Alfred Dannenberg sucht nach repräsentativen Räumlichkeiten. Der niedersächsische Landtagsabgeordnete, im Hauptberuf Lehrer, möchte in seinem Wahlkreis Präsenz zeigen, ein Büro mit großem Schaufenster in Walsrode wäre ihm am liebsten. Das Parteibüro soll Transparenz und Kontaktoffenheit ausstrahlen. „Ich bin ansprechbar für Wähler und für Nichtwähler, und das soll so auch sichtbar werden“, sagt der Politiker. Das Problem ist allerdings, er wurde für die Alternative für Deutschland (AfD) in den Landtag und zuvor mit einer überdurchschnittlich hohen Direktstimmenzahl auch in den Kreistag des Heidekreises gewählt. „Freie Ladengeschäftsräume gibt es in der Walsroder Innenstadt genug“, berichtet Dannenberg. Der AfD will einfach bislang nur niemand vermieten.
Ein Einzelfall ist das nicht. Dannenbergs Fraktionskollegin Delia Klages hat nach ganzen vier Jahren Suche „endlich einen Vermieter gefunden“, der sich bereit erklärt hat, ihr für ein Parteibüro ein Ladenlokal in Holzminden zu vermieten. Seit dem 1. Februar ist die AfD hier präsent. Die Bekämpfung der AfD seitens der anderen Parteien und linksextremistischer Kräfte hat Auswirkungen auf die Partei als potentielle Mieterin ebenso wie auf Vermieter, die Anschläge auf ihre an die AfD vermieteten Immobilien fürchten müssen.
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln will ungeachtet solcher Fakten mit einer Studie jetzt ermittelt haben, die AfD werde ihrem Selbstbild von Bürgernähe nicht gerecht. Sie sei weniger in der Bevölkerung verwurzelt, als sie vorgebe. Die AfD habe vielmehr Schwierigkeiten, sich hinsichtlich der Mitglieder und Anlaufstellen in der Fläche zu verankern. „Das Verhältnis von Anlaufstellen zu Bundestagsabgeordneten als Indikator für die organisationale Durchdringung ist mindestens um den Faktor viereinhalb schlechter als bei allen anderen Parteien“, heißt es seitens des IW. Der Studie zufolge kommen auf einen AfD-Bundestagsabgeordneten lediglich 1,7 Anlaufstellen. Die anderen Parteien folgen mit großem Abstand. Bei den Grünen sind es 8,1 Büros je MdB und in der Spitze bei der CDU/CSU sogar 15,8 Anlaufstellen.
Daß die Studie in der Methodik Schwächen hat, erwähnt das IW selbst. Das hängt zum einen damit zusammen, daß die Bundes-AfD selbst keine Statistik dazu führt, so das IW. Zum anderen hat das Institut lediglich bei Google Orte ausgewertet, die als „politische Parteien“ ausgewiesen wurden.
Doch die Studie weist noch weitere unerwähnte Schwächen auf, die die Aussagekraft schwächen und die Interpretation erkennbar unterminieren. Daß Vermieter vor dem Hintergrund von Farbattacken und sogar Brandanschlägen Angst haben, ficht das IW nicht an. Das sei Sache von Organisationspsychologen, weist das IW die Frage nach der Wirkung der sattsam bekannten Angriffe auf die AfD zurück. Die IW-Ökonomen kümmerten sich um Big Data. Dabei wäre es dem Institut ein leichtes gewesen, die bekannten Daten als Ausgleichsfaktor bei der Interpretation der eigenen Datenauswertung mit einzubeziehen.
Auch Soziale Netzwerke bleiben unberücksichtigt
So betrafen laut Bundeskriminalamt (BKA) beispielsweise im ersten Quartal 2019 von 103 Straftaten, die sich gegen Parteigebäude oder -einrichtungen richteten, allein 41 Büros der AfD, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der AfD-Fraktion hervorgeht. Mit großem Abstand folgten Büros der CDU/CSU (14), SPD (13), Grünen (10) und Linken (9). Aktuelle Daten der Landeskriminalämter für 2022 hat die Bundesregierung ebenfalls vorgelegt. Demnach hat zwar die als „Friedenspartei“ im Wahlkampf angetretene Partei Bündnis90/Die Grünen mit 122 Angriffen gegen ihre Einrichtungen die AfD (104 Angriffe) leicht überflügelt. Ein sichtbarer Ausreißer allerdings, der vor dem Hintergrund der russischen Invasion in die Ukraine und den Abweichungen der Grünen von ihren früheren pazifistischen Grundhaltungen erklärlich ist.
Die Daten korrespondieren nämlich nicht mit den Beschädigungen von Wahlplakaten, bei denen die AfD (432) fast doppelt soviel Verluste erlitten hat wie die Grünen (222). Während die AfD sich also generell einer breiten Anfeindung als demokratische Partei ausgesetzt sieht, stehen die Angriffe gegen die Grünen fast vollständig im Kontext ihrer neuen Positionen zu Waffenlieferungen in das Kriegsgebiet.
Doch nicht nur bezüglich fehlender Parteibüros bewegt sich das IW in seinen Auswertungen auf dünnem Eis. Auch die Präsenz der AfD in der digitalen Fläche, den sozialen Netzwerken, spielt für die Studie des Wirtschaftsinstituts keine Rolle, obgleich gerade hier Big Data entsprechende Daten liefert. Bereits 2017 hatten die damaligen Neulinge im Bundestag im Vergleich zu allen anderen Parteien mehr Aufrufe im Internet und „Gefällt mir“-Markierungen verzeichnet.
Und mit Blick auf vorhandene Partei-Accounts auf der größten sozialen Plattform Facebook weist die AfD nach einer Tagesspiegel-Recherche von Ende 2021 mit 542.854 Followern mehr als doppelt so viele Follower wie die nächstliegende Partei Die Linke auf – die anderen Parteien sind hier noch weiter abgeschlagen. Auch wenn etwa der polarisierende Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mehr als alle anderen Politiker vor allem via Twitter postet: Die mit Abstand größte Resonanz unter allen Politikern in allen drei großen Netzwerken Facebook, Instagram und Twitter zusammen hat AfD-Politikerin Alice Weidel (217.181 Kommentare) – weit vor der nächstgelegenen Annalena Baerbock (115.463).
Die IW-Studie, die im digitalen Zeitalter die digitale Präsenz unberücksichtigt läßt, weckt angesichts der dort gezogenen Rückschlüsse Zweifel an der angestrebten Zielsetzung der Forscher. AfD-Politiker Alfred Dannenberg zumindest findet die IW-Studie unverfroren und hält, wie zuvor seine Parteifreundin Delia Klages, an seinem Vorhaben fest: „Mich hat hier jeder siebte gewählt. Da habe ich doch ein Recht auf ein repräsentatives Büro“, zeigt sich der niedersächsische Landtagsabgeordnete kämpferisch. Und sucht unverdrossen weiter nach einem zentral gelegenen Mietobjekt.