© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/23 / 03. März 2023

„Das böse Erwachen kommt“
Interview: Eine neue JF-Dokumentation enthüllt die Medienmythen der Energiekrise – mit dabei: Nuklearenergieexperte Manfred Haferburg, der vor einem verschleierten „Stromsozialismus“ warnt
Moritz Schwarz

Herr Haferburg, noch eine Dokumentation zum Thema Energiekrise – ist dazu nicht schon alles gesagt?

Manfred Haferburg: An sich schon, aber leider ist es noch längst nicht bei allen angekommen. Schauen Sie sich doch nur einmal an, wer in unseren Medien so den Diskurs dazu bestimmt, zum Beispiel Claudia Kemfert. 

Sie meinen, die Energieökonomin des DIW.

Haferburg: Nein, ich meine die Märchentante! Die, die uns auf fast allen Kanälen die kuschelige Mär vom Erneuerbare-Energien-Bullerbü erzählt. Im Ernst, Professor Kemfert wird in den Medien meist ganz unverdächtig als „Expertin“ vorgestellt, tatsächlich aber ist sie eine reine Interessenvertreterin. Ebenso wie ihr Chef, Marcel Fratzscher, und dessen Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, das trotz seines wissenschaftlich klingenden Namens als Lobbyverein für Wind- und Solarenergie fungiert. Und dennoch ist Frau Kemfert laut einer aktuellen Studie aus der Schweiz die bei den drei großen deutschen Fernsehsendern ARD, ZDF und RTL am häufigsten zitierte Ökonomin. Und wen finden wir auf Platz zwei? Na? Raten Sie! Genau, Marcel Fratzscher. Nun verstehen Sie vielleicht, warum ein Film wie unsere Dokumentation zum Medienmythos Energiekrise so wichtig ist. 

Aber erreicht man damit im Grunde nicht nur wieder die, die sowieso schon überzeugt sind? 

Haferburg: Mal ehrlich, hätten Sie vor ein paar Jahren geglaubt, daß heute laut Umfrage 86 Prozent der Deutschen für Atomkraft sind? 86 Prozent! Das ist doch eine enorme Entwicklung!

Aber haben das nicht vor allem die großen Meinungsmacher bewirkt? Etwa „Bild“, die AfD und auch CDU und FDP, die zum Teil gegen ihre eigene Ausstiegspolitik Stimmung gemacht haben. Wir alternativen Medien haben doch gar nicht die dafür nötige Reichweite.

Haferburg: Ich würde den Anteil der Alternativen nicht unterschätzen. Zum einen verbreiten die Leser alternativer Medien die Informationen ja auch weiter, das streut also durchaus tief in die Gesellschaft hinein. Zum anderen liest uns auch ein Teil der etablierten Medien und übernimmt mitunter Themen und Anregungen – natürlich ohne das transparent zu machen. 

Unlängst vertrat in der Tat ein Talkgast bei „Bild“-TV seine Thesen mit Verweis auf Sie. Allerdings sind Sie selbst noch nie ins Fernsehen eingeladen worden, warum eigentlich nicht?

Haferburg: Ich glaube, auch wenn stets das Gegenteil behauptet wird, in Wahrheit will man gar keine andere Meinung hören. Vor kurzem war ich auf Einladung der AfD als Sachverständiger zu einer Anhörung in den Sächsischen Landtag geladen, was sich dann als absurde Veranstaltung entpuppte. Denn es war zu merken, daß die anderen Parteien aus politischen Gründen gar kein Interesse an meinen Argumenten hatten. Bizarr war allerdings auch, was von Experten kam, die von anderen Fraktionen aufgeboten wurde. Etwa vertrat ein Professor ganz im Ernst die Ansicht, die Energiekrise könne einfach durch kälter duschen bewältigt, also quasi weggeduscht, werden.   

Die Begründung für die Energiepreiskrise durch „Top-Erklärerin“ Kemfert, nämlich daß „wir die Energiewende verschleppt haben“, klingt allerdings schlüssig. Denn bezögen wir bereits mehr Energie aus den Erneuerbaren, wären wir weniger vom Gas aus Rußland abhängig, das uns seit dem Angriff auf die Ukraine auszugehen droht.

