© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/23 / 10. Februar 2023

Trachten ohne Eintracht
Vertriebene: Weil der Unmut über den Kurs an der Spitze der Sudetendeutschen Landsmannschaft wächst, schließen sich die Kritiker in Konkurrenzvereinigungen zusammen
Gernot Facius

Das Schwert der Spaltung schwebt seit längerem über der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) in Deutschland. Es geht nun die Zeit zu Ende, in der sie guten Gewissens ein politisches Alleinstellungs- und Alleinvertretungsmerkmal für sich in Anspruch nehmen konnte. In Bayern haben sich, wie zuvor schon in Sachsen, Landsleute zu Konkurrenzverbänden zusammengeschlossen, sie wollen sich nicht länger mit Folklore und paneuropäischer Begeisterung zufriedengeben, sondern auf eine klare Haltung im Dialog mit Prag pochen.

Altgediente Funktionäre erinnern sich wehmütig an die Zeit, als in München noch Edmund Stoiber in der Staatskanzlei saß. „Ja, damals gab es noch eine Symbiose zwischen der CSU und der Sudetendeutschen Landsmannschaft, die sich auch in den Wahlergebnissen widerspiegelte“, sagt Johann Slezak, der in der oberbayerischen SL stets eine führende Rolle spielte, mit einem bitteren Unterton. Er ist dafür bekannt, daß er kein Blatt vor den Mund nimmt: „Diese Symbiose gibt es auch heute noch, aber nur in den oberen, finanziell und wirtschaftlich abhängigen Windrad-Etagen, die jeden Schwenk mitmachen, wenn der Wind sich dreht. Die unabhängigen, windresistenten Sudetendeutschen haben sich deshalb zum ‘Sudetendeutschen Landesverband Bayern e.V.’ zusammengeschlossen, der nachdrücklich an die immer noch verletzten Menschenrechte und die mit Füßen getretene Menschenwürde der Opfer der Vertreibung erinnert.“

Die neue Organisation will „mit Nachdruck“ für eine Aufhebung der Dekrete und Gesetze, die eine „Diskriminierung der Volksgruppe sind“, eintreten. Sie erinnert auch an die abschätzige Bemerkung des noch bis März amtierenden tschechischen Staatspräsidenten Milos Zeman über die von Bernd Posselt geführte SL: „Ein nicht mehr ernstzunehmender Trachtenverband“. Posselts Doppelfunktion als Sprecher der Landsmannschaft und Präsident der Paneuropa-Union Deutschland wird längst nicht von allen Mitgliedern des Vertriebenenverbandes goutiert.

Bislang war es dem ehemaligen Europaabgeordneten und einstigen engen Mitarbeiter Otto von Habsburgs (1912–2011) gelungen, die Skeptiker in den eigenen Reihen ruhigzustellen und Abspaltungen zu vermeiden. Doch nun lassen sich, siehe die Gründung von Konkurrenzgruppierungen, die Differenzen nicht länger unter der Decke halten. Bemängelt wird seit langem der Umgang mit Landsleuten, die nicht in die Vorstellungswelt der Paneuropäer passen. Mitgliedern des nationalkonservativen Witikobundes werden bei den traditionellen Pfingsttreffen Stände in den Hallen verwehrt, sie können sich, wie 2022 in Hof geschehen, „draußen vor der Tür“ präsentieren. Die AfD ist ohnehin unerwünscht, obwohl eine nicht zu kleine Zahl Sudetendeutscher zu ihr gefunden hat und in den Gliederungen der SL mitarbeitet.

