Der Himmel ist weit, das Meer ist nah, die Menschen sind direkt, freundlich und hilfsbereit. „MV – tut gut“. Mit diesem Marketingversprechen wirbt die rot-rote Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns für den Nordosten Deutschlands. Meck-Pom – „ein „Land zum Studieren, Arbeiten, Investieren, Forschen und Genießen.“ Nun, der Bevölkerung kommt der Geschmack am Leben immer stärker abhanden. Denn sie fühlt sich übergangen – von der Politik im Bund, Land, Kreis und der Kommune. Ein Besuch im hohen Norden Deutschlands.
„Ich bin hier“, sagt Melanie Jahn (40), „um abzuwenden, daß soviel Flüchtlinge kommen.“ In ihrer rechten Hand hält sie ein Schild mit den Worten „Upahl sagt nein“ in die Höhe. „Wir wollen ja durchaus Flüchtlinge aufnehmen, aber 400 Flüchtlinge in solch einem kleinen Dorf sind einfach zu viel.“ Upahl liegt 35 Kilometer von der Landeshauptstadt Schwerin entfernt. Eine 500-Seelen-Gemeinde im Landkreis Nordwest-Mecklenburg, die Schlagzeilen in ganz Deutschland macht. Erst Ende Januar wurden die Einwohner darüber informiert, daß in der Gemeinde ein Containerghetto für 400 Flüchtlinge entstehen soll. In Upahl geht jetzt die Angst um: Vor steigender Kriminalität, vor Abwanderung von Firmen, Arbeitsplatzabbau und vor dem Wertverlust der Grundstücke. Jetzt demonstrieren die Anwohner des Ortes vor dem Malzwerk in Grevesmühlen, wo der Kreistag tagt, oder vor der eingezäunten Wiese im Upahler Gewerbegebiet, auf dem in Kürze über 200 Wohncontainer stehen sollen.
„Nach meinen Informationen sollen da junge Männer aus Syrien, Afghanistan, Marokko, Georgien und einige aus der Türkei einziehen“, sagt Martina Lüttjohann. Seit 23 Jahren arbeitet sie im Upahler Gewerbegebiet in einem Gastro-Service. „Im Sommer beginnt meine Frühschicht um 4 Uhr in der Frühe. Ich bin dann dort alleine. Ich habe Angst, um mich und auch um meine Mädels, die mit mir arbeiten.“ Lüttjohann hat die Sicherheitsfragen auch auf einer Anwohnerversammlung thematisiert. Eine sie beruhigende Antwort bekam sie nicht. „Schauen Sie sich um. Jetzt steht hier eine ganze Hundertschaft. Aber wer wird uns beschützen, wenn wir morgens auf Schicht gehen?“
Die Angst der Upahler ist nicht unbegründet. In Schwerin arbeitet Landtagsabgeordneter Jan-Phillip Tadsen in seinem Büro im zweiten Stock des Schweriner Schlosses. Sitz der Landesregierung und der Abgeordneten. Tadsen ist Vize-Fraktionsvorsitzender der AfD, Vize des Innenausschusses und Sprecher der Fraktion für Europa- und Migrationspolitik. Ende 2022 landete er einen Scoop. Er interviewte eine Mitarbeiterin der Erstaufnahmeeinrichtung Stern-Buchholz in Schwerin. Das Gespräch stellte er auf Youtube. „Grund der Interviews war, daß einige Mitarbeiter der Einrichtung auf mich zukamen und mir von den Umständen erzählten, unter denen sie arbeiten müssen“, so Tadsen gegenüber der JUNGEN FREIHEIT.
Das Flüchtlingsheim in der ehemaligen Blücher Kaserne gibt es seit Juni 2015. „Die Einrichtung bietet zur Unterbringung Asylbegehrender eine Gesamtkapazität von ca. 1.070 Plätzen“, erklärt das Innenministerium des Landes gegenüber der jungen freiheit. Das Land sei Mieter. Der Vermieter sei die HW-Immobilien GmbH & Co. KG Nord. Die Betreibung werde durch die MW Malteser Werke gGmbH in Köln gewährleistet. Es gebe 218 Mitarbeiter in Stern-Buchholz, 22 von ihnen seien Beschäftigte des Landesamtes für innere Verwaltung, heißt es. Ihre Aufgaben: Aufnahme, die Gewährung von Sozialleistungen und die aufenthaltsrechtlichen Fragen der Bewohner klären. Die Betreuung wird 24 Stunden die Woche durch 142 Mitarbeiter des Betreibers sichergestellt. Dazu 38 Wachleute, zwei Ärzte, vier Schwestern und zwölf Küchenmitarbeiter.
