© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 8/23 / 15. Februar 2023

Wenn die Gäste verrückt werden
Wintersportsaison: Einst galt Après-Ski als Veranstaltung der Reichen und Schönen
Boris T. Kaiser

Was im Sommer die berauschten Feiern auf Mallorca oder Ibiza sind, ist im Winter der Après-Ski in den deutschen, österreichischen und Schweizer Skigebieten. Wer dort seinen Winterurlaub bucht, dem geht es in der Regel neben dem sportlichen Hinuntergleiten von den schneebefallenen Bergen auch um maximalen Jagertee-Konsum, ausgedehnten „Matratzensport“ und Party bis der Arzt kommt. Oft im wahrsten Sinne des Wortes. Vor allem dann, wenn sich die schwer beschwipsten Saison-Touristen nach einem ausgedehnten Hütten-Aufenthalt im Bar-Iglu, doch noch daran erinnern, daß sie zu Hause erzählt haben, sie würden zum Skifahren oder Snowboarden gehen. 

Der berühmte doppeldeutige Satz von Heinz Maegerlein „Tausende standen an den Hängen und Pisten“ kann hier schon mal sehr eindeutige Züge bekommen, wenn sich die menschlichen Pistenraupen in Skianzügen aufschwingen, um die Abhänge unsicher zu machen. Auch die musikalische Untermalung dieses Schauspiels ist weitgehend deckungsgleich mit der Feten-Mucke, die bei den Massenbesäufnissen am Ballermann zu hören ist. Kurzum: Après-Ski bedeutet oft Eskalation pur fürs vom biederen und mühseligen Arbeitsalltag geschundene Party-Volk.

Sogar olympisch ging es früher bei den Treffen her

All das war aber nicht immer so, auch wenn man es sich heute kaum noch vorstellen kann. Es gab mal eine Zeit, in der das winterliche Freizeitvergnügen fast so etwas Vornehmes war wie das gemeinschaftliche Zigarren-Paffen im gediegenen Herrenclub oder der nur den erlesensten Gästen vorbehaltene Umtrunk in einem der pompösen Luxus-Yachthäfen dieser Welt. Also ein Privileg, das ausschließlich den sogenannten Reichen und Schönen vorbehalten war. 

Ihren Ursprung haben die Après-Ski-Feiern zwischen 1895 und 1924, dem Jahr der ersten Olympischen Winterspiele in Chamonix. Daher auch der französische Name der heute so auf Breitentauglichkeit getrimmten Events. Damals beschrieb dieser das abendliche Zusammenkommen bei Getränken und Essen, um den kalten Sport- oder Urlaubstag Revue passieren zu lassen. Wohl wegen seines exotischen Klangs, so glauben Experten, übernahmen zahlreiche Alpen-Wirte den französischen Begriff, um für ihr Angebot zu werben.

Im neonfarbenen Sportdreß oder in schweißfleckiger Funktionswäsche hätte sich damals auf den  vergnüglichen Feierlichkeiten niemand blicken lassen dürfen. Die Trikots waren zu dieser Zeit noch aus schwerem Strick und wurden als Teil eines elegant-legeren Gesamtensembles getragen. Ansonsten trugen die Damen oft noch Kleid oder Rock, gerne auch noch ungeniert Pelz, während die Herren in Kombinationen aus hochwertiger Baumwolle zu dem geselligen Beisammensein erschienen. Uneinig sind sich die Historiker darüber, ob die Herrschaften dabei in erster Linie Glühwein oder Punsch tranken. Sicher ist nur, Jägermeister-E, Alkopops, Lumumba oder süßlich-klebrige Biermischgetränke kamen noch nicht in die Tüte beziehungsweise das Glas oder die Tasse.

Der Schriftsteller Erich Kästner widmete dem elitären Treiben in den Skihüten in seinem 1930 erschienenen Gedichtband „Ein Mann gibt Auskunft“ das Werk „Maskenball im Hochgebirge“. Doch schon damals war es eine Art Spottgesang auf die Bergtouristen aus der Stadt und ihre skurrilen Verkleidungen und Rituale. „Eines schönen Abends wurden alle Gäste des Hotels verrückt, und sie rannten schlagerbrüllend aus der Halle in die Dunkelheit und fuhren Ski“, heißt es darin. 

Manches ist dann eben doch gar nicht so neu. Auch wenn der Poet noch von der mitgefahrenen Jazzkapelle sprach und nicht von Party-Kombos wie den „Zipfelbuben“ oder „Almklausi und Specktakel“. Kästner läßt am Ende seines Stückes „der Natur die Geduld“ reißen, so daß sie die „blöde Bande“ einfach mit einer Lawine zudeckt. Aber auch er wußte damals schon makaber, daß dadurch lediglich „ein paar Zimmer“ für die nächsten Gäste frei werden. Die Party geht immer weiter.

Foto: Winterurlauber 1957: Feuchtfröhliches als Lockangebote der Hotelwirte, ki auf einer Hütte: Hochprozentiges in Funktionskleidung