© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/23 / 24. Februar 2023

Blick in die Medien
Gefälschte Realität
Boris T. Kaiser

Wie real ist die Realität? Diese Frage gewinnt mit dem Einzug der Künstlichen Intelligenz (KI) immer mehr an Bedeutung. Ein neues „Reality“-TV-Format aus Großbritannien zeigt aktuell, was in Sachen imaginärer Wahrheitsdarstellung bereits möglich ist. Die Serie fährt alles auf, was international Rang und Namen hat – und gibt Einblick in das vermeintliche Privatleben der sonst so unerreichbaren Superstars oder bekannter Persönlichkeiten wie Greta Thunberg. 

So erfährt der Zuschauer alles über den Streit zwischen Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und dem Spiderman-Darsteller Tom Holland oder über die Ehe des Schauspielers mit der Rapperin Nicki Minaj – obgleich er bisher nicht einmal wußte, daß die beiden verheiratet sind. Daß an der Sache etwas faul ist, läßt allein der Name der Unterhaltungsreihe, mit der der Streaming-Dienst ITVX auf der Insel gerade für heftige Diskussionen sorgt, erahnen.

Die Serie hat eine Diskussion ausgelöst über Propagandapotential und die Folgen für Schauspieler.

Zumindest wer sich ein wenig mit den neuesten Entwicklungen der Technik befaßt, dürfte bei dem Titel „Deep Fake Neighbour Wars“ mißtrauisch aufhorchen. Tatsächlich verrät der Serienname bereits, welche Technologie die Macher zur Erschaffung ihrer Realität nutzen. Deepfakes sind durch maschinelles Lernen erstellte Bild- oder Audioaufnahmen, die Mimik, Sprache und Bewegungsabläufe von realen Personen imitieren.

Bei „Deep Fake Neighbour Wars“ beschränken sich die Serienmacher im wesentlichen darauf, die Stars und Sternchen aus ihrer Glitzerwelt zu holen, um sie vor den Augen des Publikums einmal ganz banale spießbürgerliche Nachbarschaftsstreitereien austragen zu lassen. Trotz des vergleichsweise harmlosen Ansatzes hat das Format in Großbritannien eine aufgeregte Debatte über die Gefahren der Deepfake-Technologie ausgelöst. Während Politiker aller Parteien vor allem ein Risiko darin sehen, daß die Technik zu Propagandazwecken genutzt werden könnte, hat man bei der Schauspielgewerkschaft Angst vor steigender Arbeitslosigkeit. Eines scheint in jedem Fall klar: Der technische Fortschritt, der uns als Menschheit so lange vorangebracht hat, hat uns inzwischen längst bis zur eigenen Ersetzbarkeit überholt.