Noch drehen sich die Baukräne. In den Innenstädten verschwinden grüne Oasen, es wird verdichtet, was das Zeug hält. Im Dresdner Barockviertel sind gerade die Königshöfe mit 192 Wohnungen fertiggestellt worden. Jubel kommt trotzdem keiner auf. Bauinvestitionen sind unattraktiv wie lange nicht. Bei Wohnungen liegen die erreichbaren Mieten unterhalb der Kosten, Projektkalkulationen zerbröseln. Diese Signale spiegeln sich auch im 20. Frühjahrsgutachten des Zentralen Immobilien-Ausschusses (ZIA) wieder, das jährlich Daten zu Bruttoproduktionswert, Beschäftigten und Immobilienbestand erfaßt und analysiert.
„Die vielen Stimmen, die über aktuellen Mangel an Wohnraum in Deutschland klagen, könnten sich inzwischen zu einem stattlichen Chor formen“, warnt ZIA-Präsident Andreas Mattner. Besorgniserregend sei, daß die Bauinvestitionen 2022 um 1,4 Prozent zurückgingen – für dieses Jahr wird ein realer Rückgang von 2,5 Prozent erwartet. Kostentreiber seien Materialmangel, Preissteigerungen bei Baustoffen, fehlende Baukapazitäten und Personalmangel. Und: „Projektentwicklern und Wohnungsunternehmen fehlen die Anreize zu bauen, weil zum einen die Aussicht auf sinkende Immobilienpreise bei steigenden Baukosten und teuren (Zwischen-)Finanzierungen riskant ist“, erläutert der Ökonom Lars Feld.
Es fehlen Wohnungen für 1,4 Millionen Menschen
„Zum anderen ist die Toleranz für höhere Mieten angesichts der hohen Inflation und niedriger Realeinkommen gering, und das schmälert die Mietenrenditen bei gleichzeitig steigenden Zinsen“, so der frühere Chef der „Wirtschaftsweisen“. Dabei gehöre „erschwinglicher, klimagerechter Wohnraum zu den Basics eines guten Zusammenlebens der Gesellschaft“, findet Mattner. Wenn die Kluft zwischen Kostenmieten und tatsächlichen Mieten wachse, werde „in diesem Land mehr ins Stocken geraten als nur die Immobilienwirtschaft“. Und Harald Schramm, Vizechef der Gewerkschaft IG Bau sekundiert: „Das fliegt uns um die Ohren – noch in diesem Jahr.“ Das „Nicht-wohnen-Können ist sozialer Sprengstoff“. Denn Ende 2022 hatte Deutschland 84,3 Millionen Einwohner – 2010 waren es nur 80,3 Millionen gewesen.
Voriges Jahr kamen 1,4 Millionen Menschen mehr nach Deutschland, als ins Ausland fortgezogen sind. Damit war die Nettozuwanderung viermal so hoch wie 2021. Hinzu kommt die Binnenwanderung in jene Regionen, wo es Arbeit gibt. Wenn es so weitergehe, würden 2025 etwa 700.000 Wohnungen fehlen, prognostiziert der ZIA. Sprich: Es fehlen Unterkünfte für 1,4 Millionen Menschen. Wenn mehr gebaut werden soll, müßten die Lieferkettenprobleme bewältigt, die Energie- und Rohstoffpreise sinken und die Zinsen ein stabiles Niveau erreichen. Die Politik müßte überdies die Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen und für eine Digitalisierung von Bauanträgen sorgen.
Und was sagt die SPD-Bauministerin Klara Geywitz dazu? Das Gutachten zeige, „unser Weg, mit kluger Angebotspolitik gute Rahmenbedingungen zu schaffen, ist richtig“. Ihr Ministerium setze sich zudem für den erleichterten Umbau und die Aufstockung zur Nachverdichtung, einheitliche Typengenehmigungen und das serielle Bauen ein. Ampel-Ministerin und der ZIA fordern also Plattenbau à la DDR oder französischer Banlieues: „Deutschland muß endlich, wie versprochen, modularem und seriellem Bauen das nötige Gewicht geben.“
Es geht nicht um Ästhetik, sondern um Wohnraum in Schnellbauweise für den Millionenzuzug. Denn „es wird schlimm“, warnt Mattner. Es sei „nicht mehr kurz vor zwölf, und es ist auch nicht zwölf“, sondern „irgendwie sowas wir Viertel nach drei, und um sechs gibt es ein ganz schlimmes Erwachen“. Gleichzeitig stiegen die Mieten im Bestand auf einen Quadratmeterpreis von durchschnittlich 9,10 Euro – 5,2 Prozent mehr als 2021. Der Markt für Wirtschaftsimmobilien ist Ende 2022 ebenfalls eingebrochen. Und die Perspektiven für Hotelbauten schätzt das Gutachten als „noch unklar“ ein.