Vier bis fünf Windkraftanlagen (WKA) pro Tag sollen bis 2030 errichtet werden. Diese „Vision für eine beschleunigte Energiewende“ offenbarte Olaf Scholz kürzlich Bild am Sonntag-Lesern. Das wären dann – zusätzlich zu den vorhandenen 31.000 – weitere 24.000 WKA, für die das am 1. Februar in Kraft getretene „Wind-an-Land-Gesetz“ den Weg freimachen soll. Es verpflichtet die Länder, bis Ende 2032 so viele Ausbauflächen auszuweisen, daß bis dahin zwei Prozent des Bundesterritoriums für Windstromerzeugung zur Verfügung stehen.
Die Bundesregierung, so verkündet der Kanzler in der markigen Diktion des Planwirtschaftlers, werde künftig das Erreichte in jedem Monat bewerten. Weiterhin gelten zwar Mindestabstände zu Siedlungen, das dürfe aber nicht dazu führen, daß weniger Fläche bebaut werde. Der „Fachkräftemangel“ dürfte den grünen Deindustrialisierungsminister Robert Habeck jedoch bald ausbremsen – und für die gigantische Materialschlacht fehlt es an Nachschub bei Beton, Stahl und anderen Rohstoffen. Es sei denn, die Ampel-Koalition setzt eine bereits in der Merkel-Ära begonnene Strategie fort, die der neomarxistische Publizist Tomasz Konicz als „nachhaltiges Plündern“ attackiert (Konkret, 1/23).
Klimaneutrale Kollateralschäden für Mensch und Natur
Beim Wettlauf um die Lagerstätten „klimaneutraler“ Energieträger seien Politik und Firmen in den „kapitalistischen Zentren“ des globalen Nordens nicht zimperlich. Daher würde das „nachfossile Zeitalter“ durchaus einem „grünen Klimaimperialismus“ ähneln, so wie Habecks Visite in Namibia, dem früheren Deutsch-Südwestafrika, zeige. Dort will die Bundesrepublik zehn Milliarden Euro in eine Fabrik für Wasserstoff (H2) investieren. Die für Habeck nur Gewinner kenne, da der dort erzeugte Strom zuerst die Energieversorgung Namibias und Südafrikas verbessern und dort Arbeitsplätze schaffen soll. Deutschland kaufe lediglich die Überschußproduktion auf und transportiere sie nach deren Synthetisierung in „grünen Ammoniak“ (NH3) per Schiff ab.
Vielleicht ist dieses H2-Projekt ohne Kollateralschäden für Mensch und Natur zu realisieren, die Regel wäre es nicht. Die „mitunter verzweifelten Versuche“ der Bundesregierung, der heimischen Wirtschaft mittels neuer geopolitischer Ausrichtung eine Transformationsperspektive zum „klimaneutralen Kapitalismus“ zu eröffnen, bleiben für Konicz vielmehr alten imperialistischen Ausbeutungsmustern treu. Indirekt werde die Energiewende sogar durch Kinderarbeit in der Demokratischen Republik Kongo (bis 1960 belgische Kolonie) ermöglicht, wo 70 Prozent der weltweiten Vorkommen an Kobalt (Co) liegen. Chinesische Firmen lassen dort Co-Erz durch Kinder abbauen. Westliche Konzerne wie Tesla kommen über Mittelsmänner an das ferromagnetische Übergangsmetall.
Ein weiterer Hotspot der globalen Jagd nach „grünen“ Rohstoffen ist das Armenhaus Bolivien, das über große Lithium-Vorkommen verfügt. Der Putsch gegen den linken Präsidenten Evo Morales 2019 zeige, so suggeriert Konicz, daß der grüne Imperialismus auch auf die brutalen Methoden seines historischen Vorbildes zurückgreife. Und dann stellt der in Allenstein geborene Pole, der sich mit Büchern wie „Faschismus im 21. Jahrhundert“ oder „Klimakiller Kapital“ einige Linke zum Feind gemacht hat, eine gewagte Frage: Könnten nicht grüne Rohstoffe auch beim „imperialistischen Angriffskrieg Rußlands in der Ukraine“ eine Rolle spielen?
