Außenministerin Annalena Baerbock und Kulturstaatsministerin Claudia Roth schienen vor Stolz aus dem Leim zu gehen, als sie kurz vor Weihnachten 2022 dem Außen- und dem Kulturminister von Nigeria eine erste Lieferung der Benin-Bronzen übergaben. Mimik, Körper- und Verbalsprache signalisierten, daß es ihnen um mehr ging als um die Aushändigung eines Fundstücks, das vom ehrlichen Finder an den Besitzer wechselt. Das grüne Damenduo zelebrierte einen „historischen Moment“, einen „Wendepunkt in der internationalen Kulturpolitik“. In einem Interview mit der Deutschen Welle führte Roth aus: „Diese Rückgabe steht für die Anerkennung von Unrecht von einer kolonialen Vergangenheit, die sich Raubgut zu eigen gemacht hat.“ Baerbock äußerte sich ähnlich: „Gemeinsam mit den Bundesländern, Städten und Museen zeigen wir, daß Deutschland es ernst meint mit der Aufarbeitung seiner dunklen Kolonialgeschichte.“
Die zwei Sätze genügten, um die zwei Pole des grünen Politikverständnisses zu benennen: Rückwärtig die sogenannte Vergangenheitsbewältigung, die sich immer tiefer in die Geschichte gräbt. Nach vorn der hypermoralische, ins Weltweite ausgreifende Größenwahn.
Wiedergutmachungsorgie ohne Sinn und Verstand
Das Begehren afrikanischer Länder nach Rückführung entwendeter Artefakte verdient Respekt und eine sorgfältige Prüfung. Auch Deutschland erwartet die Rückgabe der „Beutekunst“, die in Rußland oder Polen lagert. Doch in dem Fall geht es um eine grün-woke Schuld- und Wiedergutmachungsorgie ohne Sinn, Verstand und Grundlage.
Der Vorsitzende des Fördervereins Berliner Schloß, der Theologieprofessor und frühere SPD-Politiker Richard Schröder, hatte an prominenter Stelle – in der Neuen Zürcher Zeitung und der Welt – die Problematik der Benin-Bronzen in ihren unterschiedlichen Facetten beleuchtet. Danach ist es unzulässig, den Begriff der „Raubkunst“, der geraubten jüdischen Kunstbesitz bezeichnet, pauschal auf afrikanische Kunstgegenstände anzuwenden. Die Bronzen wurden 1897 von den Briten erworben; die Haager Landkriegsordnung, die auch den Kunstschutz beinhaltet, gilt erst seit 1899.
Das einstige, vom Edo-Stamm beherrschte Königreich Benin ist heute eine Provinz in Nigeria, die wenig mehr als ein Prozent der Bevölkerung des Landes umfaßt. Die als zentrales Schuldargument zitierte Sklavenverschiffung war keine exklusive Angelegenheit der Europäer. Von den elf Millionen Afrikanern, die zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert nach Amerika verschleppt wurden, kamen zwar 18 Prozent aus Benin, sie waren jedoch von den Benin-Fürsten gefangen und verkauft worden. Die Portugiesen lieferten ihnen modernste Schußwaffen und unterstützen sie logistisch bei der Unterwerfung ihrer Nachbarstämme. Durch den Erlös wurde das Königreich zu einer führenden Regionalmacht.
Die Bezahlung erfolgte durch massive Armreifen, die in großer Stückzahl in Europa produziert wurden. Sie wurden zunächst aus Kupfer, dann aus Messing und Bronze gefertigt. Aus dieser Bronze wurden die sogenannten Benin-Bronzen gegossen.
Die Vergangenheitsbewältigung kennt keinen Schlußstrich
Daraus ergibt sich ein weiterer Aspekt: Aus den USA hat sich die „Restitution Study Group“ zu Wort gemeldet, die die Interessen von Sklavennachfahren in den USA vertritt. Diese sehen sich als moralische Miteigentümer der Bronzen und erheben ein Anrecht auf den Verbleib ihrer Geschichtszeugnisse in amerikanischen und europäischen Museen. Großbritannien, das über eine viel größere Stückzahl als Deutschland verfügt, hat eine Rückführung rundweg abgelehnt.
