© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/23 / 10. Februar 2023

Der Sturm am Wohnungsmarkt
Klimaschutz-Regulierungen und Energiestandards sind nur zwei der Gründe, die den Neubau unbezahlbar machen
Stefan Kofner

Die Bochumer Vonovia SE, mit über einer halben Million Wohnungen der größte Immobilienkonzern Deutschlands, startet in diesem Jahr keine Neubauprojekte, „so wie es die meisten Bauträger aktuell tun“, erklärte Vorstandsmitglied Daniel Riedl dem Handelblatt. Die Düsseldorfer Konkurrenz LEG (166.000 Wohnungen) zog schon im November 2022 die Reißleine: Der Neubau sei „vor dem Hintergrund steigender Baukosten und -zinsen, unsicherer Förderbedingungen und steigender Umweltanforderungen vor allem im Segment ‘bezahlbarer Wohnraum’ nicht mehr darstellbar“.

Gleichzeitig stieg 2022 die Nettozuwanderung von 329.000 auf über 1,4 Millionen Personen.Trotzdem wurde die Neubauförderung zusammengestrichen, und Hamburg und Sachsen haben in diesem Umfeld sogar den Grunderwerbsteuersatz erhöht. Während der Mietanstieg sich noch weiter beschleunigt hat, fingen die Immobilienpreise an zu bröckeln, aber sie sind keineswegs so sehr eingebrochen, wie es die Zinsentwicklung an sich nahegelegt hätte. Wir haben jetzt wieder ein Hypothekenzinsniveau wie 2010, also etwa vier Prozent, aber doppelt so hohe Immobilienpreise.

Die Neubaupreise von Wohngebäuden sind laut dem Statistischen Bundesamtes in den vergangenen beiden Jahren um 30 Prozent gestiegen – bei bereits hohem Ausgangsniveau: Nach einer Untersuchung der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen sind die kompletten Gestehungskosten von Mehrfamilienhäusern seit dem Jahr 2000 bis zum dritten Quartal 2020 von 2.209 auf 3.723 Euro je Quadratmeter gestiegen. Davon sind allein 28 Prozent auf Änderungen von Gesetzen und Normen sowie kommunaler Auflagen vor allem in den Bereichen Brandschutz, Schallschutz, Wärmeerzeugung und Energieeinsparung zurückzuführen. Und in Städten mit mehr als 500.000 Einwohnern liegt der durchschnittliche Preis für baureifes Land inzwischen über 1.600 Euro pro Quadratmeter (m²).

Die turbulenten Entwicklungen haben zu Verunsicherung und Abwarten bei Investitionen geführt. Das aktuelle Umfeld ist für die Erschwinglichkeit von Wohnraum, ob zur Miete oder selbst genutzt, schlicht eine Katastrophe. Die Bildung von Wohneigentum ist nun bis weit in die Mittelschicht hinein finanziell unmöglich, die Marktanspannung treibt die Mieten auf immer neue Höhen, und der Wohnungsneubau, der die Märkte wieder entspannen könnte, befindet sich im Sinkflug. Damit nicht genug, werden für die wenigen Neubauwohnungen kaum erschwingliche Rekordmieten verlangt. Das ist nicht nur eine Folge der Baukosten und Bodenpreise, sondern auch der hohen Hypothekenzinsen, die in die Miete einkalkuliert werden müssen.

Trotz dieses perfekten Sturms am Wohnungsmarkt hat der Klimaschutz weiter absolute politische Priorität. Er verbraucht die knappen Ressourcen des Staates in der Sanierungsförderung (12 bis 13 Milliarden Euro jährlich gegenüber nur einer Milliarde für die Neubauförderung), treibt die Baukosten und Mieten noch weiter nach oben, verhindert ausreichenden Wohnungsneubau und schafft ein Klima von Unsicherheit und Bauscham. Die hektische Anpassungsdynamik, die sich in den ständigen Richtlinienänderungen äußert, entfaltet keine belebende, sondern eine lähmende Wirkung.

