Herr Schuler, ist das neue Buch „Generation Gleichschritt“ Ihre Abrechnung mit dem Springer-Verlag?
Schuler: Nein, keineswegs. Ich habe dem Haus Springer sehr viel zu verdanken. Das übrigens – und das ist ein hohes Gut! – lange Zeit ein Bollwerk gegen Zeitgeist und Anpassung gewesen ist.
Und das ist es heute nicht mehr?
Schuler: Heute folgt es zumindest in einer Hinsicht einem Kurs, den ich nicht länger mittragen wollte – gekennzeichnet durch die Diversitätsstrategie des Verlages, das Hissen der Regenbogenflagge vor dem Springer-Gebäude und den Wechsel von einer journalistischen zu einer affirmativen Berichterstattung zu LGBTQ-Themen.
Auslöser Ihres Zerwürfnisses war die Intervention des Springer-Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner gegen den Gastbeitrag „Wie ARD und ZDF unsere Kinder sexualisieren und umerziehen“, der gemeinsam von drei Biologen, einem Psychiater und einem Politologen verfaßt worden und im Juni 2022 in der „Welt“ erschienen ist. Diesen Artikel, der inzwischen mit einer entschärften Überschrift versehen wurde, hatte Döpfner öffentlich als „oberflächlich, herablassend und ressentimentgeladen ... für jeden freien toleranten Geist unangenehm ... und nicht weit entfernt von (einer) reaktionären Haltung“ beschimpft und die Frage gestellt, ob er überhaupt je hätte erscheinen dürfen.
Schuler: Tatsächlich ist der Beitrag eigentlich unspektakulär und übt eine völlig legitime Kritik. Dennoch führte er zu empörten Reaktionen bei einem Teil der Belegschaft sowie der Queer-Lobby, woraufhin Döpfner, wohl auch in Sorge um Springers Ambitionen auf dem US-Medienmarkt, unter anderem damit reagierte, zu versichern, Springer stehe „fest an der Seite“ der LGBTQ-Bewegung. Journalismus steht aber niemals „fest an der Seite“ einer politischen Bewegung! Und mir, als jemandem, der aus der DDR stammt, kommen bei so einer Formulierung höchst ungute Erinnerungen.
Meinen Sie das mit „Generation Gleichschritt“?
Schuler: Der Titel meines Buchs schließt natürlich – allerdings etwas ironisch gemeint – an die Welle von Büchern an, die stets irgendeine neue Generation ausrufen. Aber ja, der SED-Staatssozialismus zielte schließlich auf die Schaffung eines konformen Denkens, auf einen „mentalen Gleichschritt“.
Wenn Sie das mit dem Kurs Springers assoziieren, dann ist Ihr Buch doch eine Abrechnung mit Döpfner?
Schuler: Nein, denn auch wenn ich meinen eigenen Fall darin schildere, beschäftigt es sich eigentlich mit einer allgemeinen Beobachtung, die mich seit längerem umtreibt: Daß ein repressives System wie die DDR Konformität herzustellen versucht, ist nicht überraschend. Wohl aber, daß sich diese zunehmend auch in unserer freien Gesellschaft bildet, und zwar – was zu beobachten ebenso erschreckend wie faszinierend ist – auf dem Wege der Selbstorganisation. Begonnen hat das in der Asylkrise 2015, als CDU/CSU-Bundestagsabgeordnete bei kritischen Reden Beifall klopften – von unten an die Tischplatte, damit das Präsidium nicht sah, daß man der Meinung zustimmte.
Andere würden sagen, es hat mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann begonnen, der 2003 für etwas aus Fraktion und Partei flog, das er gerichtlich erwiesen nie gesagt hatte. Oder mit der „Tagesschau“-Sprecherin Eva Herman, oder des Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger oder, oder, oder ...
Schuler: Ich wollte damit keine definitive Aussage machen, sondern beschreiben, was ich erlebt habe. Denn ich fragte mich damals: Wie ist das nur möglich? Genießt doch niemand einen so unangreifbaren Status wie ein Abgeordneter des Deutschen Bundestags: Immunität, freies Mandat etc. Und wie ist es möglich, daß in unserer freien, ja eigentlich schon tabulosen Gesellschaft, laut Umfrage etwa siebzig Prozent der Bürger Angst haben, zu gewissen Themen ihre Meinung zu äußern? Oder wie konnte es dazu kommen, daß bei etwas völlig Unpolitischem wie einem Virus, Menschen, die für sich eine andere Entscheidung getroffen haben, wie politische Feinde behandelt wurden?
Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?
Schuler: Da spielen viele Prozesse zusammen, die ich im Buch beschreibe. Ein Faktor sind natürlich die Hochschulen, in denen sich ein radikaler Intellektualismus gebildet hat, der vom Leben der Normalbürger völlig gelöst ist. Und der sich nun, im Besitz der alleinseligmachenden Wahrheit wähnend, gesellschaftliche Sanktionsmechanismen zunutzen macht, um alle zu bestrafen, die sich seinen Ideen nicht unterwerfen wollen. Weiter sind da die Medien, die, leicht links-grün verschoben ...
„Leicht“ links-grün verschoben?
Schuler: Ich formuliere lieber zurückhaltend, weil es mir widerstrebt, den Eindruck eines Wüterichs zu hinterlassen. Wie stark die Medien verschoben sind, darüber kann man streiten. Jedenfalls sind sie nicht mehr repräsentativ für die, für die sie doch eigentlich schreiben – wie ein Vergleich der politischen Ausrichtung von Journalisten mit dem Wahlverhalten der Bürger zeigt. Gleiches gilt inzwischen sogar für die Politik – und das, obwohl deren eigentliche Aufgabe doch die Repräsentation des Wählers ist! In diesem Zusammenhang finde ich übrigens interessant, daß bei einer Untersuchung kurz vor Ende der Ära Merkel sich die Mehrheit der Unionsmitglieder auf einer Skala von null – politisch ganz links – bis zehn – politisch ganz rechts – bei fünf wiederfand. Worauf die Union dann auch noch stolz war. Dabei decken CDU/CSU nach traditionellem Verständnis das Spektrum nach rechts ab. Hätten ihre Werte also nicht von fünf bis acht, vielleicht sogar neun, reichen müssen?
Wohin marschiert diese „Generation Gleichschritt“?
Schuler: In eine Richtung, und das und nicht ihre politische Ausrichtung ist das Schlimme, in der autoritäre Mittel zur Durchsetzung von Politik als akzeptabel gelten. Natürlich hat man jedes Recht, woke und queere Ziele politisch zu verfolgen – solange man sich an die Spielregeln der Demokratie hält. Meint man aber, daß alle, die diese nicht teilen, kein politisches Existenzrecht haben, erinnert mich das schon ein wenig an die DDR, in der auch jede andere Sichtweise als die der Partei als illegitim galt.
Warum erinnert Sie das nur „ein wenig“ an die DDR, ist das nicht vielmehr exakt die gleiche Geisteshaltung?
Schuler: Ja, im Grunde schon, denn vieles, was sich gerne das Mäntelchen der Kritik umhängt, ist gar keine, sondern schlicht Repression: Das Überbrüllen und Blockieren, das Ausgrenzen und Bedrohen, das Stigmatisieren mit Code-Wörtern wie „umstritten“, „rechts“, „rassistisch“, „antisemitisch“ etc. – bis hin zu schwammigen Begriffen, die selbst in der FAZ Einzug gehalten haben, etwa die Berliner Bibliothek des Konservatismus sei ein „Scharnier“ zwischen Rechts und Rechtsextrem. Was bitte soll denn das heißen? Ist sie nun extrem oder nicht? Im Klartext: Nichts ist klar – aber sicherheitshalber sollten Sie, lieber Leser, sich von ihr fernhalten!
Bei der Lektüre Ihres Buches gewinnt man den Eindruck, unsere Demokratie sei in höchster Gefahr, vielleicht sogar bereits verloren. Hier dagegen schlagen Sie einen merklich sachteren Ton an. Warum?
Schuler: Ich glaube, als preußischer Protestant scheue ich doch vor Dramatisierung zurück.
In Ihrem Buch „wimmelt“ es fast von Analogien zum Kommunismus und Nationalsozialismus.
