© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/23 / 10. Februar 2023

Schuldenorgien an allen Fronten
EU-Politik: Mit dem „Green-Deal-Industrieplan“ steigt Brüssel in den Subventionswettlauf mit Washington und Peking ein
Albrecht Rothacher

Ein sicheres Anzeichen für den Cäsarenwahn ist, wenn der Überblick über die eigenen Milliardenschulden und -ausgaben verloren geht. Für den Förderwettlauf mit Joe Bidens Inflationsbekämpfungsgesetz (IRA), mit dem die USA mit 370 Milliarden Dollar die Herstellung von Elektroautos, Windturbinen und Solarpanelen aus China und Europa in die Staaten abziehen wollen, hat Ursula von der Leyen einen noch unbezifferten und unfinanzierten „Souveränitätsfonds“ als „Green-Deal-Industrieplan“ für das „Net-Zero Age“ auf 20 Seiten vorgelegt. Denn daß Wirtschaftsminister Robert Habeck und sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire bei ihrer Washington-Visite den IRA-Protektionismus aufweichen können, glaubt niemand niemand.

Gegen die chinesischen Seidenstraßenprojekte von staatlich kontrollierten Infrastrukturinvestionen liegt schon länger ein „Global Gateway“-Programm von über 300 Milliarden Euro vor, mit dem eine diffuse Mischung von Großprojekten in der Dritten Welt gefördert werden soll, von einem Staudamm in Kamerun bis zum Lithium-Abbau in Südamerika, die angeblich dem europäischen Interesse dienen. Passiert ist nicht viel, denn die kreditfinanzierten Mittel sollen privatwirtschaftlich „gehebelt“ werden.

Jetzt soll Mario Draghi als Sonderbeauftragter es richten. Für die EU-Staaten gibt es den schuldenfinanzierten Corona-Wiederaufbaufonds NGEU von 250 Milliarden, plus den Kohäsionsfonds von 100 Milliarden. Das meiste dieser Gelder ist noch nicht abgerufen. Vorgeblich sollen sie der Digitalisierung, Dekarbonisierung und Modernisierung als „Green Deal“ dienen. Faktisch machen die Regierungen jedoch, was sie wollen. So hat Warschau den Ehrgeiz, künftig die stärkste Armee in der EU zu stellen, die polnischen Streitkräfte sollen verdoppelt werden. Dazu werden der  jährlich Netto-Transfer von 13 Milliarden plus die 35 Milliarden Euro des NGEU genutzt , um in den USA 356 Abrams-Kampfpanzer und 32 F-35 Lightning sowie in Südkorea 1.000 „K2 Black Panther“-Kampfpanzer, 672 Panzerhaubitzen und 48 FA-50-Kampfjets zu bestellen.

Aus der EU, die alles finanzieren darf, kommen nur einige italienische Hubschrauber. Statt weniger oberschlesischer Steinkohle und Liegnitzer Braunkohle: Megaumsätze und Profite für die amerikanische und koreanische Rüstungsindustrie. Von der Stärkung des Rüstungsstandorts Europa ist bei den polnischen Patrioten keine Rede mehr.

Überhöhte Energiekosten mit

tödlicher Versorgungsunsicherheit

An der Ukrainefront beliefen sich die Finanz- und Militärhilfen der EU-Institutionen im Vorjahr allein auf 35 Milliarden. Nachdem Wolodymyr Selenskyj Gouverneure und Vizeminister wegen der landesüblichen Korruption absetzte, scheint es Brüssel weiter kaum zu interessieren, wieviel jenes Manna bei der kämpfenden Truppe ankam, und wieviel unterwegs versickerte. In jedem Fall können jene Gelder sämtlich abgeschrieben werden, da die Ukraine kriegsbedingt pleite ist. Es sei denn, Rußland muß als Kriegsverlierer Reparationen zahlen. Zu den Grundprinzipien des EU-Rechts gehört neben dem Schuldenverbot auch eine strenge Beihilfenkontrolle, um einen Subventionswettlauf auf dem Binnenmarkt zu verhindern, die sämtlich von der jetzigen EU-Kommission ausgehebelt wurden. Pikanterweise wurden jene Beihilferegeln vom ersten EWG-Wettbewerbskommissar Hans von der Groeben (1958–1967) mit Hilfe seines tüchtigen Kabinettschefs, eines gewissen Ernst Albrecht, später CDU-Ministerpräsident in Niedersachsen, eingeführt, der über mehr juristischen und ökonomischen Sachverstand verfügte als seine Tochter. Jetzt versuchen Deutschland, unter anderem mit einer 200-Milliarden-Energiesubvention als „Gaspreisdeckel“ und Frankreich solche Subventionen auf Kosten kleinerer Mitgliedstaaten durchzusetzen.

Tatsächlich jedoch scheitert die EU-Kommission an allen Fronten. Die von Ursula von der Leyen durch ihre freihändig vergebenen 35-Milliarden-Euro-Serumaufträge an Pfizer und die Mainzer Biontech haben zwar deren Börsenkurse getrieben, sie haben jedoch nicht verhindert, daß die Firma der Bundesverdienstkreuzträger Uğur Şahin und Özlem Türeci die Krebsforschung und Impfproduktion ins EU-freie Großbritannien verlagert. Bayer wird sein Medizingeschäft aus Deutschland, der einstigen „Apotheke der Welt“, in die USA verlagern.

Für die BASF ist China mit einem Zehn-Milliarden-Projekt die nächste Großinvestition. Ford macht sein Entwicklungszentrum in Köln dicht. Die E-Autos für den EU-Markt werden nicht in Saarlouis, sondern in Spanien und Rumänien hergestellt. Die Träume vom Forschungs- und Entwicklungszentrum Deutschland, wo die anderen die industrielle Schmutzarbeit machen, sind wohl ausgeträumt. Ursachen sind einmal regulatorisch-bürokratische Schikanen, unsägliche Lieferketten-, Compliance und Klimaauflagen, überteuerte und untermotivierte Nachwuchskräfte, Steuern ohne Gegenwert und überhöhte Energiekosten mit zunehmend tödlicher Versorgungsunsicherheit.

Auch hier ist nicht nur die nationale Politik, sondern auch die EU mitverantwortlich, die es laut einem aktuellen EU-Rechnungshofs-Bericht in den letzten sieben Jahre nicht geschafft hat, die nationalen und regionalen Energiemärkte von ihren politisch kontrollierten oligopolartigen Lieferanten zum Schaden der privaten und industriellen Kunden zu befreien. Man erlaubte ihnen, weiter nach dem Merit-Order-Prinzip die Kunden nach dem jeweils teuersten Lieferanten zu fakturieren, gefolgt von jeder Menge administrierter Netzkosten. Das freilich ist ein mühsameres Geschäft als großartig neue Milliardenprogramme von historischer Bedeutung auf Pressenkonferenzen zu verkünden und sich die Details auf Nachfrage zu schenken.


The Green Deal Industrial Plan:

 ec.europa.eu