Die Energiewende müßte auf Sparflamme gedreht werden

Seit Jahresbeginn greift nun die Verschärfung des Neubaustandards auf EH55, wenn auch ohne die strengeren Regeln zur Wärmedämmung. Und weitere Verschärfungen sind nur noch eine Frage der Zeit: Mit der dritten GEG-Novelle wird die EU-Gebäuderichtlinie umgesetzt werden: Das bedeutet eine Verschärfung des Neubaustandards auf EH40 und ab 2030 auf Nullemissionsgebäude, außerdem Solardachpflicht und Sanierungszwang. Das hat natürlich erhebliche Auswirkungen auf die Baukosten und die Neubaumieten. Kein Qualitätsmerkmal hat mehr Einfluß auf die Baukosten als die Wahl des Energieeffizienzstandards.

Es ist einfach unmöglich, erschwingliche frei finanzierte Mietwohnungen dort zu bauen, wo sie gebraucht werden. Ein Mehrfamilienhaus in einer Großstadt mit 20 Wohneinheiten und 1.600 m² Wohnfläche im EH40-Standard mit Gesamtkosten von fünf Millionen Euro und Grundstückskosten von einer Million Euro erfordert beim derzeitigen Zinsniveau rechnerisch eine Neubaumiete von 18,50 Euro pro m² nettokalt. Die Nebenkosten eingeschlossen liegt eine 100-m²-Wohnung damit über 2.000 Euro im Monat. Bei ein Prozent Zins wäre dagegen eine Neubaumiete von nur zwölf Euro ausreichend gewesen. Könnten wir zum EH100-Standard bauen, käme man bei vier Prozent Hypothekenzins mit einer Neubaumiete von 16,50 Euro aus, und bei einem Prozent Zins könnte man die Wohnungen für zehn Euro Miete pro m² anbieten.

Trotz allem gewichtet die Ampelregierung die energetische Sanierungsförderung wesentlich höher als die klassische Wohnungsbaupolitik. Das wird für die hochangespannten Wohnungsmärkte in den Großstädten üble Konsequenzen haben. Auftragseingänge und Baugenehmigungen sind rückläufig, und der Verkauf der Projektentwickler liegt am Boden. Die Fertigstellungzahlen dürften bereits 2022 unter 300.000 Wohnungen gelegen haben, und schon das ist angesichts der aktuellen demographischen Entwicklung viel zu wenig. Aufgrund der langen Vorlaufzeiten wird die extreme Umfeldverschlechterung den Wohnungsneubau in den kommenden Jahren in den Abgrund reißen.

Um die Ressourcen für den Neubau freizusetzen und die Baukosten zu begrenzen, muß die Energiewende solange auf Sparflamme gedreht werden, bis wieder eine gewisse Marktentspannung eingetreten ist. Die Förderung des Wohnungsneubaus muß gleichzeitig die Finanzierung verbilligen und den steigenden Bau- und Bodenpreisen entgegenwirken: Die Sonderabschreibungen für die Herstellung neuer Mietwohnungen sollten auch für den niedrigeren Neubaustandard EH55 gewährt werden. Die Grunderwerbsteuer muß für den Erwerb von Baugrundstücken für den Mietwohnungsbau auf Null gesenkt werden. Den steigenden Baupreisen kann mit mehr seriellem Neubau und einer vorübergehenden Senkung der Mehrwertsteuer auf Bauleistungen entgegengewirkt werden.

Der Flaschenhals der Gesamtentwicklung ist aber der Bodenmarkt. Es muß gelingen, hier die Angebotselastizität gerade auch in den Brennpunkten des Wohnungsbedarfs deutlich zu erhöhen, da ansonsten die Wirksamkeit aller anderen Maßnahmen wesentlich beeinträchtigt wird.


Studie „Bezahlbarer Wohnraum 2022“:

 igbau.de