Deutscher Antifa-Terror als Exportschlager. Dieser Eindruck entsteht, wenn man sich die Bilder und Videos aus Budapest anschaut. Mutmaßlich deutsche Linksextremisten waren an mehreren Menschenjagden in Ungarn beteiligt. Das Endergebnis: blutüberströmte Köpfe, gebrochene Knochen. Die Tatwaffen: Totschläger, Hammer und Reizgas. Die Opfer: Arglose Arbeitnehmer und Touristen. Eine Vorgehensweise, die der Tatbegehung der „Hammerbande“ zum verwechseln ähnlich sieht.
Gegen Rädelsführerin Studentin Lina E. und drei ihrer Gesinnungsgenossen wird vor dem Oberlandesgericht in Dresden zur Zeit wegen der Bildung einer Kriminellen Vereinigung nach Paragraph 129 Strafgesetzbuch (StGB) verhandelt. Der Prozeß plätschert seit Monaten so dahin. Um so ungelegener kam da jetzt die Verhaftung deutscher Linksextremisten nach brutalen Jagdszenen auf unschuldige Opfer in Budapest. Spurensuche.
Rückblick: Zum 11. Februar 2023, dem sogenannten „Tag der Ehre“, treffen sich wie jedes Jahr seit 1997 Neo-Nazi-Gruppierungen, aber auch die bürgerliche Mitte, in Budapest und gedenken des Kampfes der Wehrmacht, der Waffen-SS und ungarischer Verbände. Am 11. Februar 1945 versuchten die eingekesselten Soldaten einen Ausbruchsversuch gegen die Rote Armee. 70.000 Männer starben. Seit Wochen rufen Linksautonome im Internet Sympathisanten zu Gegendemonstrationen auf. Schon Tage zuvor reisen viele an. Was die unter Gegendemonstration verstehen, nehmen am 10. Februar, also 24 Stunden vor dem Gedenktag Videokameras im 11. Bezirk in Budapest auf.
Die Opfer wurden hinterrücks angegriffen
Nichtsahnend spaziert Zoltán T., so berichtet ein ungarisches Nachrichtenportal, in Flecktarn dort durch eine Fußgängerzone. Plötzlich wird er von mehreren vermummten Personen hinterrücks angegriffen. Ein Schläger hämmert mit einem Totschläger immer wieder auf dessen Kopf ein. Er bricht unter den Schlägen zusammen. Die Schläge und Tritte prasseln weiter auf das hilflose Opfer, das sich nicht wehren kann, ein. Bevor die feigen Attentäter fliehen, sprühen sie dem schwerverletzten, stark blutenden Mann gezielt Reizgas ins Gesicht. Auf dem Boden vor dem Laden zeugt eine große Blutlache von der Attacke. Seine Kopfverletzungen müssen mit 20 Stichen genäht werden, erzählte er später dem rechten Nachrichtenportal Pesti Srácok. Zoltán T. vermutet, die Linksextremisten hätten ihn aufgrund seiner Hose in Tarnfarbe für einen Teilnehmer einer der rechten Demonstrationen gehalten. Kurz zuvor habe ihn noch eine junge Frau angesprochen und gefragt, ob er an dieser teilnehme, was er verneint und bekundet habe, noch nie zu dieser Veranstaltung gegangen zu sein.
Bei sieben Tatverdächtigen soll es sich um die Deutschen Clara W. (22), Anna M. (26), Emilie D. (20), Moritz S. (20) und Tobias E. (29) sowie um Ilaria S. (38) aus Italien und eine 42jährige Frau aus Ungarn handeln. Laut Bild-Zeitung stammen die Deutschen aus Sachsen, Thüringen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Die Ungarin, die Italienerin und die Deutschen Anna M. und Tobias E. können festgenommen werden. Nach den flüchtigen Clara Wittkugel und Moritz Schröter fahndet die ungarische Polizei öffentlich mit Namen und Fotos.
Die ungarischen Ermittler gehen davon aus, daß die Linksautonomen in den vergangenen Tagen rund um den Gedenktag vier Anschläge in Budapest verübt haben. Bisher seien acht Menschen, darunter soll ein deutsches Ehepaar sein, verletzt worden, teils schwer. Genau einen Monat zuvor hatten in Erfurt am hellichten Tag Linksextreme zwei polizeibekannte Neonazis auf offener Straße mit Totschlägern, Axt und Pfefferspray angegriffen; eines ihrer Opfer mußte schwer verletzt in die Klinik.