Schuler: Diese Analogien beziehen sich nicht auf die Inhalte, die heute andere sind, sondern auf Mechanismen. So sahen sich zum Beispiel selbst die Teilnehmer der berüchtigten Wannsee-Konferenz von 1942 durch eine höhere Moral, der sie nach eigenem Verständnis dienten, in ihrem mörderischen Tun gerechtfertigt. Und eben diesen Mechanismus können wir auch heute beobachten – auch wenn, wie gesagt, die Inhalte und natürlich auch die Mittel ganz andere sind. Was daraus zu lernen wäre, ist, daß man der Versuchung des Gefühls der absoluten moralischen Überlegenheit in der Demokratie nie nachgeben darf! Denn das läuft auf die Negierung dessen hinaus, was doch gerade ihre Geschäftsgrundlage ist: die Konkurrenz unterschiedlicher, doch gleichermaßen legitimer Meinungen. Da könnten übrigens Linke vielleicht noch etwas von den Konservativen lernen, bei denen man nämlich viel eher den Eindruck hat, daß sie selbst radikale linke Meinungen noch für legitim halten. Dagegen werden sie selbst von links oft in einer Weise diffamiert, als sei allein schon ihre Existenz ein gefährlicher gesellschaftlicher Mißstand, der beseitigt werden muß. Deshalb – und nicht aus politischer Übereinstimmung – kann ich auch nicht verstehen, wie sich jemand, der für sich beansprucht Demokrat zu sein, am Schneiden der AfD beteiligen kann. Denn gleich was man von deren Politik hält, ist sie doch ein Teil unseres parlamentarischen Spektrums.
Sie sagen, selbst vor dem Chefredakteur dieser Zeitung seien Sie schon gewarnt worden.
Schuler: Das war auf dem Bundespresseball: „Psst! Weißt du denn, mit wem du da sprichst!?“ Ja, sicher – und? Es war im Grunde die Aufforderung, mich mit „solchen“ Menschen lieber nicht abzugeben. Da aber verlassen wir das humane Menschenbild, wenn wir andere für „toxisch“ erklären und quasi dazu auffordern, sie sozial auszugrenzen.
„Da hat Merz als Opposition, als Regulativ der Demokratie, versagt“
So wie Sie in Ihrem Buch die queer-woke Bewegung anhand von Zitaten und Beispielen darstellen und einordnen, haben wir es dabei – erstens – mit einer totalitären Ideologie zu tun. Die – zweitens – in unserer Gesellschaft immer mehr Raum greift, wie Sie ebenfalls schildern. Bedeutet das im Fazit nicht, daß wir uns auf dem Weg in eine Diktatur befinden?
Schuler: Na ja, so dramatisch die Lagebeschreibung auch erscheint, darf man nicht vergessen, daß diese immer mit einem Faktor zusammenhängt, der eigentlich unwägbar ist: Denn die Methode ist ja, die gesammelten Indizien „hochzurechnen“ und dabei einen Verstärkungsprozeß anzunehmen. Doch zeigt die historische Erfahrung, daß die Prognosefähigkeit einer Gegenwart in der Regel nicht ausreicht, um vorherzusagen, was die Zukunft tatsächlich bringt. Weil es nämlich zu viele Variablen gibt, und die Geschichte so meist Wege beschritten hat, mit denen man zuvor entweder nicht gerechnet hat, oder die sogar, etwa aufgrund technischer Neuerungen, zuvor nicht einmal denkbar waren.
Das stimmt, ob es wirklich zu einer Diktatur kommt, kann keiner vorhersagen. Was sich aber sagen läßt, ist, daß sie kommt, wenn nichts verhindert, daß unsere Gesellschaft diesen Weg fortsetzt. Berechtigt also der Umstand, daß wir uns erstmals seit 1945 wieder auf dem Weg in Richtung Diktatur befinden, nicht dazu, laut vor ihr zu warnen?
Schuler: Sicher, aber man sollte eben auch nicht vergessen, daß es gerade das Prinzip der Demokratie ist, daß diese irgendwann Gegenkräfte hervorbringt, die dann für einen Ausgleich sorgen. Und da wir trotz aller Mißstände nach wie vor eine Demokratie haben, ist noch alles offen.
