Die Bundesregierung lobt sich in ihrem „Jahreswirtschaftsbericht 2023“ selbst und verbreitet unverdrossen grün-optimistische Prognosen (JF 6/23). Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) hofft zwar auch auf einen Konjunkturaufschwung, doch viele Betriebe hätten weiter mit schwierigen Bedingungen zu kämpfen. „Die Herausforderungen durch hohe Energiekosten, angespannte Lieferketten und nach wie vor fehlende Materialien haben sich nicht schlagartig mit dem Jahreswechsel geändert. Diese aktuelle Krisenphase zu bewältigen, bindet nach wie vor sehr viele Ressourcen“, widersprach Jörg Dittrich, Dresdner Dachdeckermeister und seit Jahresbeginn neuer ZDH-Präsident.
Holger Schwannecke, seit 2010 ZDH-Generalsekretär, wurde deutlicher: „Von immer mehr Betrieben hören wir, daß momentan deutlich weniger Neuaufträge ankommen“, erklärte der 62jährige im Handwerk Magazin. Inflation und hohe Beschaffungskosten erschwerten den Geschäftsbetrieb. Die Kunden achteten stärker auf den Preis, weil ihr real verfügbares Einkommen spürbar kleiner geworden ist. „Die Lunte brennt an beiden Enden, ohne daß die Betriebe ihre Mehrkosten in erforderlichem Maß an die Kundschaft weitergeben könnten. Sinkende Margen sind die Folge. Das Geld fehlt dann für Investitionen“, so Schwannecke. „Für das Jahr 2023 kann man momentan keine seriöse Prognose geben“, denn es bestünden – nicht nur angesichts der geopolitischen Lage und des Ukraine-Kriegs – einfach zu viele Unwägbarkeiten und Risiken.
Trotz hoher Wohnungsnachfrage sorge er sich inzwischen um die gut durch die Corona-Krise gekommenen Baugewerke: „Deutlich schlechtere Finanzierungskonditionen und die hohen Anstiege bei den Baupreisen machen privaten Bauherren die Realisierung ihrer Eigenheimpläne schwieriger. Die gewerbliche Baunachfrage wird zugleich durch die unsicheren Konjunkturaussichten gebremst“, warnte der oberste ZDH-Funktionär. Und in der aktuellen ZDH-Forderungsliste „Entlastungen für das Handwerk“ stehen sogar politisch brisante Vorschläge: Die Bundesregierung müsse „die Energiesteuersätze für in Produktionsprozessen verwendete Energieträger und den Stromsteuersatz auf die jeweiligen europarechtlich zulässigen Mindeststeuersätze senken“ – was wohl nicht nur bei Grünen oder der woken „Klima-Union“ der CDU für Stirnrunzeln sorgen dürfte.
Dazu wolle man Bundesregierung und Öffentlichkeit klarmachen, „wie abhängig Bäckereien, Textilreiniger, Kfz-Werkstätten, Fleischereien und andere Gewerke von bezahlbarer Energie sind“. Daß Finanzminister Christian Lindner die Steuersätze senkt, ist angesichts der anstehenden Milliarden-Ausgaben in den Bereichen Verteidigung und Zuwanderung kaum zu erwarten. Nichts kosten würde aber der Abbau von Regulierungen und Berichtspflichten: „Kleine Betriebe sind überproportional von Bürokratie betroffen. In vielen Fällen müssen sie identische Anforderungen wie Großunternehmen erfüllen, ohne auch nur annähernd vergleichbare Ressourcen zu haben. Sie haben nicht die Personalstärke, um alle Verwaltungs- und Rechtsbereiche abzudecken und benötigen dringend spürbare Entlastungen, die zeitlich über die aktuelle Krisenlage hinausgehen“, so der ZDH.
