© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/23 / 10. Februar 2023

Klare Kante zeigen
Interview mit dem EU-Abgeordneten Charlie Weimers über den Erfolg der Schwedendemokraten: Kein Streit, dafür erste Ergebnisse
Collin McMahon

Erstmals in der Geschichte Schwedens kam es Mitte Dezember zu einer Mitte-Rechts-Regierung, die von den bis dato verpönten Schwedendemokraten (SD) toleriert wird. Wie gestaltet sich die Regierungsarbeit seitdem. Gibt es Reibereien?

Charlie Weimers: Wir sind erst ganz am Anfang, aber ich denke, die Zusammenarbeit mit der Regierung läuft besser als erwartet. Die Vereinbarung – Tidöavtalet – ist ziemlich detailliert, mit ziemlich klaren roten Linien, wo die Parteien zusammenarbeiten, und wo nicht. Dadurch hat es bis dato zum Glück noch keine größeren Reibereien gegeben. 

Konnten die Schwedendemokraten Akzente setzen?

Weimers: In der Kooperationsvereinbarung hat meine Partei große Zugeständnisse bei unseren Schwerpunkten Migration, Integration, Kriminalität, aber auch bei Themen wie Arbeitslosenversicherung und Zahnpflege errungen. Die Liberale Partei wollte verhindern, daß wir beim Haushalt mitreden dürfen, aber sie wurden überstimmt. Wir werden jetzt auch beim Haushalt mitreden können sowie bei allen Gesetzen, die sich auf den Haushalt auswirken. 

Die neue Regierung hat sich viel vorgenommen. Besonders soll auch die nahezu ungezügelte Einwanderung in den Griff bekommen werden. Diese hatte zuletzt für immer mehr Probleme gesorgt, bis hin zu regelrechten „No-go“-Zonen. Gibt es erste Erfolge?

Weimers: In Schweden funktioniert der Gesetzgebungsprozeß so, daß Gesetzentwürfe erst im Regierungsausschuß bewertet werden. Es laufen jetzt also eine Reihe von Ausschüssen in bezug auf Migrationsgesetze, von denen wir hoffen, daß sie zu guten Ergebnissen führen werden. Eine eher symbolische, aber dennoch wichtige Maßnahme der Regierung war die Reduzierung der UN-Kontingentflüchtlinge von 5.000 pro Jahr auf 900. 

Im ersten Halbjahr 2023 hat Schweden den Vorsitz im EU-Rat inne. Erwarten Sie neue Akzente?

Weimers: Die EU fährt natürlich weiterhin ihr Programm, aber bei einigen Themen – zum Beispiel bei der Neuauflage des „Migrationspaktes“ durch Innenkommissarin Ylva Johansson – wird es durchaus Konflikte geben. Ich glaube, das große Thema in diesem Halbjahr wird weiterhin der Krieg in der Ukraine sein, über den wir uns aber vollkommen einig sind. 

Ankara blockiert die Nato-Mitgliedschaft Schwedens. Wo liegen die Probleme? 

Weimers: Ankaras Forderungen sind unvernünftig und verstoßen außerdem gegen die schwedische Verfassung. In Wirklichkeit sind die türkischen Forderungen eine Möglichkeit für Erdoğan, bei seinen eigenen Wählern Stärke zu demonstrieren und auch zu versuchen, die USA zu Zugeständnissen bei F16-Jagdflugzeugen zu drängen. Ich denke, daß Schweden von sich aus nicht viel mehr tun kann. Wir werden den Rest der Nato brauchen, um Druck auf die Türkei auszuüben. 

Sie waren von 2008 bis 2011 Vorsitzender der schwedischen „Jungen Union“ und Vizepräsident der Jugendgruppe der „Europäischen Volkspartei“ um die CDU, bevor Sie 2018 zu den Schwedendemokraten wechselten. Was hat Sie zu diesem drastischen Schritt bewogen?

Weimers: Schweden hat pro Kopf mehr nichteuropäische Migranten aufgenommen als jedes andere europäische Land. Diese nicht nachhaltige Politik hat große Gruppen nichtintegrierter, armer und arbeitsloser Migranten geschaffen, die in Ghettos leben. Diese Politik erhöhte nicht nur die Kriminalität, sondern war auch finanziell und kulturell nicht tragbar. Leider haben die Christdemokraten diese Probleme nicht ernst genommen. Die einzige Partei, die dies konsequent tat und tut, sind die Schwedendemokraten. Ich hätte diesen Schritt aber nicht machen können, wenn die Schwedendemokraten nicht vorher ihren Laden in Ordnung gebracht hätten. Seit einem Jahrzehnt verfolgt die Partei eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Antisemiten und Rassisten.

