© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/23 / 10. Februar 2023

Der politische Kehraus
Linksdrift der CDU: Wie die einstige Volkspartei systematisch konservative Mitglieder vergrault / Die JF sprach mit namhaften Betroffenen
Werner Becker

Es ist wieder geschehen. Diesmal bei Hans-Georg Maaßen. „Das Maß ist voll“ , hatte der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz verkündet. Und meinte damit vor allem die lautstarken Twitter-Beiträge des ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, von denen einer nun Anlaß für einen Ausschluß Maaßens aus der CDU werden könnte (siehe Seite 5).

Die Sanktionierung von Konservativen ist im Laufe der Jahrzehnte zu einem regelmäßig wiederkehrenden Ritual geworden. Umstrittene Äußerungen konservativer Christdemokraten waren immer wieder Gegenstand linker Medienkampagnen, die die Union stets dadurch zu entschärfen versuchte, indem sie das betroffene Parteimitglied fallenließ.

Schon Philipp Jenninger mußte 1988 als Bundestagspräsident nach einer Rede zur Reichspogromnacht zurücktreten, nachdem seine Äußerungen von linken Medienvertretern verkürzt und zum Teil sogar verfälscht worden waren. Erst später sollte sein Redetext vom einstigen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, rehabilitiert werden, indem dieser Passagen von Jenningers Rede in einen eigenen Vortrag übernahm, ohne daß dies zu einem medialen Aufschrei geführt hatte.

Auch die Nominierung Steffen Heitmanns – 1993 Wunschkandidat des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl für das Amt des Bundespräsidenten – nahm die CDU aufgrund medialen Dauerfeuers von links zurück, nachdem Journalisten dessen Positionen zu einer konservativen Familienpolitik, der multikulturellen Gesellschaft sowie der Formulierung, daß die Nachkriegszeit mit der Deutschen Einheit zu Ende sei und die Deutschen ein normales Volk unter vielen werden müßten, kritisierten. Dies sogar, obwohl laut einer damaligen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach Heitmanns Aussagen als solche, ohne Bezug zur Person, in der Bevölkerung auf eine Zustimmung von 78 Prozent gestoßen waren. Maßgebliche CDU-Akteure gegen Heitmann damals: Die Parteilinken Rita Süssmuth und Friedbert Pflüger.

Die Spitze hat Heitmann und Hohmann eiskalt fallengelassen

2003 war es der Fuldaer Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann (JF5/23), der ins Visier linksmedialer Kritik geraten war. Journalisten hatten seine Rede als antisemitisch bezeichnet. Diesmal waren es Jürgen Rüttgers und Ursula Heinen, die aus den eigenen Reihen das Feuer eröffneten. Jener Jürgen Rüttgers, der später selbst mit seinem „Kinder statt Inder“-Spruch ins Visier einer Kampagne geriet.

Eine Entgleisung war auch dem ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Henry Nitzsche zum Verhängnis geworden, nachdem dieser davon gesprochen hatte, daß Deutschland nie wieder von „Multikulti-Schwuchteln“ regiert werden dürfe. Hier war es Bülent Arslan vom Deutsch-Türkischen Forum, der nach medialer Empörung eine parteiinterne Attacke folgen ließ.

2006 sah sich das Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und damalige Kreisvorsitzende der CDU-Pankow René Stadtkewitz Rücktrittsforderungen aus den eigenen Reihen ausgesetzt, weil er dieser Zeitung ein Interview gegeben hatte, in dem er sich gegen den Bau einer Moschee in seinem Stadtbezirk ausgesprochen hatte. Nachdem der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit in einem Streitgespräch mit dem seinerzeitigen CDU-Spitzenkandidaten Friedbert Pflüger Stadtkewitz dafür kritisierte, distanzierte sich Pflüger noch in dem Gespräch von seinem Parteikollegen. „So etwas darf nicht passieren“, hatte Pflüger erklärt. Zuvor war auf das Haus von Stadtkewitz, in dem er mit seiner Familie lebte, ein Brandanschlag verübt worden. Später schloß die CDU Stadtkewitz aus, nachdem er den niederländischen Islamkritiker Geert Wilders zu einer Veranstaltung eingeladen hatte. Und als 2011 der damalige Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg aufgrund von Plagiaten in seiner Doktorarbeit in der Kritik stand, war es die Merkel-Vertraute Annette Schavan, die sich über den eigenen Unionsmann echauffierte. Daß Schavans eigene Doktorarbeit später ebenfalls unter Plagiatsverdacht geriet und zurücktreten mußte, ging in den Medien hingegen unter.