„Ausländerbehörden müssen sich in echte Welcome-Center wandeln“
Selbst kleine Verbesserungen würden helfen. so kämpfe der ZDH dafür, „weitere Belastungen im Bereich Kassenführung für bargeldintensive Betriebe zu vermeiden“. Zudem gebe es viele Handwerksbetriebe, „die zwingend Personal mit Führerschein benötigen. Und es gibt viele Azubis, die sich einen Führerschein nicht leisten können – was gerade auf dem Land eine weitere Hürde für eine Berufsausbildung sein kann“, erläuterte ZDH-Präsident Dittrich in einem Gespräch mit der Funke-Mediengruppe. „Das Beste wäre, wenn Lehrlinge in ländlichen Regionen direkt einen Zuschuß vom Staat zu den Kosten des Führerscheins erhielten. Der könnte etwa die Hälfte der Kosten übernehmen.“
Als Alternative sei eine steuerliche Änderung denkbar, denn bislang führe die Kostenübernahme durch die Handwerksbetriebe „bei Pkw-Führerscheinen – anders als bei LKW-Führerscheinen, wo ein überwiegend betriebliches Interesse angenommen wird – zu einem geldwerten Vorteil bei den Arbeitnehmern und Azubis, so Dittrich. Immerhin, bezüglich der ab Januar 2024 geplanten streckenbezogenen Maut von Fahrzeugen zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen scheint die Bundesregierung einzulenken und die in der EU-Richtlinie mögliche Ausnahmeoption für Fahrzeuge von Handwerkern zu ziehen. Im EU-Parlament denkt man derweil schon über neue Schikanen nach: Der Mautbereich soll auf leichte Nutzfahrzeuge zwischen 2,4 und 3,5 Tonnen ausgeweitet werden – und das würde im Prinzip dann fast alle Handwerker treffen.
Verbal einig sind sich Ampelkoalition, die Union und der ZDH beim Thema Einwanderung: Angesichts von 250.000 fehlenden Fachkräften im Handwerk und in den nächsten fünf Jahren anstehenden 125.000 Betriebsnachfolgen fordert der ZDH, wie die meisten Unternehmensvertreter, mehr Zuwanderung. „Verwaltungsverfahren, etwa bei der Visa-Erteilung, müssen schneller werden. Die Ausländerbehörden müssen sich in echte Welcome-Center wandeln“, sagt Dittrich. „Das Handwerk ist seit jeher gut darin, Menschen aus anderen Ländern und Kulturen zu integrieren.“ Doch gleichzeitig warnt der 52jährige Dresdener: Zuwanderung werde „ein wichtiger Mosaikstein“ der Lösung des Fachkräfteproblems sein, „das Allheilmittel ist sie sicher nicht“.
Und ZDH-Geschäftsführer Karl-Sebastian Schulte räumt ein: „Welche Qualifikationen ausländische Arbeits- und Fachkräfte mitbringen müssen, unterscheidet sich erheblich von den jeweiligen Gewerken im Handwerk und den konkreten Tätigkeitsgebieten.“ Da aber gleichzeitig viele heimische Jugendliche ein Hochschulstudium einer strengen beruflichen Ausbildung vorziehen, hofft ZDH-Präsident Dittrich auch auf deutlich mehr weiblichen Gesellennachwuchs: „Weit oben auf der Beliebtheitsskala rangieren Berufe wie Goldschmiedin, Maßschneiderin, Friseurin, Konditorin oder Augenoptikerin.“ Aber der technische Fortschritt mache nun auch Bauberufe interessant: „Mußten die Dachziegel vormals nach oben getragen werden, gibt es dafür heute Hebetechniken. Zur Schadensfeststellung muß man nicht mehr aufs Dach steigen, das übernehmen heute Drohnen.“
Strukturdaten des deutschen Handwerks
Von den 45,3 Millionen Beschäftigten in Deutschland sind 5,4 Millionen (zwölf Prozent) in den 560.432 Unternehmen des Handwerks tätig. Sie erwirtschafteten einen Nettoumsatz von 650,7 Milliarden Euro. Das geht aus der aktuellen „Handwerkszählung 2020“ des Statistischen Bundesamtes hervor. 4,14 Millionen (76,7 Prozent) waren sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer, 678.306 (12,6 Prozent) waren geringfügig entlohnte Beschäftigte und 581.738 (10,8 Prozent) waren selbständige Unternehmer oder Handwerksmeister. 80 Prozent der Handwerksbetriebe beschäftigten weniger als zehn Personen. Nur 2,4 Prozent hatten 50 und mehr Mitarbeiter. Von ihnen stammten aber 45,9 Prozent des erwirtschafteten Nettoumsatzes. (fis)