© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 8/23 / 15. Februar 2023

Haut auf diese Stadt
Berlin-Wahl: Die CDU ist stärkste Kraft, doch die rot-grün-roten Verlierer könnten in der Hauptstadt weiterregieren
Jörg Kürschner

Die Berliner Wiederholungswahl hat einen klaren Gewinner, aber keine klaren Verhältnisse gebracht. Der Sieg der CDU, die Verluste von SPD, Grünen und der FDP, die erneut aus einem Landesparlament geflogen ist, werden den Profilierungsstreit in der Ampelkoalition verschärfen. Neben der CDU hat auch die AfD prozentual zugelegt, die sich in ihrem Konsolidierungskurs bestätigt sieht.

Am Wahlabend stellte sich so mancher Beobachter die Frage, ob die Berliner überhaupt jemals bürgerlich regiert werden könnten. Oder lieber im linken Milieu ihrer Kiez-Nischen und Wärmestuben ausharren. Denn trotz Verkehrschaos, Behörden-Saustall, Schulmisere, BER-Pleite, Parteienfilz und Pannenwahl haben die Wähler die regierende Koalition aus SPD, Grünen und Linken mit einer komfortablen Mehrheit ausgestattet. Die drei Parteien kommen auf 49 Prozent, die Mitte-Rechts-Parteien aus CDU, AfD und FDP erreichen rechnerisch 41,9 Prozent. 

Wechselstimmung nein danke? Nicht ganz, denn der Zugewinn der CDU von reichlich zehn Prozentpunkten ist auf den Verdruß vieler Wähler insbesondere über die hohe Kriminalität in der Hauptstadt zurückzuführen. Stichwort Silvesterkrawalle. Die CDU als „Law and Order“-Partei? Dabei sind die Zeiten des konservativen Innensenators Heinrich Lummer (CDU), von seinen Anhängern „Heinrich fürs Grobe“ genannt, Geschichte. 40 Jahre später erreicht die CDU beim Kompetenzwert „Kriminalitätsbekämpfung“ laut Forschungsgruppe Wahlen immerhin 32 Prozent. Die SPD kommt hier auf 13, die Grünen nur auf zwei Prozent. Und die AfD? Schlappe 12 Prozent. 

„Die Protestwähler hat diesmal die CDU bekommen“, kommentierte AfD-Chef Tino Chrupalla das Ergebnis, das er sich zweistellig gewünscht hatte. Und weiter: „Da hat der Brandstifter die Feuerwehr gerufen“. Daß die FDP wegen ihres „Kriegskurses“ die Büroräume im Abgeordnetenhaus räumen muß, scheint seine Kampfeslust zu stärken, auch einen Tag nach Ende des Wahlkampfes. Daß das Thema Ukraine-Krieg praktisch keine wahlentscheidende Rolle spielte – geschenkt. 

Die Berliner Spitzenkandidatin Kristin Brinker spricht von einer Konsolidierung der Hauptstadt-AfD, beschreibt in moderatem Ton den Arbeitsstil der von 13 auf 17 Parlamentarier gewachsenen Fraktion. „Meine Aufgabe ist es, die Stigmatisierung der Partei durch konstruktive Vorschläge aufzulösen. Wir benennen Probleme“, sagt die Haushaltsexpertin, deren Sachverstand auch beim politischen Gegner anerkannt wird. Zu den Kernthemen zählt sie neben der inneren Sicherheit auch mit Blick auf ihre Wählerschaft die Sozialpolitik. Mit sichtbarem Stolz verweist sie in ihrer Analyse auf erhöhten Zuspruch bei Frauen, die bisher mehrheitlich einen Bogen um die männerdominierte Partei gemacht haben. Hinsichtlich der Berufsgruppen gibt es bei der Hauptstadt-AfD kaum noch Bewegung. Ein kleines Plus steht bei der schrumpfenden Gruppe der Arbeiter. Zufrieden ist die AfD auch darüber, daß sie die zwei Direktmandate im Bezirk Marzahn-Hellersdorf verteidigen konnte. Die Dominanz der Linken im Osten ist Vergangenheit. Freilich mußte die AfD berlinweit den Verlust von 8.000 Zweitstimmen hinnehmen. 

Will da jemand die „Brandmauer“ der CDU aufbrechen? Nahezu zeitgleich mit Brinker begründet CDU-Chef Friedrich Merz im Konrad-Adenauer-Haus den einstimmigen Beschluß des Bundesvorstands, den früheren Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen aus der CDU auszuschließen (siehe Seite 5). Zuvor hatten sich Merz und der Berliner Spitzenkandidat Kai Wegner auf eine beschwerliche Partnersuche begeben. Im Visier sind wie so oft mangels anderer Alternativen SPD und Grüne, beide mit Stimmenverlusten aus den Wahlen hervorgegangen. Man habe einen „klaren Regierungsauftrag“, heißt es beschwörend in der CDU. Hauptsächlich profitierte die Union von ehemaligen SPD- und FDP-Wählern. Doch selbst von den Grünen und der Linken konnten nennenswert Stimmen abgezogen werden. Bei AfD-Wählern konnte die CDU dagegen kaum punkten.

