© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/23 / 24. Februar 2023

Ländersache: Berlin
Das ist ja ein Ding
Peter Freitag

Die Einweihung einer neuen Polizeiwache wäre in jeder anderen Stadt den Medien eine kleine Bildnachricht wert – in Berlin ist sie ein Politikum. Zumindest, wenn sich die Behausung der Ordnungshüter am Kottbuser Tor befindet, mitten im Stadtteil Kreuzberg mit seinem Revoluzzer-Image.

Zur symbolischen Schlüsselübergabe durch Innensenatorin Iris Spranger (SPD) gab’s gleich eine Präsentation örtlicher Zahlenverhältnisse: Um eine mit drei Polizisten besetzte Wache einzuweihen, brauchte es 350 Beamte zur Bewachung, weil 200 Gegendemonstranten ihrem Unmut („Haut ab, haut ab!“) Luft machten. 

Auf deren Transparenten wurde gegen Kapitalismus, Rassismus sowie „Gentrifizierung“ gewettert, und Polizisten wurden als Mörder beschimpft. Pikant: Auf der Gegendemo sprach auch ein Abgeordneter der Linkspartei, die – noch – in einer Koalition mit der SPD der Innensenatorin regiert. Die Sozialdemokraten hatten das Vorhaben im Koalitionsvertrag den beiden Partnern abgerungen. Gerade die Anwohner und Ladenbesitzer dort, viele von ihnen mit Migrationshintergrund, hätten sich eine rund um die Uhr besetzte Wache gewünscht, heißt es zur Begründung. Entsprechend multikulturell steht das Wort „Polizeiwache“ in sechs Sprachen am Eingang. „Diese Eröffnung macht mich unwahrscheinlich stolz“, bekennt die Senatorin. 

Untypisch für die Hauptstadt: Sowohl Baukosten als auch Bauzeit blieben im Rahmen dessen, was man eingeplant hatte: 3,24 Millionen Euro und ein Jahr. Dafür gab es unter anderem Sicherheitsglas und einen Vernehmungsraum, allerdings keine Zelle für Ingewahrsamnahmen.

Das Kottbusser Tor, im typischen Berliner Diminutiv nur „Kotti“ genannt, ist strenggenommen ein Verkehrskreisel mit U-Bahnhof und Betonummantelung. Unweit liegen Oranienstraße und Mariannenplatz, einst Zentren der linksradikalen Hausbesetzerszene. Daß die Alternative in Form von Abriß der Gründerzeitbauten und Hochhausneubau auch nicht besser war, kann man an jenem Gebäuderiegel namens „Kreuzberg Zentrum“ besichtigen, in dem das neue Revier eingezogen ist. 

Zu den Kritikern der „Kotti“-Wache gehört interessanterweise auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP). Das Ganze sei eigentlich reine Symbolpolitik des Senats, heißt es aus der Berliner Landesgruppe. Sprecher Benjamin Jendro monierte: „Letztlich bekommen wir nicht mehr Polizei auf die Straße.“ Dort allerdings wären die Schutzleute dringender vonnöten als zwei Stockwerke darüber. Nach wie vor zählt der Kotti zu den Kriminalitätsschwerpunkten der Hauptstadt. Drogenhandel und -konsum, dazu – zum Teil als Folge – Diebstahlsdelikte und Gewalt.

Was zur Begrüßung der neuen Wache fehlte, war ein „Bääm, da ist das Ding!“ Mit diesen Worten hatte die grüne Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann im Dezember einen nach fünf Jahren Planungszeit auf der Grünfläche am Kotti errichteten Klo-Container samt Frauen-Stehpissoir gefeiert. Aber so verschieden werden nun einmal die Prioritäten gesetzt in Berlin.