Eine von ihnen ist Vivien (Name geändert). Sie will anonym bleiben. Die Frau fürchtet Sanktionen ihres Arbeitgebers. Dabei erzählt sie nur von ihrem Alltag im Heim. „Ich wollte Menschen helfen“, sagt sie, „deshalb fing ich dort an. Und die Malteser stehen, so dachte ich, für ihr soziales Engagement.“ Doch die Zustände werden, so Vivien, immer schlimmer. Das läge an der Zusammensetzung der Bewohner, teils über 20 Nationalitäten. Am aggressivsten seien Tunesier, Marokkaner und Georgier. „An die Hausordnung hält sich kaum jemand. Eigentlich haben wir Bettruhe ab 22 Uhr, da geht für viele der Tag erst los. Eltern kümmern sich nicht um die Kinder. Die müssen wir ins Bett bringen. Im Grunde müßten wir den Jugendnotdienst holen. Das macht niemand, das Personal hat viel zu große Angst vor den Heiminsassen.“
Die Zahl der Deutschen, die dort als Betreuer arbeiten, geht zurück
Eine Aussage, die politischen Sprengstoff beinhaltet. Die JUNGE FREIHEIT wollte vom Innenministerium wissen, wie viele Polizeieinsätze in den Jahren seit Bestehen der Einrichtung innerhalb und außerhalb mit Bezug auf die Einrichtung gezählt wurden und ob es eine Häufung von Drogenkriminalität, Diebstahl, Raub und Körperverletzungen gäbe? „Eine statistische Erhebung über die polizeilichen Einsätze im Zusammenhang mit der Außenstelle der EAE Stern-Buchholz liegt lediglich für das Jahr 2022 vor“, so die Behörde. „Danach ereigneten sich im Jahr 2022 insgesamt 110 Sachverhalte, die grundsätzlich sofortige polizeiliche Maßnahmen und/oder aufgrund von Gefahrenlagen erforderten – sogenannte Prio 1 oder Prio 2-Einsätze.“
Am häufigsten seien tätliche Auseinandersetzungen: 69 Einsätze mit Anzeigen wegen Körperverletzung bzw. gefährlicher Körperverletzung. 34 Fälle wegen des Auslösens der Brandmeldeanlage. 275 sonstige Einsätze der Polizei. Im wesentlichen handele es sich hierbei um Einsätze im Zusammenhang mit Amtshilfeersuchen für die Justiz anläßlich von Aufenthaltsermittlungen, Sachbeschädigungen oder Diebstahlsdelikten. „Vereinzelt sind Vorfälle bekannt“, so das Ministerium, daß das Personal von den Bewohnern angegriffen und angespuckt wurde. Die Malteser bieten in solchen Fällen Multivision an, um die Vorfälle zu verarbeiten. „Die Psychologen reden uns dann ein, daß wir eine schwere Kindheit hätten“, sagt Vivien. Aber die Polizei zu alarmieren hätte im Grunde auch keinen Sinn. „Wir hatten einen Vorfall, da wurde einem Kollegen von einem Heimbewohner das Jochbein gebrochen. Der Schläger läuft immer noch frei rum.“
Mit den Jahren geht die Zahl der Deutschen, die dort als Betreuer arbeiten, stetig zurück. „In kleinen Häusern, wie dem Haus 24 oder 14 sitzt du als Frau die Schicht, und die geht zwölf Stunden, alleine da“, erzählt Vivien. „Wir haben aber auch Schichten auf den großen Häusern, da bin ich die einzige Deutsche unter drei Arabern, die hier arbeiten.“ Oftmals seien dies ehemalige Heimbewohner, die Arbeitsverträge über ein Jahr haben. Die unterhielten sich ausschließlich in ihrer Muttersprache. „Arabisch spreche ich rudimentär. Da fühlst du dich ausgeschlossen. Und die Kollegen lassen sich auch nichts von einer deutschen Frau sagen. Da hörst du dann Sprüche wie: ‘Mit dir fahre ich mal in den Jemen, da zeige ich dir, wie man mit Frauen umgeht’.“ Theoretisch mußt du dir alles gefallen lassen. Für die bin ich entweder Nazi oder Adolf Hitler, wenn ihnen etwas nicht paßt. Zwei Kolleginnen sind seit Monaten krank. Das Ende vom Lied: Die ausländischen Aufseher sitzen bei ihren Kumpels auf den Zimmern und wir Deutsche arbeiten.“
Am 7. Februar 2023 wohnten dort 484 Männer, 123 Frauen und 156 Kinder. Teils unter unhaltbaren hygienischen Zuständen, so Vivien. „Die putzen nicht, wechseln die Bettwäsche nicht, Bettwanzen gibt es häufig, wie auch Kakerlaken – ebenso den Besuch vom Kammerjäger. Sie waschen ihre Kleidung im Zimmer, weil die Waschmaschinen kaputt sind, damit können sie nicht umgehen. Dann hängen sie alles tropfnaß im Zimmer auf, es kommt zu Schimmel.“ In Haus 8, eines von sieben Häusern, seien zwölf von 23 Zimmern deshalb gesperrt worden. Krätze, Tuberkulose, Hepatitis und HIV, Drogen, so Vivien seien „häufig und ein großes Thema in der Einrichtung“. Die JUNGE FREIHEIT fragte beim Innenministerium nach: „Es kann nicht bestätigt werden, daß die hygienischen Zustände in der Außenstelle nicht optimal seien“, so das Ministerium. „Vereinzelt sind medizinische Vorfälle bekannt, derer sich professionell und den hygienischen Regelungen entsprechend angenommen wurde.“
Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gibt es Sach- und Sozialleistungen, Übernahme der Unterbringungskosten und Taschengeld. Erwachsene bekommen im Heim rund 131 Euro. „Wer 30 Stunden die Woche in der Einrichtung arbeitet, kriegt noch einmal 24 Euro“, sagt Vivien. „Ein Teil der Bewohner lebt auch in Wohnungen auf dem Großen Dreesch“. Ein verwahrlostes Plattenbaugebiet am Rande Schwerins und ein Drogenumschlagplatz. „Da übernachten über Wochen Bewohner des Heimes, manche fahren auch in ganz Deutschland rum oder noch weiter“, sagt sie. „Wir haben 300 bis 400 Abgänge im Monat. Die kommen nur alle vier Wochen, um ihr Taschengeld abzuholen.“ Da stellt sich für Tadsen die Frage: „Bräuchten wir wirklich weitere Plätze in Stern-Buchholz, wenn Grenzen geschützt und Regeln durchgesetzt würden?“