„Von der Vereinsspitze in München verraten gefühlt“

In diesem Jahr steht das Treffen Ende Mai unter dem Motto „Schicksalsgemeinschaft Europa“. Das ist – nicht falsch – der aktuellen Situation in der Ukraine geschuldet. Aber mit diesem Leitwort soll es den Rednern in Regensburg erspart bleiben, sich präzise zu den Belangen der Deutschen aus Böhmen, Mähren und Sudeten-Schlesien äußern zu müssen. Der Trend zum Ausklammern von heiklen Problemen sei mittlerweile auch in den Verbänden der Heimatvertriebenen unschwer zu erkennen, bemerkt ein Leser der in Österreich erscheinenden Sudetenpost. Es sei zweifellos kurzfristig leichter, heikle Themen aus einem Versöhnungsprozeß auszublenden, als diese als Bestandteil eines schwierigen Weges zu akzeptieren: „Es fehlt an Visionen, historischer Weitsicht, Hartnäckigkeit, Geduld und Dialogbereitschaft. Diese Eigenschaften sind heute nicht einmal ausreichend in der Führung der Verbände selber vorhanden.“ Die Sudetendeutsche Landsmannschaft Österreich (SLÖ) bildet hier eine rühmliche Ausnahme. Und der Kritiker schließt: Heikle Probleme und Fragen würden nicht aus der Welt geschafft, indem man nicht mehr bereit sei, über sie zu sprechen.

Das sieht auch Claus Hörrmann so. Hörrmann, einst in der Führung der SL engagiert, heute aber an der Spitze des Sudetendeutschen Landesverbands in Sachsen, kommt zu ähnlichen Schlüssen: „Weil die deutsche Seite einseitig auf jedwede Forderung an Prag verzichtet und Posselt glaubt, wenn man sich noch mehr bei den Tschechen anbiedert, wie auf dem jüngsten Sudetendeutschen Tag in Hof, haben doch die Regierenden in Prag keinerlei Veranlassung, auf die Benesch-Dekrete zu verzichten und zumindest ihre moralische Schuld an den Verbrechen anzuerkennen.“ Es werde wohl keine Sudetendeutschen der Erlebnisgeneration mehr geben, bevor sich auf der Prager Burg „diesbezüglich etwas bewegt“.

Hörrmann kommt zu dem Schluß: Auch die deutsche Regierung setze auf die „biologische Lösung“ des Problems. Schließlich brauche man sich dann nicht mehr mit unangenehmen Fragen zu befassen, „weil die Zeitzeugen fehlen“. Der Funktionär aus Sachsen spricht von einer bitteren Erkenntnis, die in Deutschland bereits dazu geführt habe, daß in mehreren Landesverbänden neben der SL eigene Organisationen entstanden seien, „weil sie sich von der Vereinsspitze in München verraten fühlen und an den bisherigen Satzungszielen der Landsmannschaft festhalten wollen“.

Wie wird sich der Wechsel an der tschechischen Staatsspitze, von Milos Zeman zu Petr Pavel (JF 6/23), auf das sudetendeutsch-tschechische Verhältnis auswirken? Darüber wird in Vertriebenenkreisen lebhaft diskutiert. Bernd Posselt suchte mit einem, wie er sagte, weit verbreiteten Mißverständnis aufzuräumen. Der Name des aktuellen Staatsoberhauptes sei auch außerhalb Tschechiens gut bekannt, während den jeweiligen Premierminister oft nur Experten kennten. Dabei habe der Hausherr auf der Burg nur wenig mehr Kompetenzen als sein deutscher Amtskollege.

Viel wichtiger für die (sudeten-)deutsch-tschechische Politik sei deshalb Petr Fiala als Regierungs-chef. Diesen kenne er noch persönlich aus den Zeiten der kommunistischen Diktatur. Fiala, auch das muß in diesem Kontext erwähnt werden, hat sich bislang mit Äußerungen über die Sudetendeutschen und ihre Wünsche an Prag zurückgehalten – trotz seiner angeblich guten Kontakte zu Posselt. Zum Pfingsttreffen 2022 der Landsmannschaft in Hof (Saale), also nahe der Grenze zu Tschechien, kam keiner von Fialas Ministern.