bei dem dichten Programm die nötige Sorgfalt manchmal zu wünschen läßt, wundert nicht. So kam es beim Jahressteuergesetz zu einer starken Anhebung der Erbschaftssteuer durch eine Neubewertung von Immobilienvermögen, was im Bundestag keinem Abgeordneten vorher aufgefallen war und somit auch in den Debatten keine Rolle spielte.