In vier Jahren wird Indien – Wirtschaftsleistung 2022: 3,47 Billionen Dollar – Deutschland (4,03 Billionen) überflügeln. Das prognostiziert die Investmentbank Morgan Stanley. Daher geht Air India auf Einkaufstour: 140 A320, 70 A321 und 40 große A350 wurden bei Airbus bestellt. Boeing soll 190 Mittelstreckenflieger der 737max-Reihe sowie 20 Dreamliner 787 und zehn große 777 liefern. Der Vertrag enthält auch eine Option für 370 zusätzliche Airbus- und Boeing-Jets, was die Gesamtzahl auf 840 erhöht – es ist die größte Flugzeugbestellung aller Zeiten und nur konsequent: Der Wohlstand des 1,4-Milliarden-Einwohnerlandes wächst. Von der Softwaremetropole Bangalore im Süden bis zur Hauptstadt Neu-Delhi sind es 2.100 Kilometer Fahrstrecke.
Während die EU Kurzstreckenflüge verbieten will, hofft Indien, ein internationales Drehkreuz wie Doha (Qatar Airways) oder Dubai (Emirates) zu werden. Aber das dürfte schwierig werden, denn in Asien steigt das Passagieraufkommen zwar rasant, doch die meisten dortigen Großflughäfen haben ihr Ziel eines dominanten internationalen Drehkreuzes verfehlt. Indien hat allerdings einen Startvorteil: Delhi und Bombay führen die Rangliste der bestvernetzten Drehkreuze Asiens an. Grund dafür sind Inlandsflüge innerhalb des Subkontinents mit der sechsfachen Fläche Deutschlands. Will Air India auch international mithalten, muß es seine Qualität verbessern. Auf nur drei Sterne kommt die Gesellschaft bei Skytrax, Qatar auf die Höchstnote von fünf; Emirates und Lufthansa kommen nur noch auf vier. Air India kann den Aufstieg ins obere Mittelfeld durchaus schaffen. Der Absturz nach dem Einstieg des Staats ist ein Schicksal, das Air India mit der Lufthansa teilt. 1932 von einem indisch-französischen Sproß der Industriellenfamilie Tata (Jaguar, Land Rover, Stahl) gegründet, wurde die Fluggesellschaft 1953 verstaatlicht und zum Verlustgeschäft. Ab dem Jahr 2000 wurde Air India im Zuge der Privatisierung von den Tata zurückgekauft – und die Eigner setzen jetzt auf aggressives Wachstum. Das ist riskant, wie der Zusammenbruch des Adani-Imperiums (JF 8/23) zeigt. Doch in einer stark wachsenden, mit billiger russischer Energie versorgten Wirtschaft stehen die Chancen gut.
Indiens steigender Wohlstand seit dem Ende der sozialistischen Experimente gefällt nicht jedem. Die NGO Oxfam nahm sich in ihrem zum Weltwirtschaftsforum in Davos veröffentlichten „Ungleichheitsbericht 2023“ Indien vor und forderte eine Vermögenssteuer. Grund für den Fokus auf Indien dürfte der Absturz der Finanzmärkte der Industrieländer sein, durch den die Wohlhabenden 20 Prozent ihrer Vermögenswerte einbüßten, während Indiens Börse nach wie vor bei den Höchstständen von 2021 verweilt.
Das Oxfam-Jammern über Ungleichheit läßt die tatsächlichen Fortschritte des Landes unter den Tisch fallen. Der Anteil der Bevölkerung in extremer Armut wurde laut Weltbank zwischen 2011 und 2019 um zwölf Prozentpunkte reduziert. Die Mittelschicht wuchs zwischen 2004 und 2021 von 14 auf 31 Prozent der Bevölkerung, sie soll sich bis 2047 auf zwei Drittel verdoppeln. Seit den 1970er Jahren kamen immer mehr japanische Touristen nach Neuschwanstein, so wie deutsche Touristen das Taj Mahal bewunderten. Bis zur Covid-Krise wuchs die Zahl chinesischer Reisegruppen rasant an. Künftig wird wohl Air India Touristen nach Deutschland einfliegen – wenn nicht gerade Klimakleber die Landebahn blockieren.