Haferburg: Das mag sich im ersten Moment plausibel anhören, doch ist die Aussage aus zwei Gründen Unsinn: Zum einen ist der Krieg in der Ukraine nicht die eigentliche Ursache für die Energiepreisexplosion. Dies, und wie es sich beweisen läßt, zeigen wir im Film. Zum anderen, wäre die Energiewende bereits weiter fortgeschritten, dann wäre die Energiepreiskrise nicht weniger, sondern im Gegenteil sehr wahrscheinlich sogar noch viel schlimmer! Und zwar weil sich mit ihr der Primärenergiebedarf eines industrialisierten Landes wie unserem nicht decken läßt. Zur Erinnerung: trotz der über 30.000 Windräder hierzulande wird dieser nur zu etwa vier Prozent durch Sonne und Wind gedeckt. Nimmt man noch Wasser und Biomasse dazu, sind es gerade mal gut acht Prozent. 

Allerdings soll der Sektor der Erneuerbaren Energien ja auch bis 2030 massiv ausgebaut werden. 

Haferburg: Ich habe das alles einmal durchgerechnet: Grundlage ist die Studie der Bundesnetz­agentur, in der diese zu dem Schluß kommt, in den Jahren 2030/31 sei die Stromversorgung sicher. Wenn man sich durch die 150 Seiten Fachchinesisch kämpft, zeigt sich aber, daß dafür vier Voraussetzungen erfüllt sein müßten: Erstens, ab sofort müssen bis 2030 jeden Tag fünf Windräder errichtet werden. Das heißt, jeden Tag fünfmal 1.300 Kubikmeter Beton und 180 Tonnen Stahl verbaut werden, für die zusammengenommen jeden Tag 12.000 Betonmischer sowie monatlich 135 achtzig Meter lange Schwerlasttransporte durchs Land dieseln müßten. Was nebenbei bemerkt auch einen Straßenausbau nötig macht. Zweitens: bisher haben wir etwa 1.300 Kilometer Leitungen gebaut, um den Strom vor allem von Nord nach Süd zu transportieren. Nötig sind aber 7.500 Kilometer. Doch 2022 haben wir gerade einmal 200 Kilometer geschafft – also nur etwa ein Viertel von dem, was ab jetzt pro Jahr nötig wäre, um das Ziel bis 2030 zu erreichen! Drittens: Stichwort Stromimport. Unsere Nachbarländer müßten immer dann einspringen, wenn Wind und Sonne bei uns Pause machen. Was Fragen aufwirft, etwa: Können wir sicher sein, daß sie uns zu jeder Zeit aushelfen können und wollen? Ist soviel Import wie benötigt aufgrund der begrenzten Kapazität der Knotenpunkte des europäischen Stromnetztes überhaupt möglich? Und: Ist diese Art der Rückversicherung ökonomisch eigentlich zu rechtfertigen? Viertens: Stichwort Lastmanagement. Der Begriff klingt smart, bedeutet aber tatsächlich einen Rückschritt in den Stromsozialismus. Denn gemanagt wird die Stromlast, indem unser Alltag in vielem wie in der dritten Welt vom Wetter abhängig sein wird – Waschmaschine, E-Auto oder Heizung etwa werden nur versorgt, wenn Wind und Sonne uns gerade auch gnädig sind. 

Klingt, als sei das alles nicht zu schaffen. Allerdings schienen im Herbst die Zahlen zeitweilig auch zu belegen, daß es im Winter zum Kollaps der Energieversorgung kommen könnte. Doch völlig entleerte Speicher, Stromrationierung oder auch der gefürchtete Blackout sind ausgeblieben. Inzwischen fallen die Energiepreise sogar. Wenn wir also im Herbst geirrt haben, könnte dann nicht auch diesmal die Prognose zu düster sein?

Haferburg: Es stimmt, daß die Energiepreise derzeit fallen, aber an eine langfristige Erholung glaube ich nicht. Insgesamt werden sie weiter steigen – wie stark weiß niemand. Allerdings war der Anstieg der letzten Zeit ja auch enorm: Zwischenzeitlich kostete eine Megawattstunde Strom, für die zuvor sechzig Euro verlangt wurden, bis zu eintausend  Euro! Auf die Dauer werden sich das nicht nur die Unternehmen – Stichwort Deindustrialisierung –, sondern auch die Haushalte nicht mehr leisten können. Dann wird das Versprechen des Herrn Trittin, daß die Energiewende jeden Deutschen nicht mehr als eine Kugel Eis kosten werde, doch noch wahr – allerdings anders als gedacht: nicht im Monat, sondern pro Kilowattstunde! 