Nur äußerst selten kommt es in solchen Fällen vor, daß sich Unionsfunktionäre hinter den betroffenen Parteifreund stellen. Im Fall Maaßen sind es vor allem jene CDU-Politiker, die selbst Opfer politischer Kampagnen waren, und die sich für einen Verbleib des ehemaligen Verfassungsschützers in der CDU stark machen. 





Langjährige CDU-Mitglieder kritisieren Umgang der Parteispitze mit Maaßen

Erika Steinbach, Jahrgang 1943, war von 1990 bis 2017 Bundestagsabgeordnete und seit 2000 im Vorstand der CDU. Im Februar 2022 trat sie in die AfD ein.

„Es erstaunt mich überhaupt nicht, wie die CDU mit Herrn Maaßen umgeht. Konservative sind dieser Partei inzwischen lästig. Bereits vor Jahren, als ich noch CDU-Mitglied war, wurde uns in einer Fraktionsvorstandsklausur unter dem Vorsitz von Volker Kauder  mit Hilfe von Professor Renate Köcher (Anm. d. R: Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie) bedeutet, daß „konservativ“ eine überlebte Vokabel sei und daß man davon Abstand nehmen müsse.

Das hat man inzwischen ziemlich konsequent umgesetzt. Ansonsten hätte die CDU-Kanzlerin Merkel auch nicht veranlaßt, Herrn Maaßen als Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu entlassen. Und das, obwohl er einen Sachverhalt völlig richtig dargestellt hat. Es gab, wie er richtig äußerte, diese bundesweit behauptete Hetzjagd gegen Ausländer in Chemnitz nicht. 

Die antikonservative Grundhaltung von CDU und CSU wird eklatant offenkundig, wenn man den Umgang der Führung mit den engagierten CDU-Mitgliedern in der Werte-Union sieht. Es ist für mich ein Mirakel, wie es diese politisch informierten Menschen immer noch in einer CDU aushalten, die alles ist, aber nicht mehr konservativ.“


Hans-Jürgen Irmer, Jahrgang 1952, saß von 2017 bis 2021 als Abgeordneter der Union im Bundestag. Er ist seit über 40 Jahren Mitglied der CDU.

„Hier wird mit zweierlei Maß gemessen. Maaßen gehört dem konservativen Spektrum an. Ein Spektrum, das wir mehr denn je in der CDU brauchen. Ich muß auch manche Äußerungen der sogenannten Klima-Union ertragen, die ich in der Sache für völlig falsch halte. Aber beides gehört dazu.

Der von Maaßen verwendete Begriff des eliminatorischen Rassismus ist in der Sache völlig richtig. Denn wenn Luisa Neubauer zum Beispiel erklärt, die Wurzeln der Klimakrise lägen in Machthierarchien von Männern und Frauen von weißen Menschen über People of Color, dann ist das offensichtlicher Rassismus. Ich bin da ebenfalls als alter weißer Mann diskriminiert worden. Selbst wenn man das nicht teilt, ist es für mich selbstverständlich, so etwas äußern zu dürfen. Deshalb ist das Vorgehen der CDU in meinen Augen grundfalsch.

Außerdem ist es wieder ein Beleg für die Einseitigkeit der bundesdeutschen Medienlandschaft. Hier wird ein unliebsamer Mahner medial hochgezogen und dabei versucht andere konservative Meinungen medial zu ersticken. Daß sich die Bundesparteispitze treiben läßt, ist ein Unding. Wenn man jemanden auf die Anklagebank setzen möchte, dann bitte die stellvertretende Bundesvorsitzende Karin Prien, die im Bundestagswahlkampf gefordert hat, nicht Maaßen sondern den SPD-Gegenkandidaten zu wählen. Das ist parteischädigendes Verhalten.“



Sylvia Pantel, Jahrgang 1961, saß von 2013 bis 2021 für die CDU im Bundestag. Sie ist Sprecherin des konservativen Berliner Kreises in der Union.

„Vorbei scheinen die Zeiten, als die CDU für eine offene Diskussionskultur stand. Alfred Dregger, Franz Josef Strauß und Norbert Blüm oder Heiner Geißler, Richard von Weizsäcker standen für eine in der Sache harte, aber persönlich faire und offene Diskussion und zugleich für unterschiedliche Richtungen in der Partei.

Diese offene Diskussionskultur ist schon vor Jahren unter die Räder gekommen. Persönlichkeiten, die Probleme benennen und dabei von der dominierenden Parteilinie abweichen, werden diskreditiert und isoliert. Maaßen ist dafür ein Paradebeispiel. Der Gipfelpunkt der aufgeregt angeblasenen Treibjagd war dann der Vorwurf des Antisemitismus – der diskursive Fangschuß in unserem Land. 

