© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/23 / 03. März 2023

Die Drei von der Zankstelle
Koalition: Angesichts der Haushaltsverhandlungen nehmen die Spannungen zu. Zeitenwende war gestern – und beim Geld endet die Ampel-Harmonie
Peter Möller

Vielleicht wird man rückblickend zu dem Schluß kommen, daß es für das Bündnis aus SPD, Grünen und FDP erst Anfang 2023 richtig losgegangen ist. Das erste Jahr nach der Regierungsbildung Ende 2021 stand die Ampelkoalition unter Bundeskanzler Olaf Scholz unter dem Eindruck und den Folgen des Angriffs Rußlands auf die Ukraine. Die Weltpolitik bestimmte auch in Berlin den Spielplan; die vor einem Jahr von Scholz gehaltene Zeitenwende-Rede ist dafür das beste Beispiel. Doch nun, nachdem der Krieg mehr oder weniger zum Alltag geworden ist, drängen sich wieder alltägliche politische Fragen in den Vordergrund, und die Koalitionspartner stehen plötzlich vor den Mühen der Ebene.

Öffentlichkeitswirksam eingeläutet wurde die neue Phase der Koalition Mitte Februar mit dem in Briefform ausgetragenen Streit zwischen Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) über die künftige Haushaltspolitik. Während der grüne Partner darauf drängt, Geld für Projekte wie die Kindergrundsicherung, die im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, zur Verfügung zu stellen und dafür notfalls neue Schulden zu machen, pocht Lindner nicht nur mit Blick auf die prekären Umfragezahlen und Wahlschlappen seiner Partei auf die ebenfalls zwischen SPD, Grünen und FDP vereinbarte Einhaltung der Schuldenbremse und den Verzicht auf Steuererhöhungen. 

Begehrlichkeiten nur zeitweise ruhiggestellt

Doch jedem in der Ampel ist klar: Das vorhandene Geld reicht nicht, um die im Koalitionsvertrag versammelten Wünsche alle umzusetzen. Schon jetzt fehlen im Haushalt 12 Milliarden Euro, um den Ressorts die Finanzmittel zur Verfügung zu stellen, die im vergangenen Jahr vereinbart wurden, rechnet der Spiegel vor. Hinzu kommen 70 Milliarden Euro für zusätzlich gewünschte Ausgaben.

Bei einem Krisentreffen der drei Parteichefs hat Kanzler Scholz in der vergangenen Woche die Marsch-

richtung vorgegeben und Lindner zumindest vorerst den Rücken gestärkt: Die Ampel wird sich wie vereinbart bis auf weiteres an die Schuldenbremse halten, auch höhere Steuern wird es erst einmal nicht geben. Doch damit sind die Begehrlichkeiten vor allem der Sozialpolitiker in den Reihen von SPD und Grünen nur zeitweise ruhiggestellt – wenn überhaupt.

Die Entscheidung des Kanzlers hebt die Stimmung in den Reihen von SPD und Grünen nicht unbedingt. Zumal nicht nur nach Einschätzung von Scholz und seinem neuen Verteidigungsminister Boris Pistorius kein Weg daran vorbeiführt, daß die Bundeswehr trotz des nun durchgesetzten Sparkurses fünf bis zehn Milliarden mehr erhält. Daran wird auch der von SPD-Chefin Saskia Esken und Fraktionschef Rolf Mützenich immer wieder vorgetragene Widerstand gegen eine bessere Finanzierung der Bundeswehr kaum noch etwas ändern. Am Montag äußerte Mützenich in der ARD zwar Verständnis für die Forderungen nach mehr Geld für die Truppe, seiner Meinung nach sollte die Koalition indes sozialpolitische Fragen in den Vordergrund stellen, fügte er sogleich hinzu. Zuvor hatte Pistorius noch einmal seine Forderung bekräftigt, neben dem 100 Milliarden Euro umfassenden Sondervermögen auch den regulären Haushalt der Bundeswehr um zehn Milliarden Euro zu erhöhen.

Esken und Mützenich stehen mit ihren Vorbehalten nicht allein. Vor allem die Pläne von Finanzminister Lindner zur Aktienrente stoßen den Sozialpolitikern in der Koalition auf. „Wenn der Finanzminister zehn Milliarden Euro in eine Aktienrente investieren kann, dann muß es auch möglich sein, andere Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen, nämlich pflegebedürftige Menschen zu unterstützen“, merkte dazu die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Heike Baehrens, mit Blick auf das Lieblingsprojekt des FDP-Chefs an.

Die Grünen versuchen unterdessen das zusätzliche Geld für die Bundeswehr für ihre Zwecke zu nutzen und unter dem Stichwort integrierte Sicherheit zusätzliche Mittel für das Auswärtige Amt und die Entwicklungspolitik zu fordern. Sicherheit sei mehr als der Verteidigungshaushalt, verdeutlichte die grüne Verteidigungspolitikerin Sara Nanni: „Wenn wir uns jetzt weniger statt mehr in den Ländern des Globalen Südens engagieren, konterkariert das unsere diplomatischen Bemühungen um die Isolation Rußlands.“

Um doch noch mehr Geld für den Bundeshaushalt zu organisieren, schlagen die Grünen den Abbau von Subventionen vor, die sie für umweltschädlich halten. Denn ihr größtes sozialpolitisches Projekt in dieser Wahlperiode, die Einführung einer Kindergrundsicherung, haben die Grünen weiter fest im Blick. Parteichef Omid Nouripour mahnt denn auch, daß die Frage der sozialen Gerechtigkeit bei den Haushaltsprioritäten „nicht unter die Räder kommen“ dürfe und verwies auf den Kampf gegen die Kinderarmut. Die Kindergrundsicherung, müsse „so schnell wie möglich kommen“.

Auch die vor allem vom linken SPD-Flügel geforderte Vermögensabgabe dürfte noch nicht endgültig vom Tisch sein. „Die Krisen der letzten drei Jahre haben viele Menschen an den Rand ihrer wirtschaftlichen Existenz gebracht, während andere ihre sehr hohen Vermögen noch weiter steigern konnten“, sagte Esken der FAZ. Durch die Besteuerung sehr hoher Vermögen „und auch der sehr hohen Einkommen“ könne man Geld für Investitionen in Bildung erhalten.

Das Klima in der Koalition dürfte daher weiterhin unruhig bleiben. Mindestens bis Mitte März, wenn der Haushalt für das kommende Jahr vom Kabinett beschlossen werden soll.