Aber bringt nicht das nicht mehr ferne Ende der Heizperiode eine Entspannung der Preise mit sich?

Haferburg: Wie denn? Parallel geht doch das Abschalten weiter. Am 15. April werden die letzten drei Kernkraftwerke vom Netz genommen. Das sind dann weitere 4,5 Gigawatt die fehlen – Strom für zehn Millionen Haushalte! Was natürlich die Preise treiben wird. Aber Ihre Frage zeigt mir, daß ich Ihnen offenbar den springenden Punkt nicht vermitteln konnte: Es geht nicht um dieses Frühjahr oder um den kommenden Winter. Als ich im letzten Jahr hörte, daß die Ampel beschlossen habe, die drei KKW noch dreieinalb Monate länger laufen zu lassen, bin ich vor Lachen fast vom Stuhl gefallen! Denn Energiepolitik ist keine Sache von Monaten, sondern von Jahren und Jahrzehnten! Weil es darum geht, Strukturen zu schaffen. Was wir heute beginnen, braucht etwa zehn Jahre, um einsatzbereit zu sein. Bis 2030 sollen alle Kohlekraftwerke und Verbrennermotoren abgeschafft werden. Wie soll das bitte funktionieren? Woher soll dann all der benötigte Strom kommen? Sicher, man kann ihn vielleicht teilweise, siehe Punkt drei, zunächst einmal im Ausland kaufen. Aber das kostet natürlich beliebig viel.

Künftig wird doch aus LNG Strom erzeugt. 

Haferburg: Das wäre mit dem günstigen Gas der Russen vielleicht eine vertretbare Methode, aber sicher nicht mit dem teuren Flüssiggas der Amerikaner. Zumal dafür auch erst noch fünfzig Gaskraftwerke gebaut werden müßten. Die aber sind noch nicht einmal konstruiert, geschweige denn projektiert, und soweit ich weiß, gibt es bisher auch weder Investoren noch Bauplätze. Das alles ist, unabhängig von der Frage, ob es überhaupt ein kluger Weg ist, bis 2030 im Grunde schon kaum mehr zu schaffen. 

Also, was dann?

Haferburg: Dann kommt unweigerlich der Stromsozialismus. Denn wenn man 2030 endlich begreift, daß das alles vorne und hinten nicht funktioniert, dann dauert es, vorausgesetzt man zieht daraus die richtigen Schlüsse, wie gesagt, mindestens zehn weitere Jahre bis zur Einsatzreife einer neuen Lösung. 

Das heißt, Sie sagen im Grunde eine Energie- und Energiepreiskrise bis mindestens 2040 voraus? 

Haferburg: Die haben wir ja schon heute. Bis dahin wird Energie so knapp sein, daß sie irgendwie rationiert werden muß. Das kommt aber wohl nicht, wie wir zunächst dachten, in Form rollierender Brownouts ...

... also der stundenweisen Abschaltung ganzer Landstriche reihum ... 

Haferburg: ... sondern durch die erwähnte Methode des Lastmanagements. Zum Beispiel auch, daß Energie zu unterschiedlichen Tageszeiten unterschiedlich viel kosten wird etc. 

Was ist mit der Gefahr eines Blackouts bis 2040?

Haferburg: Ein Blackout – also nicht nur ein partieller Stromausfall, sondern der Zusammenbruch eines ganzen Netzes – ist ein extrem seltenes Ereignis. Dazu kann es kommen, wenn eine enorme Knappheit herrscht, etwa durch eine Dunkelflaute, und dann obendrein noch irgendwo im Netz etwas schiefgeht. Ich hoffe aber inständig, daß das nie eintreten wird! Denn das würde zu Tausenden Toten führen – und da sei Gott vor!

Im Herbst sprach der Blackout-Berater Robert Jungni­schke in der „Bild“ und in dieser Zeitung davon, daß es mit 99,9 prozentiger Sicherheit zu einem Blackout kommen werde – die Frage sei nur wann. 