Maaßen ist ein Negativbeispiel für den Umgang mit Parteimitgliedern, deren Meinung von der offiziellen Linie abweicht. Ich teile hier die Meinung des sächsischen CDU-Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, übrigens kein Freund Maaßens, der erklärte: ‘Ich bin nicht der Meinung, daß man Leute von heute auf morgen ausschließen muß.’

Das CDU-Präsidium will Maaßen für seine Kritik an zweifelsfrei rassistischen Äußerungen des sogenannten Flüchtlingshelfers aus der Partei ausschließen. Ich halte dieses Vorgehen für falsch. Es sollte in der CDU eine Diskussion darüber einsetzen, wie unsere Partei als Volkspartei künftig mit ihren Mitgliedern umgehen und Wahlen gewinnen will.“



Eugen Abler, Jahrgang 1952, galt jahrelang als die kritische Stimme auf den Parteitagen. 2020 verließ der Lebensschützer nach 43 Jahren die CDU.

„Maaßen ist ein unbequemer Mahner mit hohem Realitätssinn. Seine Kompetenz und seine Gradlinigkeit bereichern die CDU. Er hat sich nichts zuschulden kommen lassen. Wir brauchen konservative Felsen wie ihn im linkslastigen Politikbetrieb. Merkel hat die CDU im Kielwasser des Zeitgeistes nach links geführt und sie damit koalitionsfähig mit den Grünen gemacht. Merkel war der Machterhalt wichtiger als die Werte der einstigen großen Volkspartei. Merz hat in all diesen Jahren diesem Kurs nie deutlich widersprochen. Er ignoriert, daß viele CDU-Mitglieder eine neue Heimat gesucht und in der AfD gefunden haben. Warum also stellt sich Merz nicht einer offenen Diskussion mit Maaßen? Wer den jetzigen CDU-Parteichef als Hoffnungsträger der Konservativen gesehen hat, dürfte mittlerweile desillusioniert worden sein.“



Angelika Barbe, Jahrgang 1951, war SPD-Bundestagsabgeordnete und ist seit 1996 CDU-Mitglied. Ein Parteiausschlußverfahren der CDU Berlin von 2021 gegen die DDR-Oppositionelle ruht.

„Das Beispiel Maaßen zeigt: Parteiinterne Kritik am Kurs der heutigen Oppositionspartei CDU wird als Sakrileg geahndet. Die Zukunft ist absehbar: Der Weg der italienischen „Democrazia Cristiana“ ins politische Nichts ist vorgezeichnet. Die Einschätzung der CDU als inzwischen „linke Partei“ (Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán in der Budapester Zeitung) teile ich gänzlich. Statt den demokratisch legitimierten Konkurrenten auszugrenzen und bösartig zu verleumden, müßten CDU, AfD und FDP aufeinander zugehen. Das würde jedoch in der CDU, die derzeit bedingungslos der „Nationalen Ampel-Front“ folgt, eine Veränderung benötigen. Solange sich die Union nicht entmerkelt, solange wächst das Millionenheer der Nichtwähler, die sich nicht mehr repräsentiert fühlen. Nur der Partei-Ausschluß Merkels, die Deutschland massiv geschadet hat, und ihrer Unterstützer aus der CDU kann das Signal zum Neubeginn sein.“



Henry Nitzsche, Jahrgang 1959, zog 2002 für die CDU in den Bundestag ein. 2006 verließ er die Partei. Mittlerweile ist er in der AfD aktiv.

„Das Vorgehen gegen Maaßen, eine exemplarische Säuberung nach stalinistischer Manier. Deutschnationale Äußerungen von Maaßen irritieren die atlantischen Einflüsterer von Merz. So geht die Partei mit ihren mißliebigen Mitgliedern um. Wenn kein starker Landesvorsitzender sich dagegen äußert, wird derjenige zum Abschuß freigegeben. Das ist eine klare Abkehr von den einstmals unter Konrad Adenauer beschworenen Werten. Permanentes Ruckeln nach links; mit den Sozis ist fast die gesamte CDU-Spitze (außer Michael Kretschmer) zielkongruent, und bald wird man die Linken erreichen. Die Grünen hat man schon. Merz macht einfach weiter im Sinne von Angela Merkel, getreu Erich Honecker: ‘Vorwärts immer, rückwärts nimmer!’“


Abgesägt und verschreckt

Ehemals bedeutende CDU-Mitglieder

Steffen Heitmann, Jahrgang 1944, war von 1990 bis 2000 Sachsens Justizminister, bis 2009 im Landtag und bis 2015 CDU-Mitglied.

Martin Hohmann, Jahrgang 1948, war von 1998 bis 2005 für die CDU und von 2017 bis 2021 für die AfD im Bundestag. 2004 schloß ihn die CDU aus.