© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/23 / 10. Februar 2023

Ein ganz gefährliches Doppelspiel betrieben
Vor 50 Jahren starb der CDU-Politiker Hans Globke. Ein ausgewogenes Urteil fällt schwer. Das von der SED-Propaganda geprägte Bild über seine NS-Verstrickungen ist weiterhin wirkmächtig
Erik Lommatzsch

Der Berliner Bischof Konrad von Preysing, einer der wenigen konsequenten NS-Gegner innerhalb des deutschen Episkopats, bescheinigte Hans Globke im Januar 1946, daß es durch dessen Informantentätigkeit unter anderem möglich gewesen sei, zwei Gesetzentwürfe, die „die Zwangsscheidung aller rassischen Mischehen“ bezweckten, durch Interventionen von kirchlicher Seite abzuwenden. Preysing meinte, daß es Nichtbeteiligten unbekannt geblieben sei, „was die Juden in Deutschland Herrn Dr. Globke zu verdanken haben“.

Ebenso „zu verdanken“ ist Globke allerdings auch die Mitarbeit an einer Reihe von juristischen Ausarbeitungen, die im Zuge der NS-Rassenpolitik gegen die jüdische Bevölkerung gerichtet waren. Er war der Verfasser des ersten, 1936 erschienenen Kommentars zu den Nürnberger Gesetzen. Kritischer als der Bischof urteilte Margarete Sommer, die während ihrer Tätigkeit im Berliner Ordinariat in der NS-Zeit einer großen Zahl von Verfolgten half und später als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt wurde. Anläßlich von Globkes Ernennung zum Staatssekretär des Bundeskanzleramtes im Oktober 1953 schrieb sie, daß er es gewesen sei, der „heimlich die allerwichtigsten Hinweise gab, so daß wir tatsächlich manches verhindern konnten“. Ein „ganz gefährliches Doppelspiel“ habe er betrieben, „mitarbeiten müssen“ bei der NS-Gesetzgebung sei für ihn eine „Gewissensqual“ gewesen. Sommer, die sich trotz der Wertschätzung von Globkes Einsatz für ihre Anliegen mit einem derartigen „Müssen“ nicht anfreunden konnte, hielt Globkes Ernennung für einen „ernsten Fehler“. Er sei „während der zurückliegenden Jahre wahrhaftig exponiert genug“ gewesen. 

Symbol einer „unbewältigten“ NS-Vergangenheit 

Differenzierungen wie diese sind im großen Chor der Stimmen, die sich über Globke geäußert haben und noch immer äußern, eine Ausnahme. Einer eher geringen Zahl von Verteidigern steht eine Vielzahl von Anklägern gegenüber, die Globke pauschal als „NS-Täter“ bewerten und ihn zum Symbol einer „unbewältigten“ Vergangenheit in der Bundesrepublik erhoben haben, wobei das in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren von der DDR-Propaganda geprägte, wenig an Sachaspekten orientierte Bild bis heute nachwirkt.

Geboren wurde Globke am 10. September 1898, aufgewachsen ist er in Aachen, wo er nach dem Studium der Rechtswissenschaften in der Polizeiverwaltung tätig wurde, er war Mitglied der Zentrumspartei. 1929 erfolgte der Wechsel nach Berlin, ins Preußische Innenministerium, das 1934 mit dem Reichsinnenministerium zusammengelegt wurde. Globkes Zuständigkeiten umfaßten unter anderem „Namensänderungen“ und „Personenstandswesen“. Mit Kriegsbeginn war er insbesondere als Referent beim „Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung“ tätig. 

Wie bei dem Kommentar, so will sich Globke auch bei der Mitarbeit an Gesetzen und Verordnungen, die gegen die jüdische Bevölkerung gerichtet waren, im Rahmen seiner Möglichkeiten für Verzögerungen, Milderungen und Abschwächungen eingesetzt haben, etwa was die Stellung der sogenannten Halb- und Vierteljuden betraf. Die den Juden 1938 vom NS-Staat aufgezwungenen zusätzlichen Vornamen „Israel“ und Sara“ gehen auf Globke zurück, der mit dieser Variante allerdings andere ursprüngliche Vorhaben, wie das Anhängen von „-Itzig“ an den Nachnamen, konterkariert haben will. 

Der Argumentation, daß derartiges lediglich ein Konstrukt der Nachkriegszeit sei, ist zum einen damit zu begegnen, daß sein Vorgehen teilweise aus den Akten nachvollziehbar ist und Anwälte, die in der NS-Zeit jüdische Mandanten vertraten, abmildernde Tendenzen des Kommentars bestätigten. Zudem stellte Globke seine Haltung nicht nur als Informant des Berliner Ordinariats unter Beweis, er hatte ebenso Kontakte zu Vertretern des Widerstandes wie Jakob Kaiser und Otto Lenz. Sein Name wurde für Positionen nach dem – schließlich gescheiterten – Staatsstreich vom 20. Juli 1944 genannt. Hinzu kommt eine Reihe von Einzelpersonen, denen Globke hilfreich zur Seite stand.

Ungeachtet der Tatsache, daß Globke oppositionelles Wirken kaum abzusprechen sein dürfte, stellt sich jedoch die Frage der Dimension und der – nachträglichen – Verzerrung, da viele Stellungnahmen insbesondere zur Abwehr der gegen Globke geführten Kampagnen angefertigt wurden. Ambivalenzen bleiben. Der oft hervorgehobene Aspekt, daß Globke nicht Mitglied der NSDAP war, verdankt sich der Tatsache, daß sein Aufnahmeantrag 1943 endgültig abgelehnt worden war – mit der Begründung, er stehe noch in Verbindung mit ehemaligen Zentrumsführern.

Seit 1949 war Globke im Bonner Bundeskanzleramt tätig, vier Jahre später übernahm er dessen Leitung. Hinter Konrad Adenauer war er ein idealer „zweiter Mann“, der das Wirken des Kanzlers kenntnisreich und loyal unterstützte, ohne selbst politische Projekte zu verfolgen. Für die CDU agierte er, inoffiziell, als eine Art Generalsekretär. 

Im Oktober 1963 trat Globke in den Ruhestand, er schied zeitgleich mit Adenauer aus dem Amt. Kurz zuvor, im Juli, hatten die insbesondere von der DDR bzw. der SED geführten Kampagnen gegen Globke, deren eigentliches Ziel Adenauer und der westdeutsche Teilstaat waren, ihren Höhepunkt in einem Schauprozeß gefunden, in dem der Staatssekretär in Abwesenheit zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt wurde. Gefälschtes Material wurde – wie oft unterstellt – nicht vorgelegt, ebensowenig wie bei den zahlreichen vorangegangenen Veröffentlichungen. Allerdings wurde hemmungsfrei und offensichtlich mißinterpretiert, nahezu jede Unterschrift Globkes auf einem ministeriellen Briefkopfbogen diente als „Beleg“ für dessen angeblich umfassende Wirkmächtigkeit. 

Am 13. Februar 1973 ist Hans Globke in Bonn gestorben. Aktuell wird, hier ganz auf den Spuren der SED, wieder einmal versucht, ein Zusammenwirken von Globke und Adolf Eichmann in der NS-Zeit „festzustellen“ – wie auch immer man Globke bewerten mag, aber das ist schlicht und einfach Unsinn.