Nach dem Wahlsieg des Rechtsblocks machte die scheidende sozialdemokratische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson „Haß und Hetze“ in „alternativen Medien“ für ihre historische Niederlage verantwortlich. Andersson warnte vor „Kräften, die versuchen, den Willen der Wähler zu kidnappen, die glauben, daß es jetzt Unterstützung der Bevölkerung für Extremismus oder sogar Gewalt in unserem Land gibt.“ Sind Sie besorgt, daß die Linke versuchen wird, demokratische Wahlergebnisse in Schweden zu untergraben?

Weimers: Die schwedische Demokratie ist nicht in Gefahr. Die geschmacklosen Äußerungen von Mitgliedern der scheidenden Regierung werden das Ergebnis nicht schmälern. Wenn die Umstände jedoch umgekehrt wären, wenn wir verloren und dazu aufgerufen hätten, „den Widerstand zu organisieren“, wäre dies von der Presse zum internationalen Skandal stilisiert worden. Wenn die ehemalige sozialdemokratische Premierministerin Magdalena Andersson die „alternativen Medien“ kritisiert, vergißt sie, daß die Linken im letzten halben Jahrhundert – heimlich oder offen – von den meisten Mainstream-Medien unterstützt wurden. Die Linken haben verloren, weil die Wähler ihre Politik und ihre Argumente ablehnten. Sie wissen das, deshalb sind sie auf die alte kommunistische Strategie umgeschwenkt, alle rechts von der Mitte als gewalttätige Faschisten zu brandmarken. Diese Strategie funktioniert zu einem gewissen Grad, aber wenn etwas Zeit vergeht und Schweden immer noch kein faschistischer Staat geworden ist, wird dieses Thema nicht mehr punkten.

Die Sozialdemokraten haben Schweden seit 1936 fast durchgehend regiert. Viele Beamte und Richter wurden von den Sozialdemokraten nominiert. Befürchten Sie, daß es einen „Deep State“ gibt, der die neue Regierung untergraben könnte?

Weimers: Auf der einen Seite haben wir eine zunehmende Politisierung und Aktivismus unter den Beamten gesehen; und im Moment gibt es keine wirklichen Rechtsinstrumente, um einem solchen Aktivismus entgegenzuwirken. Andererseits ist die Idee eines „tiefen Staates“ und politisierter Beamter ein solcher Angriff auf unsere demokratische Tradition und Normen, die unsere Institutionen bestimmt haben, daß alle Beamten wissen müssen, daß sie nicht nur die Regierung, sondern auch die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie untergraben, wenn sie sich auf ein solches Verhalten einlassen. Ich persönlich möchte Vertrauen in das System haben und glauben, daß die Staatsdiener ihre Pflicht unabhängig von ihren persönlichen Ansichten erfüllen werden, solange es keine Beweise für das Gegenteil gibt. 

Sie sind zusammen mit der polnischen PiS und den Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni Mitglied der Fraktion Europäische Konservative und Reformer (EKR) im EU-Parlament. Mit welchen anderen Parteien arbeiten Sie zusammen? Wie sehen Sie die Chancen für einen einheitlichen rechtskonservativen Block?

Weimers: Natürlich stehen wir unseren nordischen Schwesterparteien am nächsten: Dansk Folkeparti (Dänische Volkspartei) und Perussuomalaiset (Finnenpartei). Wir haben enge Beziehungen zu den anderen Parteien in der EKR, insbesondere wenn es darum geht, auf eine robuste Linie gegenüber Rußland zu drängen, Grenzen zu schützen und die Souveränität der Mitgliedstaaten zu wahren. Trotzdem reichen wir auch anderen Parteien die Hand. So war das Fachwissen und die Unterstützung des deutschen Grünen-Abgeordneten Reinhard Bütikofer für meinen Bericht über Taiwan von unschätzbarem Wert. Was eine vereinte Rechtsfraktion angeht, bin ich nicht überzeugt, daß eine solche Super-Gruppe unbedingt zu unserem Vorteil wäre. Aufgrund regionaler, ideologischer und historischer Unterschiede gab es im EU-Parlament schon lange drei rechte Gruppen. Es steht uns jetzt schon frei, mit den anderen Gruppen zusammenzuarbeiten, wenn wir gemeinsame Interessen verfolgen.