Haferburg: Herr Jungnischke hat seine Meinung inzwischen geändert und spricht nun davon, daß ein Blackout eher unwahrscheinlich sei. Hoffentlich, denn es könnte den totalen Zusammenbruch unserer Ordnung bedeuten.

„Extrem selten“, „eher unwahrscheinlich“ – können Sie eine Chance in Prozent schätzen? 

Haferburg: Nein, aber in der Risikoabschätzung berücksichtigt man zwei Faktoren: Schwere des Ereignisses und Eintrittswahrscheinlichkeit. Da die Folgen eines Blackouts so enorm schwerwiegend sind, ist schon eine sehr kleine Eintrittswahrscheinlichkeit unbedingt zu vermeiden!

In dem Film (siehe auch Seite 7) wird also dargestellt, daß nicht der Ukrainekrieg, sondern die Energiewende die Ursache der Preisexplosion ist. Unerwähnt bleibt jedoch Corona. Geht aber nicht ein erheblicher Teil der Inflation auf die weltweite Lockdown-Politik zurück?

Haferburg: Ich bin kein Ökonom und kann also wenig dazu sagen. Zweifellos aber hatten die Lockdowns auf verschiedene Weise Auswirkungen. In Frankreich etwa führten sie dazu, daß die Kernkraftwerke nur noch mit der kleinstmöglichen Besatzung liefen, und daher zwei Jahre lang keine Instandhaltungsarbeiten durchgeführt wurden, die nicht absolut notwendig waren. Das vor allem war der Grund, warum dann im Sommer so viele französische KKW abgeschaltet wurden, um sie nun nach Corona in Ruhe zu überholen. Was aber kein Problem ist, da viele im Sommer nicht gebraucht werden. Denn die Franzosen heizen sehr viel mehr mit Strom als wir, und die dafür im Winter nötige Kraftwerkskapazität kann im Sommer stillgelegt werden. 

Moment, wurde nicht argumentiert – etwa  von Grünen-Chef Omid Nouripour im ARD-Sommerinterview –, stillgelegt wurden sie wegen der durch die Trockenheit niedrigen Wasserpegel? Was zeige, so wurde dann auf Twitter von Verfechtern der Energiewende argumentiert, daß auch die Atomkraft wetterabhängig sei.

Haferburg: So ein Unsinn, denn man kann ein Atomkraftwerk auch mit einem Kühlturm ausstatten, in den das erwärmte Kühlwasser gesprüht wird. Der Luftstrom im Turm reicht aus, um es wieder auf die richtige Temperatur zu bringen und bis auf einen ganz kleinen Anteil – das sind die weißen Dampfschwaden, die Sie aus einem Kühlturm aufsteigen sehen – wird es am Grund des Turms gesammelt und wiederverwendet. Einen Turm brauchen aber viele französische Anlagen, die mit Flußwasser kühlen, gar nicht, weil es im Winter genug Wasser gibt und im Sommer nicht so viel Energie benötigt wird. Und im übrigen ist der Punkt auch nicht, daß die Flüsse im Sommer zu wenig Wasser zum Kühlen führen, sondern, daß man aus ökologischen Gründen das Wasser, wegen der allgemeinen Sommerhitze, nicht noch zusätzlich zu stark erwärmen will, bevor es in den Fluß zurückgeleitet wird. Allerdings wundert mich nicht, daß alles Mögliche behauptet wird, um zu verschleiern, daß die Erneuerbaren mit entscheidenden Fehlern behaftet sind. Und im Grunde kommt den Grünen Putin doch gerade recht, denn so können sie das krachende Scheitern der Energiewende noch eine Zeitlang hinter seinem Krieg verstecken, bevor auch für den letzten das böse Erwachen kommt.






Manfred Haferburg, der ehemalige Oberschichtleiter im KKW Greifswald war 16 Jahre lang für den Weltverband der Nuklearanlagenbetreiber tätig und arbeitete dabei in über hundert Kernkraftwerken weltweit. Geboren 1948 in Nebra, Sachsen-Anhalt, studierte er Kernenergetik und später Organisationspsychologie am Massachusetts Institute of Technology (MIT). In seinem Roman „Wohn-Haft“ (2013) schildert er Widerstand und Stasi-Zersetzung eines Kerntechnikers in der DDR.