Es braucht wirklich eine Zeitenwende! Wie gut, wenn die Allgemeine Dienstpflicht kommt. Erst kürzlich erzählte mir S. in der Pizzeria „Pinocchio“, wie ein Bekannter, der für zwölf Jahre als Zeitsoldat dienen wollte, schon nach wenigen Tagen die Bundeswehr fluchtartig verließ. Anlaß war im wörtlichsten Sinn das „Warmduschen“: So hatte der ganze Zug, offenbar aus Scham, in Unterhosen geduscht, die anschließend im Zimmer zum Trocknen aufgehängt waren, woraufhin der irritierte Unteroffizier förmlich explodierte. Wie anders da meine Grundausbildung in der NVA bei Hinrichshagen, einem Ort, den ich bereits bei Ankunft auf den Namen „Hinrichtungshagen“ taufte. Und tatsächlich: Das Tagebuch, das ich heimlich führte, seit ich zum 1. November 1989 eingezogen worden war zum „Ehrendienst“ dieser sozialistischen Diktatur, listet ein Dutzend Traum-Sequenzen auf, in denen ich auf unterschiedlichste Arten hingerichtet werde. Zum Glück entkam ich dem geforderten Kadavergehorsam nach einigen Monaten. Währenddessen höre ich dieser Tage mit Kopfschütteln über die steigende Zahl der „Kriegsdienstverweigerer“ – unter den aktuell Wehrdienstleistenden! Ginge es nach mir, müßten solche Warmduscher tatsächlich wegen Befehlsverweigerung oder Fahnenflucht bestraft werden.
In der „Generation Jammerlappen“ sind die meisten Künstler akustisch kaum voneinander zu unterscheiden.
Während ich diese Zeilen schreibe, läuft im Radio der neue Grönemeyer-Song „Angstfrei“ – doch gleich, so fürchte ich, werden wieder die jungen „Schmerzensmänner“ im Äther erklingen, und in der Tat: „Larmoyantes Wording / Songs à la Oerding.“ Das falsche Pathos und die verkitschten Reime im Johannes-Oerding-Lied „Alles brennt“ sind prototypisch für das Elend dieser Gesangsgeneration, egal ob es von Revolverheld, Philipp Poisel, Tim Bendzko, Max Giesinger, Mark Forster, Wincent Weiss oder Andreas Bourani präsentiert wird. Tatsächlich sind die meisten Songs wie auch die Künstler akustisch kaum voneinander zu unterscheiden. Ein – nach meiner Erinerung – aus der FAZ geklauter Text unter dem Titel „Generation Jammerlappen“ ist noch auf dem Internetblog „dieboesealtefrau“ zu finden, wo das Phänomen trefflich analysiert wird. Fazit: „Alle jammern und winseln im selben Lamento einher, und man weiß gar nicht, wer von diesen Schmerzensmännern der schlimmste ist.“ Vor allem hilft es ihnen auch nicht. So verkündet Annett Louisan im Radio-Interview zu ihrem neuen Album, sie fände die „Aggressivität bei Männern interessant“, denn die „sind keine Opfer“. Die Koketterie endet abrupt beim Thema Gendersprache, die Künstler wie Heinz Rudolf Kunze oder der junge Julius König rundweg ablehnen. O-Ton Louisan: „Ich mag Menschen nicht, die sich darüber lustig machen.“ Lieber macht sie sich dafür in ihrem neuen Lied „Hallo Julia“, das Leonhard Cohens „Hallelujah“ parodiert, über den Katholizismus lustig: „So viel hab’ ich schon durchgemacht/ Doch noch nie war ich religiös/ Heut’ fang’ ich mit Katholisch an/ Denn die sind so schön pompös/ Dann trink’ ich gratis roten Wein/ Zur Not gibt es immer Brot/ Könnte über Wasser gehen/ Es gäb ein Leben nach dem Tod“.