Nachdem die beiden Schauspieler Sky du Mont und Hannes Jaenicke in der NDR-Fernseh-Talkshow „3nach9“ vor einigen Wochen Pauschalkritik und offensichtliche Falschaussagen über die Milchviehhaltung verbreiteten, war die Aufregung unter den beschimpften Landwirten groß. Nach starkem Gegenwind folgten Entschuldigungen, und Sky du Mont sagte einem Treffen für einen Hofbesuch mit anschließender Diskussionsrunde zu.
Dabei konnte jeder interessierte Landmann sich bereits im Vorfeld durch Lektüre des neuesten Buches von Jaenicke über dessen Ansichten informieren. „Die große Sauerei“ rechnet nämlich laut Untertitel „mit Agrarlobby und Lebensmittelindustrie“ ab. Wie diese uns vermeintlich belügen und betrügen wird schon im Klappentext betont, im Intro des mit dem Co-Autor Fred Sellin verfaßten Buches wird selbiges gar als Background-Check und Konsumenten-Navi gepriesen. Gleich vorweg, das ist es eindeutig nicht. Wer erwartet, einen Ernährungsratgeber mit konkreten Einkaufshilfen in der Hand zu halten, wird enttäuscht sein. Vielmehr zieht sich unter dem Kampfbegriff Massentierhaltung eine eher diffuse Linie durch das Buch, die sämtliche Veränderungen in der Landwirtschaft seit Jaenickes Kindheitserfahrungen bei Ferien auf dem Bauernhof verteufelt und mit Zuordnungen wie Tortur, Qualzucht und ähnlichem versieht. So schreibt er zum Beispiel: „Milch kommt nicht von gesunden, glücklichen, sondern von gequälten, oft kranken Kühen.“ Oder: „Bei Nutztieren verhalten wir uns wie gefühllose Sadisten.“ Trotz des zwanzigseitigen Quellenverzeichnisses können schon allein mangels zuordnender Fußnoten viele Aussagen nicht nachgeprüft werden.
Im kurzweiligen Erzählstil kommt man dennoch gut durch die 250 Seiten. Das gelingt schon deshalb, weil die Autoren nichts wirklich Neues aufgeschrieben haben. Sämtliche Anwürfe und Versuche mit schockierenden Beispielen insbesondere die Tierhaltung zu diffamieren, sind bekannte Stereotype aus der grün-dominierten Presse der letzten Jahre. So findet man außer dem romantisierenden Kurzrückblick auf Kindheitserinnerungen an den Bauernhof keine Hinweise darauf, daß der selbsternannte Umweltaktivist Jaenicke bei der Recherche zum Buch mit Landwirten gesprochen hat oder sogar einen konventionellen Bauernhof legal besuchte.
Illegal allerdings schon, nachzulesen im Kapitel über „Nächtliche Stallkontrollen“, sprich den gemeinsamen Einbruch in einen Schweinestall mit dem bekannten Hausfriedensbrecher Friedrich Mülln von der sogenannten Soko Tierschutz. Mit dem sicherlich wohlüberlegten Satz „fühlten uns wie Waffen- oder Drogendealer“ werden gleichzeitig das abenteuerliche Bauchkribbeln à la Bonnie & Clyde und das vermeintlich Böse der Tierhaltung unterschwellig betont, letzteres zum Teil zäh wie Kaugummi im gesamten Buch ständig wiederholt. Ein weiteres Leitmotiv ist die Diskreditierung der Agrarlobby. Hier wird allerdings sehr dünn mit Belegen gearbeitet. Der Vorwurf hingegen, eine Verbesserung von Tierhaltungsverfahren wäre durch die Lobby verhindert worden, ist vielfach zu lesen.
Aufmerken läßt das Kapitel über Prüfzeichen, Medaillen, Siegel und ähnliche Dekoelemente auf Lebensmittelverpackungen, auch wenn Lieschen Müller und Hans Mustermann längst klar sein müßte, daß DLG-Medaille, Markenzusätze wie Hofglück, Strohwohl, Landglück etc. hauptsächlich die Kassen von Lebensmitteleinzelhandel und Industrie füllen, aber nicht diejenigen der Bauern. Genau dieses Dilemma hätten Jaenicke und Sellin mit Fakten aus der betroffenen Landwirtschaft darstellen können, stattdessen mutiert das Kapitel zu einer Lobrede auf Biosiegel als einzige Wahrheit.
Eine ganzheitliche Betrachtung des Sektors liegt nicht im Interesse
Schade ist, daß die beiden Autoren sich komplett auf die Tierhaltung fokussieren und nicht die Landwirtschaft insgesamt betrachten. Ohne Pflanzen keine Tiere, ohne Tiere kein Dung, ohne Dung keine Pflanzennährstoffe möchte man ihnen zurufen. Leider scheint aber eine sachliche, ganzheitliche Betrachtung des Sektors nicht im Interesse zu liegen. Vielleicht war die Titelwahl denn auch kein reiner Zufall, sondern eine Replik auf das Werk des Agrarbloggers „Bauer Willi“, der im Jahr 2016 sein Buch „Sauerei“ nannte und gerade aktuell ein neues Buch namens „Satt und unzufrieden. Bauer Willi und das Dilemma der Essensmacher“ veröffentlichte.
Ob der starke Anstieg der Lebensmittelpreise im Zuge des Ukraine-Krieges, die nach dem Marsch durch die Institutionen allseits implementierte Ideologie der Bio-Landwirtschaft oder einfach nur der Geltungsdrang eines Schauspielers, die Diskussion über die Zukunft der Landwirtschaft ist im vollen Gange. Nur der Bauer steht meist staunend daneben und fragt sich, warum er weit unter Mindestlohn überhaupt noch sieben Tage pro Woche seine Knochen krumm macht. Im Falle von Hannes Jaenicke und seinem Berufskollegen Sky du Mont jedenfalls haben die Landwirte gehandelt. Zahlreiche Trecker sind zum Sender gefahren und haben die Moderatoren der Talkshow zur Rede gestellt. Wahrscheinlich ist der Bauer, welcher mit eigenen Händen für unser aller Ernährung arbeitet, doch eher für praktisches Handeln statt zur Lektüre gewisser Bücher zu gebrauchen. Bauernschläue bedeutet eben auch, Effektivität von Zeitverschwendung trennen zu können. Letzteres ist nämlich das Lesen von „Die große Sauerei“.
Hannes Jaenicke: Die große Sauerei. Wie Agrarlobby und Lebensmittelindustrie uns belügen und betrügen – und was das für unsereErnährung bedeutet.Yes Publishing, München 2022, gebunden, 272 Seiten, 24,99 Euro