Die Gereon-Rath-Reihe ist ein Dauererfolg des Autors Volker Kutscher. Anfangs bei Kiepenheuer & Witsch, danach im Piper-Verlag sind seit 2007 neun Bände im Zweijahresrhythmus erschienen. Deren Hauptfigur ist der ursprünglich aus Köln stammende Kriminalbeamte Rath, der im Berlin der späten Zwischenkriegszeit ermittelt. Bei Erscheinen des ersten Bandes, „Der nasse Fisch“, zeigten sich Literaturkritiker nahezu einhellig begeistert von der historischen Detailgenauigkeit der Schilderung; es sei alles „ganz und gar schlüssig“, (FAZ) und „präzise recherchiert“ (Welt). Dieser im Jahr 1929 spielende Krimi zeichne ein „opulentes Sittengemälde einer Metropole, die in ihrer Hektik und Amüsiersucht damals als die amerikanischste Stadt Europas galt und deren Schicksal doch schon unausweichlich war“, hieß es dazu im Spiegel.
Es geht bei Kutscher immer um spektakuläre Fälle, aber auch darum, etwas von der Vergangenheit lebendig werden zu lassen: die Depression des „Nachkriegs“ mit den Verschwörungen, Revolutions- und Putschversuchen, die aufgekratzte Stimmung der „Roaring Twenties“ samt Jazzmusik, Schönheitstanz und Bob-Frisur, die steigenden Verbrechensraten und die Notwendigkeit, eine professionelle Kriminalistik aufzubauen, das Elend der Unterschicht und die Ewigkeit des Spießertums, das wacklige Fundament, auf dem das „rote Preußen“ errichtet war, und die Zähigkeit, mit der die alten Eliten ihre Macht festhielten, die Vorformen des Klüngels der Bonner in der Weimarer Republik, die Atmosphäre der Verzweiflung, die Hitler zum Aufstieg verhalf.
Verlagerung der Handlung
auf die weibliche Akteurin
Die Bewunderung für die Akribie, mit der Kutscher seine Recherchen betrieb und literarisch umsetzte, und die Distanz, die er lange zu den üblichen Urteilen der Nachgeborenen hielt, hat sich allerdings nach und nach verloren. Vielleicht war der Erfolg schuld – auch der Bearbeitung für die TV-Serie „Babylon – Berlin“ (seit 2016, augenblicklich wird die vierte Staffel ausgestrahlt) –, vielleicht war es die unaufhaltsame Bewegung der Romanhandlung in Richtung auf das Jahr 1933. Jedenfalls erscheinen die Handlungsabläufe zunehmend unglaubwürdig und die Akteure klischeehaft, während sich gleichzeitig die Tendenz verstärkte, politisch-pädagogisch auf den Leser einzuwirken.
Deutlich zeigte sich das spätestens nach Erscheinen von „Olympia“ (2020). Damit wurde eine Entwicklung eingeleitet, die in dem vorigen Herbst veröffentlichten neunten Band, „Transatlantik“, einen weiteren Höhepunkt erreicht. Mittlerweile muß man eher von einer Charlotte-Rath- als einer Gereon-Rath-Reihe sprechen. Denn an die Stelle des Kriminalkommissars tritt mehr und mehr seine Gattin, geborene Ritter, als Hauptfigur. Um diesen Wechsel zu ermöglichen, muß Kutscher eine ganze Reihe unglaubwürdiger Vorgänge konstruieren, die erkennbar dem Ziel dienen, „Charly“ als die bessere Version von Gereon erscheinen zu lassen. Sie ist intelligent, taff, attraktiv und kein Kind von Traurigkeit.
Die Nationalsozialisten hindern sie als Frau an der Ausübung des Berufs der Kriminalistin, für den sie eine unleugbare Begabung besitzt. Obwohl überzeugungstreue Linksliberale und Demokratin, bewahrt sie im Alleingang Göring vor einem Attentat durch konkurrierende NS-Größen, deckt eine üble Verschwörung auf, rettet ein Waisenkind aus dem Irrenhaus und vor dem päderastischen HJ-Führer und die beste Freundin aus den Fängen eines sadistischen SS-Manns.
Dagegen gelingt es Gereon Rath nur, seinen ehemaligen Kollegen zu entkommen, die nach ihm fahnden, unterzutauchen und sich nach Amerika abzusetzen. Durch ein Wunder überlebt er noch Brand und Absturz der „Hindenburg“, um zuletzt den früheren Paten der Berliner Organisierten Kriminalität mit Hilfe der jüdischen Mafia zu erledigen.
Man kann die Verlagerung auf die weibliche Akteurin zum Teil mit der Einwirkung des feministischen Zeitgeistes erklären. Das wäre für sich genommen lästig, aber nicht mehr als das. Was aber wirklich verärgert, ist die Tendenz, das Unterhaltungsgenre des Kriminalromans zu mißbrauchen, um eine antifaschistische Parabel zu erzählen. Verärgert deshalb, weil wir mittlerweile nicht nur erfolgreiche Ermittler im Zaren- wie im Habsburgerreich, im Wilhelminismus wie in den Vereinigten Staaten der McCarthy-Ära haben, sondern auch solche, die im Bürgerkriegsspanien auf der Seite Francos, in Stalins Rußland oder in der Frühzeit der Sowjetischen Besatzungszone ermitteln, ohne daß der Leser permanent mit den erzieherischen Absichten des Verfassers behelligt würde und das politisch unliebsame Personal nur als Karikatur seiner selbst erscheint.
Volker Kutscher: Transatlantik. Der neunte Rath-Roman. Piper Verlag, München 2022, gebunden, 592 Seiten, 26 Euro