Die Art der Tatbegehung ist schon im Fall der kriminellen Vereinigung um Lina E. bekanntgeworden. Die Frau, die angeblich die Anführerin der linksextremen sogenannten „Hammerbande“ sein soll und der seit September 2021 in Dresden der Prozeß gemacht wird. Aber nicht nur die extrem brutale Tatbegehung in Ungarn weist Parallelen zur „Hammerbande“ auf. Tobias E., der Name eines der jetzt festgenommenen Tatverdächtigen, läßt aufhorchen.
Denn ein gewisser Tobias E. war ebenfalls an mindestens zwei Überfällen der „Hammerbande“ auf eine rechte Kneipe in Eisenach beteiligt. Tobias E., ein ehemaliger Pfadfinder und Erzieher in Berlin-Neukölln, soll unter anderem das Umfeld einer Gaststätte in Eisenach ausbaldowert haben. Der Grund: Sie ist ein Treffpunkt von Rechtsradikalen. Tobias E.s Tatbeteiligung wurde im Prozeß durch die Zeugenaussagen des Überläufers Johannes D. untermauert. Der war selbst Mitglied der „Hammerbande“, sagte dann aber im Rahmen eines Zeugenschutzprogramms gegen seine alten Genossen aus. Der Mann hatte einen guten Grund dafür: Eine ehemalige Freundin von ihm, hatte ihn in linken Szenekreisen der Vergewaltigung bezichtigt. Und D. zwitscherte, entgegen dem linken Schweigegelübde, wie ein Vögelchen. Seine Aussagen ermöglichen einen guten Einblick in die Struktur der Bande. Jahrelanges Kampftraining, sogar noch bis 2021 – da saß Lina E. übrigens schon in Haft. Späher baldowerten sie mögliche Opfer, ihre Wohn-und Arbeitsorte aus, auch ihre Möglichkeit zur Selbstverteidigung wurde eingeschätzt. Überfälle sollten nicht länger als 30 Sekunden dauern. Kontakt wurde über Wegwerfhandys gehalten. Den Opfern sollten schwerste Verletzungen zugefügt werden, der Tod war allerdings nicht geplant, so der Kronzeuge. Eine Schutzbehauptung?
Die Angriffe in Budapest würden bedeuten, daß die Bande um Lina E. durchaus noch aktiv ist. Was wiederum die Frage aufwirft, ob die jetzt angeklagte Frau überhaupt jemals Kopf dieser Bande war? Oder trifft das eher auf ihren angeblichen Verlobten, den untergetauchten Johann Guntermann zu? Und zweitens ist zu fragen, wie es überhaupt möglich sein konnte, daß ein polizeibekannter Linksextremist wie Tobias E. über Grenzen hinweg quer durch Europa touren konnte?
Die Fahnder, wie auch der Verfassungsschutz sollten doch über die Planungen nicht überrascht gewesen sein, immerhin rief die Antifa zu Aktionen gegen Rechte in Budapest seit Wochen im Netz auf. Die ungarische Journalistin Angela Füssy berichtete am 16. Februar dazu auf der Internetseite PestiSrácok.hu, „daß die Antifa-Demonstration seit dem 11. Dezember als Reaktion auf den Tag des Ausbruchs organisiert wurde. Bei mehreren Gelegenheiten in Österreich – in Wien, Innsbruck und Linz – nahmen Vertreter europäischer Antifa-Gruppen teil und diskutierten über die Ereignisse in Budapest und darüber, wie man die ungarische Hauptstadt nazifrei machen könne. Bisher wissen wir, daß es in Ungarn eine Veranstaltung gab, an der ausländische Antifaschisten teilgenommen haben: am 25. Januar in Budapest auf dem Gólya.“
In der linksextremistischen Szene wird der Prozeß um die „Hammerbande“ als „Antifa-Ost-Verfahren“ bezeichnet. Es gibt sogar eine eigene Internetseite, soli-antifa-ost.org, die akribisch jeden Prozeßtag in Dresden dokumentiert. Am 15. Februar veröffentlichten Linksextremisten auf der Seite einen Text mit der Überschrift: „Solidarität mit den verhafteten Antifschist:innen in Ungarn“. Der Grund für ihren publizistischen Einsatz mögen zwei Hausdurchsuchungen sein, die am selben Tag in Berlin durch sächsische und Berliner Polizisten stattgefunden haben. Die stünden, so die Linksextremen, im Zusammenhang mit den Verhaftungen der „Antifas“ in Ungarn.
