Beim Thema Beschleunigung zeigt Bundes-innenministerin Nancy Faeser der Ampelkoalition, wo es langgeht. Während Grüne und FDP erbittert über einen schnelleren Autobahn-Neubau streiten, will die SPD-Politikerin mit tatsächlichen oder vermeintlichen Extremisten in der Bundesverwaltung kurzen Prozeß machen. Die Disziplinarklage vor den Verwaltungsgerichten soll ersetzt werden durch die Disziplinarverfügung der Vorgesetzten. Verwaltungsakt statt Verwaltungsgericht. Ein Systemwechsel.
Im „Kampf gegen Rechts“ schreckt die Ampel nicht davor zurück, die in der Verfassung verankerten hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums aufzuweichen. Diese regeln das Recht des öffentlichen Dienstes. Dazu zählt auch der gerichtliche Rechtsschutz.
Seit Jahrzehnten muß der Vorgesetzte Disziplinarklage vor dem Verwaltungsgericht gegen Bundesbeamte erheben, wenn er diese aus dem Staatsdienst entfernen will. Dieses Verfahren dauert der Innenministerin zu lange. Ihr Gesetzentwurf sieht vor, daß der Dienstherr eine solch schwerwiegende Maßnahme, aber auch Zurückstufungen oder die Aberkennung des Ruhegehalts künftig direkt durch eine Disziplinarverfügung anordnen kann. Ist der Beamte damit nicht einverstanden, kann er klagen. „Nachgelagerter Rechtsschutz“, heißt es im Entwurf, der freilich das Prozeßrisiko von der Behörde auf den Beamten abwälzt. Die Gefahr einer staatlichen Überreaktion sieht Faeser nicht, obwohl laut Regierungssprecher Steffen Hebestreit Verstöße gegen die Verfassungstreuepflicht „im Verhältnis zur Gesamtzahl der Bundesbeschäftigten nur sehr, sehr selten auftreten“.
Faeser geht aber noch weiter. Der Beamte soll sogar ohne Disziplinarverfügung vorläufig des Dienstes enthoben werden können, wenn „im Disziplinarverfahren voraussichtlich die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis … erfolgen wird“. Damit verbunden ist eine Streichung der Bezüge um 50 Prozent. Entlarvend liest sich die Begründung des Entwurfs. Die Unschuldsvermutung stehe dem nicht entgegen, da eine vorläufige Dienstenthebung keine Disziplinarmaßnahme sei, sondern „eine Verwaltungsmaßnahme sui generis, die der Sicherung … des Ansehens der öffentlichen Verwaltung … dient“. Der Begriff „sui generis“ meint „eigene Gattung“ und wird unter Juristen oft als Verlegenheitsbegründung benutzt.
Die Absicht der SPD-Ministerin ist klar: Über schwerwiegende Maßnahmen wie den Verlust der Beamteneigenschaft sollen ihre Hausjuristen, nicht aber unabhängige Richter entscheiden. Von der Judikative zur Exekutive. Gewaltenteilung – nein danke. Die Ministerin befürchtet „die Gefahr von Begründungsdefiziten“ in gerichtlichen Verfahren. Dann doch lieber den eigenen Juristen vertrauen, damit „disziplinarrechtliche Fachkenntnisse gezielter aufgebaut und genutzt“ sowie „Wertungswidersprüche“ vermieden werden.
Das Mißtrauen gegenüber der dritten Gewalt prägt den Gesetzentwurf. Nach der bisherigen Regelung kann das Verwaltungsgericht die Disziplinarmaßnahme der Behörde auf ihre Zweckmäßigkeit überprüfen und abmildern. Dies soll künftig ausgeschlossen sein. Die Richter sollen nur die formale Rechtmäßigkeit überprüfen. Verstößt also die Sanktion der Behörde gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, ist das Gericht machtlos. Alles andere „würde die volle Disziplinarbefugnis des Dienstherrn in Frage stellen“, heißt es in dem Entwurf.
Nicht verändern will Faeser den automatischen Verlust der Beamteneigenschaft bei einer strafrechtlichen Verurteilung zu mindestens einem Jahr. Mit einer Ausnahme. Nach dem erst kürzlich verschärften Paragraphen „Volksverhetzung“ (§ 130 Strafgesetzbuch) soll wie etwa bei Friedensverrat oder Hochverrat eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten zum Verlust des Beamtenstatus führen.
Beamtenbund kritisiert „Botschaft des Mißtrauens“
„Wir lassen nicht zu, daß unser Rechtsstaat von innen heraus durch Extremisten sabotiert wird“, begründete Faeser den Kabinettsbeschluß. Wer den Staat ablehne, könne ihm nicht dienen. Ihre Reform orientiert sich ausdrücklich an den grün-schwarzen Vorreitern in Baden-Württemberg. Die Landesregelung sei vom Bundesverfassungsgericht gebilligt worden. So sieht sich Faesers grünen Koalitionspartner zu „Nachschärfungsbedarf“ herausgefordert, wie es deren Obmann im Bundestagsinnenausschuß, Marcel Emmerich, formulierte. „Dabei geht es um die Entfernung von Mitgliedern verbotener Vereinigungen, weitere gravierende Straftatbestände, die zur sofortigen Entlassung führen und die Frage, wie man Beamte im Ruhestand stärker in Verantwortung nehmen kann.“
Die Gewerkschaften sind sich einig, Extremisten dürften das Ansehen des öffentlichen Dienstes nicht beeinträchtigen. Der Deutsche Beamtenbund (dbb) kritisiert aber eine „komplette Kehrtwende“ im Disziplinarrecht, die „eine Botschaft des Mißtrauens sowohl an die Beschäftigten als auch an die Bürger sendet – obwohl es sich nur um Einzelfälle handelt“. Im Jahr 2021 habe es 25 Disziplinarklagen (0,01 Prozent der Beamten) gegeben. „Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ging es dabei auch nicht ausschließlich um verfassungsfeindliche Positionen oder Handlungen“, so der dbb, der über 1,3 Millionen Mitglieder vertritt.
Und in den besonders sensiblen Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern wurden laut einem Lagebericht des Verfassungsschutzes vom vergangenen Jahr bei 327 Bediensteten „tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung festgestellt“ und 500 arbeits- und disziplinarrechtliche Maßnahmen eingeleitet (JF 21/22). Zum Vergleich: Dort sind 642.900 Frauen und Männer beschäftigt.