© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 8/23 / 15. Februar 2023

Auf Stalins Befehl
Im Februar 1948 mündet eine Allparteienkoalition in der Tschechoslowakei in der kommunistischen Diktatur unter Klement Gottwald
Thomas Schäfer

Das Münchner Abkommen vom September 1938, mit dem Frankreich und Großbritannien der deutschen Besetzung des Sudetenlandes zugestimmt hatten, wurde in der Tschechoslowakei als Verrat von seiten der Westmächte empfunden und führte daher zu einer Annäherung an die Sowjetunion. Sichtbarster Ausdruck war der im Dezember 1943 abgeschlossene Vertrag über Freundschaft, gegenseitige Hilfe und Zusammenarbeit nach dem Kriege. Das „feste Bündnis“ mit dem „großen slawischen Nachbarn“ sollte künftig „die Garantie für eine … Hilfeleistung im Fall eines neuerlichen deutschen Angriffs“ sein – davon zeigten sich nach Kriegsende auch nichtkommunistische Politiker wie der stellvertretende Ministerpräsident Jan Šrámek von der katholischen Volkspartei ČSL überzeugt. Gleichzeitig hofften sie, die Parlamentswahlen vom Mai 1946 zu gewinnen und so eine Machtübernahme der moskauhörigen Kommunisten in Prag zu verhindern. Allerdings erhielt die Komunistická Strana Československa (KSČ) dann letztlich doch mehr Stimmen als jede andere Partei, weshalb Staatspräsident Edvard Beneš von der volkssozialistischen Partei ČSNS am 2. Juli 1946 den KSČ-Generalsekretär Klement Gottwald zum Ministerpräsidenten ernennen mußte.

Der stand danach einer Koalitionsregierung vor, in der neben KSČ-Leuten auch Christdemokraten, Volkssozialisten, Sozialdemokraten, Slowakische Demokraten und Parteilose vertreten waren. Dabei hatten die Kommunisten neun der 26 Ministerposten inne und kontrollierten die wichtigen Ressorts Inneres, Finanzen, Arbeit und Soziales, Landwirtschaft sowie Information. Das freilich genügte dem ambitionierten Gottwald, welcher von seinen Anhängern gern mit Stalin verglichen wurde, keineswegs. Deshalb versuchte er, die anderen Parteien ins Abseits zu manövrieren, wobei er Rückendeckung aus Moskau erhielt. Denn der Kreml befürchtete eine erneute Annäherung der Tschechoslowakei an den Westen und verhinderte deshalb beispielsweise im Juli 1947 durch brachialen Druck, daß Prag Hilfen aus dem Marshall-Plan annahm.

Dem folgte im September 1947 die von Moskau initiierte Kominform-Konferenz der kommunistischen Parteien Europas, auf der es hieß, die KSČ befinde sich „noch am stärksten in den Fesseln der parlamentarischen Demokratie“ und müsse dies dringend ändern. Parallel hierzu verkündete Stalin, die „baldige Lösung der Machtfrage in der Tschechoslowakei“ besitze „Dringlichkeitsstufe Nr.  1“. Dabei setzte der Diktator auch gleich eine ganz konkrete Frist bis zum Sommer 1948.

Mit Blick auf diese warfen Hardliner in der KSČ Gottwald vor, er agiere zu zögerlich. Und der kommunistische Landwirtschaftsminister Július Ďuriš bat Stalin sogar, militärisch zu intervenieren, damit die ČSR kein „drittes Italien oder Frankreich“ werde. Infolge all dessen beschloß das Plenum des Zentralkomitees der KSČ Ende November 1947, die politische Konkurrenz so bald als möglich auszuschalten. Dabei stellte sich die Frage nach dem Wie, nachdem im September drei Briefbombenattentate auf die nichtkommunistischen Minister Petr Zenkl, Jan Masaryk und Prokop Drtina, hinter denen höchstwahrscheinlich Gottwalds Schwiegersohn Alexej Čepička steckte, gescheitert waren. Die letztlich dann favorisierte Lösung bestand im demonstrativen Übergehen der anderen Regierungsparteien, um unbedachte Reaktionen zu provozieren. So entließ der kommunistische Innenminister Václav Nosek schlagartig acht nicht der KSČ angehörende Prager Bezirkspolizeichefs. Daraufhin forderten zwölf nichtkommunistische Minister beziehungsweise Staatssekretäre am 13. Februar 1948 die Wiedereinstellung der Geschaßten sowie ein Ende der KSČ-Infiltration des Sicherheitsapparates. Doch das erbrachte keinen Erfolg, weswegen die zwölf am 20. Februar zurücktraten, um Neuwahlen zu erzwingen. Allerdings hielten die Sozialdemokraten weiter zu den Kommunisten, wodurch die Regierung Gottwald formell handlungsfähig blieb. Dem folgte der sogenannte Februarumsturz durch die KSČ, welcher begann, nachdem der sowjetische Vizeaußenminister Walerian Sorin in Prag eingetroffen war und den Befehl Stalins überbracht hatte, die Regierungskrise zum „sofortigen Losschlagen“ zu nutzen. 

Prager Kommunisten drohten mit dem Einmarsch der Sowjetarmee 

Gottwald setzte nun Staatspräsident Beneš unter Druck, damit dieser anstatt Neuwahlen anzusetzen eine weitestgehend kommunistisch geprägte Regierung vereidigt. Dagegen wehrte sich der ČSNS-Politiker zunächst vehement: Die KSČ „kann die Macht nur über meine Leiche erringen!“ Beneš lenkte erst ein, als die Kommunisten drohten, die zurückgetretenen Minister zu exekutieren, und Gottwald zudem noch den Einmarsch der Sowjetarmee und ein allgemeines Blutvergießen im Lande ankündigte. Wobei zumindest das letztere auch tatsächlich bevorzustehen schien, weil die KSČ begann, ihre Volksmilizen zu bewaffnen.

Am Nachmittag des 25. Februar 1948 nahm Beneš die Demission der nichtkommunistischen Regierungsmitglieder an und unterschrieb Gottwalds neue Kabinettsliste. Dabei sagte er: „Wenn ich dies tue, dann nur deshalb, damit ich einen Bruderkampf verhindere.“ Die New York Times kommentierte das Nachgeben des ČSR-Präsidenten mit den Worten: „Die gleiche Rolle, wie sie Hindenburg gegenüber Hitler spielte, mußte Beneš jetzt gegenüber Gottwald spielen.“ Nur, daß die Kommunisten in Prag dann keine zwölf, sondern fast 42 Jahre lang das Sagen hatten. Ansonsten avancierte der Putschist Gottwald im Juni 1948 auch noch zum Nachfolger des todkranken Beneš, der dann am 3. September des gleichen Jahres in Sezimovo Ústí (Alttabor) starb. 

Präsident Edvard Beneš und Klement Gottwald an der Spitze des Koalitionskabinetts, Prag 1947: Gleiche Rolle wie Hindenburg gegenüber Hitler