Die Museen in Deutschland haben die Bronzen nicht als Kriegstrophäen, sondern als Gegenstände kulturgeschichtlichen Interesses behandelt, sie ausgestellt, erforscht, gehegt. Sie haben sie sogar durch die Bombennächte des Zweiten Weltkriegs gerettet. Unklar ist hingegen, wie sie in Nigeria der Öffentlichkeit präsentiert werden sollen. Das Land ist zur Hälfte muslimisch; die Exponate könnten leicht mit dem islamischen Bildverbot karambolieren. Es wäre sinnvoll gewesen, ein System aus Zirkulationen, Leih- und Dauerleihgaben zu vereinbaren, anstatt eine demonstrative „Rückgabe“ zu inszenieren.
Für Baerbock war der vorweihnachtliche Akt nur ein erster Schritt. „Es sind ja viele, viele Bronzen, die gestohlen worden sind. Deswegen werden auch viele Bronzen zurückkommen“, erklärte sie in gewohnt einfacher Sprache. Subtilere Gegenstimmen wie die von Richard Schröder dürfen sich zwar äußern, doch sie haben keinen Einfluß mehr auf die Entscheidungsfindung. Die Entscheidungsmacht liegt bei Personen mit schlichten Denkstrukturen, einem begrenzten Wissensfundus und affektiv gesteuertem Handeln.
Der Kompetenzanspruch von Baerbock, Roth & Co. erstreckt sich auch auf die Berliner Schloßkuppel, die Benennung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, auf das Bismarck-Zimmer im Auswärtigen Amt und das Kreuz im Friedenssaal des Rathauses in Münster. Keine Gegenmacht erhebt sich gegen den ideologiegesteuerten Primitivismus. Die Wochenzeitung Die Zeit (Ausgabe vom 22. Dezember 2022) kann ihm sogar etwas Positives abgewinnen: „Baerbock ist die No-Bullshit-Ministerin mit unerschrockenem Klarheitsduktus, Roth die Politik-Expressionistin, die ganz aus der Fülle der Begeisterung lebt.“ Von ihrer Leidenschaft angesteckt, brachte die „Staatssekretärin für Vielfalt und Antidiskriminierung“ des Berliner Senats, Saraya Gomis, jüngst die Rückführung der Nofretete an Ägypten und des Pergamonaltars an die Türkei ins Gespräch (JF 2/23).
Es wäre zu simpel, sich auf Psychogramme der Beteiligten zu beschränken und ihnen Minderbemittlung als Folge fehlgeleiteter Bildungs-Biographien zu attestieren. Wir haben es mit einem Fortschreiten ochlokratischer Herrschaftsformen innerhalb der Massendemokratie zu tun. Ortega y Gasset sah in der „Herrschaft der Massen“ noch zwei gegenläufige Tendenzen sich die Waage haltend: zum einen die „Hebung des gesamten historischen Niveaus“, zum anderen die Anmaßung des Massenmenschen, der sich gottähnlich und allen vorangegangenen Generationen überlegen fühlt. Inzwischen hat die zweite die erste Tendenz völlig zunichte gemacht. Vermutlich handelt es sich um das generelle Schicksal alternder Kulturen.
Deutschland nimmt dabei – historisch bedingt – eine Spitzenposition ein. So leitete Kulturstaatsministerin Claudia Roth aus dem „Erinnern an vergangenes Unrecht eine Verpflichtung für eine gerechtere Gegenwart“ ab. Weil das deutsche Erinnern keinen Schlußstrich kennt und ins Absolute strebt, muß auch die Gerechtigkeit eine totale sein, koste es, was es wolle!
Die sich dem kultrellen Erbe verbunden fühlen, müssen sich darauf einstellen und eine neue Flexibilität erlernen. Lehrreich könnten die Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg sein. Damals wurden die beweglichen Bestände je nach Frontlage und Bombenmassierung ständig verlagert, versteckt, verborgen, um so viel wie möglich vor den Furien des Verschwindens zu retten.
Fotos: Kulturstaatsministerin Claudia Roth (l.) und Außenministerin Annalena Baerbock überreichen Nigerias Außenminister Geoffrey Onyeama eine Miniaturmaske
aus Elfenbein: Die beiden Grünen-
Politikerinnen weilten am 20. De-zember vorigen Jahres in der nigerianischen Hauptstadt Abuja, um
19 Benin-Bronzen aus Kolonialzeiten zurückzugeben, darunter einen Trophäenkopf und den Gedenkkopf eines Königs (oben)