© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/23 / 24. Februar 2023

Der nächste Albtraum
Fabian Schmidt-Ahmad

Wuscheliges, leicht graumeliertes Haar, Brille, Dreitagebart, Berufsbild Lehrer – ja, daß Jens Marco Scherf bei den Grünen ist, glaubt man sofort. Doch sobald der Endvierziger den Mund aufmacht, ist es mit dem Klischee vorbei. Denn was der Landrat aus dem unterfränkischen Miltenberg zu berichten hat, klingt so gar nicht nach dem multikulturellen Idyll, in dem sich Grüne sonst gerne verlieren. An dem sie vielleicht hinter vorgehaltener Hand Kritik wagen, nicht aber öffentlich, denn das würde ja nur „den Falschen nützen“ und so weiter ... 

Solche Rücksicht kennt Scherf nicht, wovon sich jüngst die Zuschauer bei Markus Lanz überzeugen konnten. „Wir sollten Kontrolle darüber haben, wer in die EU kommt“, bekennt er, um dann das schier Unglaubliche anzufügen: „Wenn am Ende dazu Zäune nötig sind, ist das für mich nicht schändlich.“ Da lag sie, die erste Heilige Kuh der Grünen, hingemordet – und sie blieb nicht die letzte. Angesprochen auf Friedrich Merz als „rassistisch“ kritisiertes Wort von den „kleinen Paschas“, korrigierte Scherf, auch wenn er selbst den Begriff vermied, bei einigen der Gemeinten sei das „eigentlich noch verniedlichend umschrieben“. Und angesichts der geheuchelten Ahnungslosigkeit der linken Schickeria, woher vor allem der seit Jahren wachsende Judenhaß kommt, klärte er auf: „Gewisse Männer meinen, eine Muslimin darf mit jüdischen Menschen nicht reden.“ Habe sie doch Umgang mit ihnen, „wird das der Familie gesteckt und hat negative Konsequenzen“. Alles, was Grüne nicht gerne hören – dieser Grüne spricht es aus. Schon im Januar hatte er für Aufmerksamkeit gesorgt, als er an Kanzler Scholz schrieb, daß die Massen an Einwanderern für die Kreise und Kommunen nicht mehr zu stemmen seien. 

„Wir müssen den Mut haben, Mißstände offen anzusprechen, ohne dafür diffamiert zu werden.“

Durchsetzungsvermögen hat der Franke bereits bewiesen, als er sich 2014 im schwarzen Bayern mit einer Handvoll Stimmen gegen die CSU durchsetzte. Da war er schon zwanzig Jahre in der Partei. Was folgte, war Politik für die Bürger, die gut ankam. 2020 bestätigten sie ihn im Amt: Einer von uns! Geboren wurde der Deutsch-, Religions- und Geschichtslehrer 1974 in dem 130.000-Seelen-Kreis, den er heute regiert. Hier gründete er eine Familie, hier arbeitete er bis zu seiner Wahl als Schulrektor. Sein Studium im sechzig Kilometer entfernten Würzburg war sein fernster biographischer Ausflug. Mehr Heimatverbundenheit geht nicht!

Soviel bodenständiger Rückhalt dürfte es Gegnern schwermachen, dem Mann über den Mund zu fahren. Das Geheimnis seines Erfolgs? „Ausgangspunkt meiner Arbeit ist nicht die grüne Blase, nicht die Partei“, stellt Scherf klar, „vielmehr habe ich eine Verantwortung für meinen Landkreis. Politik fängt mit der Beschreibung der Wirklichkeit an.“ Es gibt ihn also noch, sogar bei den Grünen, den Politiker aus Pflichtgefühl gegenüber dem Gemeinwesen, in das er geboren wurde, dem er angehört und das er verteidigen will. „Wenn Integration gelingen soll, müssen wir Mißstände offen ansprechen, ohne dafür diffamiert zu werden“, fordert er. Mit dem innerparteilichen Albtraum der Grünen, Boris Palmer, und anderen hat Scherf nun auch noch ein „Memorandum für eine andere Migrationspolitik“ veröffentlicht, das viele Grüne rot vor Zorn werden lassen dürfte. Es sieht ganz so aus, als ob die Partei noch viel Freude mit ihrem Landrat haben wird.