Stalins Sowjetunion habe im Zweiten Weltkrieg mit ihrer „menschenverachtenden Form der Kriegführung“ 6,8 Millionen eigene Soldaten geopfert, das Mehrfache der Verluste auf seiten der deutschen Wehrmacht. Hinzu kam die unvorstellbare, aber empirisch überprüfte Zahl von 28,2 Millionen Verwundeten und Traumatisierten. Weder während des Kalten Krieges noch in der postsowjetischen Ära von 1990 bis heute habe es eine ernsthafte Aufarbeitung dieser von Stalin mit verschuldeten menschlichen Tragödie gegeben, wie der Historiker Gerd Koenen in einem wutschnaubenden Rundumschlag gegen die russische Geschichtspolitik beklagt (Osteuropa, 72/2022). Vielmehr seien unter Wladimir Putin am 9. Mai die „pompösen Siegesparaden und Ordensbrüste“ zur Feier des „Großen Vaterländischen Krieges“ „noch militaristischer zelebriert“ worden als zur Zeit der KPdSU-Generalsekretäre. Putin, sozialisiert im poststalinistischen Ungeist, habe jede tiefere Erforschung und kritische Selbsterforschung „der sich in einem tragischen Zirkel bewegenden Geschichte seines Landes unter Strafe stellen und als ‘historischen Nihilismus’“ ächten lassen. Mit der Konsequenz, daß er sich bei seiner Kriegsrhetorik gegen die Ukraine „völkischer Zwangsideen eindeutig faschistischer Provenienz“ bedienen müsse.