Dann werfen wir einen Blick auf das Gegenlager: Dort antwortete der Anführer der prozentual stärksten Gruppe, Friedrich Merz, auf die Frage, wie viele Geschlechter es gibt, allen Ernstes: „mindestens zwei“. Glauben Sie wirklich, daß daraus eine Gegenkraft entsteht?
Schuler: Nein, vielmehr gebe ich Ihnen bezüglich dieses Beispiels völlig recht. Denn in der Demokratie ist die Opposition das Meß- und Regelsystem, das greifen muß. Die Antwort aber, die Herr Merz hier gegeben hat, zeigt, daß er lieber politisch taktiert, als diese Rolle zu spielen. Statt zu seiner Überzeugung zu stehen und zu widersprechen, hat er mit dieser Antwort offensichtlich versucht, einen Weg zu finden, sich dem ideologischen Gleichschritt anzupassen. Und das ist dann in der Tat ein Versagen des demokratischen Regulierungssystems! Allerdings sagt das immer noch rein gar nichts darüber aus, welche Gegenkräfte in Zukunft noch entstehen können.
„‘Achtung, Reichelt!’ und jetzt neu ‘Schuler! Fragen, was ist’“
Zu denen, die eine solche organisieren, gehört auch Ihr neuer Arbeitgeber Julian Reichelt, für dessen Youtube-Projekt Sie das neue Interviewformat „Schuler! Fragen, was ist“ entwickelt haben. Doch unterscheidet sich das im Ton stark vom dem, was man bisher vom Hauptkanal „Achtung, Reichelt!“ gewohnt ist. Warum?
Schuler: Weil „Schuler!“ etwas leisten soll, was auch „Reichelt!“ leistet – gerade deshalb aber nicht auch so ist: nämlich eine Lücke im Angebot bürgerlich-nonkonformer Medien zu füllen. Und so was das auf seine Weise „Achtung, Reichelt!“ tut, das etwa dem entspricht, was in den USA Tucker Carlson auf Fox-News macht, soll „Schuler!“ etwas offerieren, was früher einmal Günter Gaus geboten hat – dessen Interviews, wie wir festgestellt haben, auf Youtube noch erstaunlich häufig abgefragt werden: Gespräche, die sich Zeit nehmen, Themen auch auf den Grund zu gehen.
Bisher haben Sie außer Wolfgang Kubicki vor allem Unionspolitiker interviewt, denen Sie zwar auch den einen oder anderen „unkorrekten“ Satz entlocken, die Sie aber nicht „über die Grenze“ führen. Warum nicht?
Schuler: Kein Zweifel „Achtung, Reichelt!“ ist das druckvollere Format. Aber das ist nicht das Sentiment, das alle Zuschauer da draußen haben – und für die machen wir mit „Schuler!“ ein Angebot. Wobei wir inhaltlich nicht weit mit „Achtung, Reichelt!“ auseinander sind, zum Beispiel mein Interview mit Ex-Familienministerin Kristina Schröder, die sehr klare Worte etwa zum Thema Corona-Maßnahmen, Gender oder Transideologie gefunden hat. Und ich hoffe, daß wir damit – zusammen mit unserem dritten Angebot, der Politiktalkshow „Stimmt!“ – einen reich gedeckten Nachrichtentisch servieren, an dem es immer mehr Bürgern mundet.
Ralf Schuler: Geboren 1965 in Ost-Berlin, wird er, weil er die dafür nötige Verpflichtung in der Nationalen Volksarmee verweigert, nicht zum Studium zugelassen. Stattdessen arbeitet er in der Produktion, ergattert schließlich ein Volontariat bei der Neuen Zeit, der Tageszeitung der Ost-CDU. Ab 1994 studiert Schuler Literatur- und Kulturwissenschaft, wird Redakteur der Welt, Politikchef der Märkischen Allgemeinen, 2010 Leiter der Parlamentsredaktion der Bild-Zeitung – bis zum Zerwürfnis 2022. Im Januar startet er neu mit dem Interview-Format „Schuler! Fragen, was ist“ unter dem Dach des Youtube-Senders „Achtung, Reichelt!“ und pleiteticker.de. Nach „Laßt uns Populisten sein. Zehn Thesen für eine neue Streitkultur“ (2019) legt er nun ein neues Buch vor: „Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde“.
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