Nicht auskunftsberechtigt – Behörden mauern
Deutsche Sicherheitsbehörden, die wir anfragten, bleiben zugeknöpft: Die Polizei Berlin rät, die Polizei Sachsen anzurufen. In Leipzig wurde schließlich Lina E. im November 2020 im berüchtigten linksextremistischen Stadtteil Connewitz festgenommen. Die Leipziger Polizei rät, das Bundeskriminalamt (BKA) anzurufen. Die würden sich in diesem Fall Presseauskünfte vorbehalten. Das BKA weist schon am Telefon darauf hin, daß es sich grundsätzlich nicht zu laufenden Ermittlungen äußere.
Welchen Sinn dann überhaupt eine Pressestelle im BKA habe, läßt der höfliche Beamte am Telefon unbeantwortet. Die schriftliche Beantwortung unserer Anfrage ans Bundeskriminalamt läßt dementsprechend nicht lange auf sich warten: „Bitte wenden Sie sich mit den Fragen an die Pressestelle der Staatsanwaltschaft Berlin.“ Anruf bei der Pressestelle der Generalstaatsanwaltschaft in Berlin. Der Pressesprecher bittet ebenfalls um eine schriftliche Anfrage und versichert, daß wir eine Auskunft in Kürze bekommen. Da heißt es dann: „Wenn es Durchsuchungen aus einem in Budapest geführten Verfahren waren, könnte es sein, daß wir von den ungarischen Behörden im Rahmen der Rechtshilfe, beispielsweise durch eine Europäische Ermittlungsanordnung, um Vornahme der Durchsuchung ersucht worden sind“, so die Pressestelle der Generalstaatsanwaltschaft. „Dann handelt es sich aber gleichwohl um einen Vorgang, zu dem wir nicht auskunftsberechtigt sind. Die Frage der Durchsuchungen in Berlin müßten Sie daher an die zuständigen Kolleg:innen in Budapest richten.“ Nun, auch die Budapester Behörden ließen bisher alle Anfragen unbeantwortet. Das Schweigen der Behörden scheint also nicht nur eine speziell deutsche, sondern auch eine ungarische Vorgehensweise zu sein.
Ungeachtet dessen wird der Prozeß um die Hammerbande in Dresden fortgeführt. Mit dem Urteil ist im Mai zurechnen, jedenfalls sind bis dahin Verhandlungstage terminiert. Doch ein Prozeß ergibt den nächsten. Die Leipziger Volkszeitung berichtet, daß in einem sogenannten Folgeverfahren gegen potentielle Mittäter der Hammerbande ebenfalls die Generalbundesanwaltschaft die Ermittlungen führe. Im Fokus stehe Henry A., der in der betreffenden Zeit für die Leipziger Stadtverwaltung gearbeitet haben soll. Aber auch hierzu wollte die Generalstaatsanwaltschaft keine öffentlichen Auskünfte erteilen, so die Zeitung.
Aber auch die Antifa bleibt nicht untätig. Vom 15. auf den 16. Februar entdeckt ein Hubschrauber der Bundespolizei auf einem Kontrollflug mittels einer Wärmebildkamera zwei verdächtige Personen. Sie kauern sich zwischen Gleise in Berlin-Adlershof. Die Beamten können einen Mann und eine Frau, Daniel K. (31) und Eva H. (32), festnehmen, berichtet die Bild-Zeitung. In einem Rucksack sind zwei Liter Kraftstoff, Kleidung zum Wechseln und auf einem „zweiseitig bedruckten DIN-A-4-Blatt“ sind Dutzende von Kennzeichen von zivilen Fahrzeugen der Berliner Polizei. Die beiden polizeibekannten Linksextremisten hatten, so die Zeitung, eingeschaltete Funksprechgeräte dabei.
Fotos: Festnahme eines Verdächtigen: In dessen Gepäck fanden sich Teleskopschlagstock, gummibeschichteter Hammer und Reizgas; Festnahme: Am 6. November 2020 führen Bundespolizisten die Rädelsführerin Lina E. vor den Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Die Studentin soll Chefin der „Hammerbande“ sein (l.) / Fahndung: Mit diesen Fotos (oben) sucht die ungarische Polizei nach den untergetauchten Linksextremisten Clara Wittkugel (l.) und Moritz Schröter