Die Ex-Sowjetrepublik verfügt über Vorkommen von Kobalt, Lithium, Titan, Beryllium und Seltenen Erden, deren Wert auf 6,7 Billionen Euro geschätzt wird. Mitte 2021 schloß Kiew eine Partnerschaft mit der EU über die Ausbeutung dieses Rohstoffschatzes ab, und im Herbst 2021 wurden auf ersten Auktionen Erkundungsrechte versteigert. Viele von ihnen liegen in den von Rußland annektierten Gebieten. Putin habe somit Hand auf das „Rückgrat der Energiewende im Westen“ gelegt. Was kürzlich sogar eine deutsche Politologin in der Zeit erkannte. Nur habe sie sich nicht getraut zu fragen, inwiefern die Lagerstätten bereits 2013/14 ins Gewicht fielen, „als Berlin, Brüssel und Washington die gewählte prorussische Regierung in Kiew stürzen ließen, um einen prowestlichen Regime Change zu organisieren“.
Die „Klimakrise“ und die zu ihrer angeblichen Bewältigung inszenierte „Weltrettung“ heize aber nicht nur zwischenstaatliche Konflikte an. Die Rohstoffjagd öffne auch immer neue Weltregionen für den „Klima-Imperialismus“. Etwa die Arktis, wo die rasch abtauende Eisdecke seit Jahren die Begehrlichkeiten der Anrainer weckt, von denen Rußland und die USA auch militärisch präsent sind. Es geht um strategische Schiffahrtsrouten und um Rohstoffe. Derzeit sucht die australische Firma Greenland Minerals auf Grönland nach Seltenen Erden und hofft auf Förderalternativen zur chinesischen Dominanz bei diesen Sondermetallen.
Vorstoß in Arktis und Tiefsee kann wachsenden Bedarf nicht sichern
2024 wolle die kanadische Metals Company im Pazifik damit beginnen, Nickel, Kupfer, Mangan und Kobalt abzubauen, obwohl die Folgen dieses gewaltigen Eingriffs in ozeanische Ökosysteme, der den Bau von 280 Millionen E-Autos weltweit ermöglichen soll, unabsehbar seien. Konicz ist ein Schüler des 2012 verstorbenen Globalisierungskritikers Robert Kurz, der als Verfasser eines „Schwarzbuchs des Kapitalismus“ (1999) bekannt wurde. Der bayrische Marxist prognostizierte in den 1980ern kühl das unvermeidliche Ende der Ostblock-Ökonomie und baute seine Einsichten in die Misere der „kasernensozialistischen“ Planwirtschaft zur „Zusammenbruchstheorie“ der modernen Weltgesellschaft aus. Demnach werde auch das kapitalistische System einen letalen Kollaps erleiden, wenn es die „Grenzen des Wachstums“ nicht respektiere.
Entsprechend argumentiert Konicz. Selbst der Vorstoß in Arktis und Tiefsee werde den wachsenden Bedarf des grünen Kapitalismus nicht stillen. Denn es gehe ihm nicht um menschliche Bedürfnisse, sondern darum, in einem endlosen Verwertungsprozeß Rohstoffe zu verfeuern, um aus Geld mehr Geld zu machen. Daher entpuppe sich diese „ökologische“ Variante des Kapitalismus gerade am Beispiel des E-Autos als Wahn angesichts des Umstands, daß grenzenloses Wachstum auf einem begrenzten Planeten nicht machbar sei. Zumal unabhängig davon, daß die Produktion von Tesla, VW ID.4 & Co. mehr Energie verschlinge als die von Benzinern, die Ressourcenfrage bei einer wachsenden Massenproduktion schlicht ungeklärt sei.
bundesregierung.de/breg-de/themen/klimaschutz/wind-an-land-gesetz-2052764
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