Ob Wegners Werben erfolgreich sein wird, ist mehr als fraglich. Die inhaltliche Distanz zum linken Grünen Landesverband ist riesig, dessen Pläne zur Verkehrsregelung erinnern nicht nur Konservative an Öko-Sozialismus. Gespräche ja, aber klare Präferenz sei die Fortsetzung des rot-grün-roten Bündnisses, versichert Spitzenkandidatin Bettina Jarasch ein aufs andere Mal. Sonderlich beliebt ist die Ideologin nicht. In ihrem Spandauer Wahlkreis landete sie auf Platz 4 – hinter der AfD. Für Grüne in einer Großstadt ist das eine Demütigung.

Und die SPD? Sie liegt nur einen Wimpernschlag von gerade mal 105 Stimmen vor den Grünen. In der Landespartei rumort es, die Unzufriedenheit mit der Spitzenkandidatin Franziska Giffey war und ist groß. Diese wird aber gestützt von der Bundes-SPD. Parteichef Lars Klingbeil sagte, Giffey sollte die Chance bekommen, länger als ein Jahr lang „die Dinge in Berlin zu verändern“. Landesvize Kian Niroomand sprach hingegen von einer „Zäsur“. „Es kann nicht so weitergehen“. In der Landespartei ist die Sorge groß, ein Weitermachen Giffeys als Regierende Bürgermeisterin werde die einst so stolze und mächtige Berliner SPD bei der nächsten Wahl im Herbst 2026 weiter dezimieren. 

Giffeys politische Zukunft scheint ungewiß

Jedenfalls gab der Landesvorstand ihr das Mandat, Sondierungsgespräche sowohl mit der CDU wie auch mit den bisherigen Koalitionspartnern zu führen. „Ich würde sagen, daß es schon eine klare Tendenz gibt für die Fortsetzung, aber es wird natürlich auch sehr ernst genommen, daß wir hier einen Wahlsieger haben, der deutlich vor uns liegt“, teilte die Wahlverliererin gesenkten Hauptes mit. Sie habe deutlich gemacht, daß sie nicht an ihrem Amt klebe. Ihre politische Zukunft scheint ungewiß, unabhängig vom Ausgang der Sondierungsgespräche – auch weil sie ihren Wahlkreis krachend verloren hat. Ein klarer Regierungsauftrag sieht anders aus.

Müßte sie tatsächlich das Rote Rathaus für den Wahlsieger Wegner räumen, wird Giffey wohl kaum als Senatorin weitermachen können. Und die Grünen, der Wunschpartner, verlangten bereits Kompensation für einen Verzicht auf das Bürgermeisteramt. „Wir werden schon noch mal das Bündnis neu aufstellen müssen, auch kräftemäßig“, machte Jarasch deutlich, die amtierende Verkehrssenatorin. Gewohnt pflegeleicht gibt sich die Linke. Verständlich, denn nur in einer Fortsetzung von Rot-Grün-Rot könnte sie ihre Politik durchsetzen. Bei der milliardenschweren Enteignung von Wohnungskonzernen verstehen die SED-Nachfolger keinen Spaß. Bis zum Jahresende könnte ein entsprechendes Gesetz beschlossen werden, meinte Linken-Spitzenkandidat Klaus Lederer. Die DDR läßt grüßen. Giffey ist dagegen, unterstützt von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). 

Für die FDP wird es auf Bundesebene ernst. Seit Ampel-Beginn im Dezember 2021 gehen fünf Niederlagen auf das Konto von Parteichef Christian Lindner, der sich scheinbar unbeeindruckt gibt. „Wir verfolgen eine klare Strategie, die sich noch nicht ausgezahlt hat – aber wir halten daran fest“, kommentierte er am Montag die Berliner Niederlage. Mit Befremden, auch mit Ärger, wurde vermerkt, daß sich der Parteichef am Sonntag um seinen sonst üblichen Auftritt auf der Wahlparty im Hans-Dietrich-Genscher-Haus gedrückt hatte. Parteivize Wolfgang Kubicki wurde deutlicher. „Ich bin wirklich ein Fan der Ampel. Aber ich bin kein Fan unseres Auftretens in der Ampel. Das muß sich ändern“. Die FDP biedere sich bei Linken und Grünen an, kritisierte Gerhard Papke, früherer FDP-Fraktionschef in Nordrhein-Westfalen: „Als konturloser Mehrheitsbeschaffer für rot-grüne Politik im Bund wird die FDP bei allen Wahlen gnadenlos abgestraft“.

Es mag einiges über den ramponierten Stellenwert der deutschen Hauptstadt aussagen, daß sich ausgerechnet der Grünen-Provokateur Boris Palmer als Giffey-Nachfolger ins Spiel brachte. „Klingt so, als suchen die mich“, meinte er ironisch zu der verfahrenen Situation. Dabei hatte der Tübinger Oberbürgermeister vor einigen Jahren wenig Schmeichelhaftes über Berlin gesagt. „Wenn ich dort ankomme, denke ich immer: Vorsicht, Sie verlassen den funktionierenden Teil Deutschlands.“