Mit dem sogenannten Chancenaufenthaltsrecht, das der Bundestag Ende vergangenen Jahres beschlossen hat und das langjährig nur geduldeten Ausländern nun den dauerhaften Aufenthalt in Deutschland erleichtert, kann die Ampel-Koalition einen weiteren Haken auf ihrer „Zu erledigen“-Liste machen. Aus Duldung wird – lediglich durch den Faktor Zeit – Anerkennung. Per Umetikettierung wird aus irregulärer Einwanderung reguläre, voilà.
Etwas unter dem Radar blieben die weiteren Änderungen, die zusammen mit diesem rot-grün-gelben Meilenstein („Mehr Fortschritt wagen“) ebenfalls abgesegnet wurden. Dazu gehören – immerhin – Beschleunigungen bei den Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren. Dies sei auch dringend nötig, meinte der Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf), Hans-Eckhard Sommer. Denn bei seiner Behörde dauerten die Asylverfahren durchschnittlich 7,3 Monate, bei den Verwaltungsgerichten in der ersten Instanz 26,5 Monate. Diese lange Dauer verschärfe die Rückführungsproblematik.
„Finanzierung linker Vereine aus Steuermitteln“
Und noch eine Neuerung gibt es, nämlich bei der Asylberatung. Die wurde schon jetzt in einigen Bundesländern quasi ausgelagert, nämlich an Wohlfahrtsorganisationen. Zu den in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege zusammengeschlossenen Verbänden gehören unter anderem die SPD-nahe Arbeiterwohlfahrt (Awo), der katholische Caritas-Verband, ihr evangelisches Pendant Diakonie, der Paritätische Wohlfahrtsverband, das Rote Kreuz und die 1917 gegründete Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland.
Diese aus der staatlichen Zuständigkeit ausgelagerte Beratung für diejenigen, die sich in einem Asylverfahren befinden, soll künftig bundesweit die Regel werden, allein schon um das Bamf und seine Außenstellen zu entlasten, das bisher im großen und ganzen, mit wenigen regionalen Ausnahmen, allein dafür zuständig war.
Selbstverständlich sollen die Träger dieser nicht-staatlichen Beratung vom Staat Geld dafür erhalten – ab 2024 sind dafür 80 Millionen Euro pro Jahr veranschlagt, dieses Jahr sind es 20 Millionen Euro. Außerdem sieht ein nun eingeführter Passus vor, daß neben den Wohlfahrtsverbänden „weitere zivilgesellschaftliche Akteure“ mit der Asylverfahrensberatung zu betrauen sind. Gemeint sind damit offensichtlich Vereine und das, was unter dem Sammelbegriff „Nichtregierungsorganisationen“ (NGO) läuft. Von „Seenotrettern“ wie Sea-Watch bis Pro Asyl wären mögliche Interessenten denkbar. Ziel der staatlichen Förderung sei „eine behördenunabhängige, ergebnisoffene, unentgeltliche, individuelle und freiwillige Asylverfahrensberatung (AVB)“, heißt es dazu aus der Bundesregierung.
Zweifel daran äußern Fachleute. So monierte während der Anhörung im Innenausschuß der Richter am Bundesverwaltungsgericht, Robert Seegmüller, die Regelung zur Asylverfahrensberatung wirke sich kontraproduktiv aus, weil mit der Auslagerung in die Hände von Nichtregierungsorganisationen nicht sichergestellt werde, daß diese auch von qualifizierten Personen vorgenommen werde. Daran ändert nichts die Vorgabe, der „Einsatz hauptamtlicher Asylverfahrensberatender, die über ein hohes Maß an fachlicher und persönlicher Qualifikation verfügen“, sei „unabdingbar“. Näheres werde in den Stellenbeschreibungen geregelt.
Auch die Opposition im Bundestag ist von den Neuerungen nicht überzeugt. Im Gegenteil. Unionsfraktionsvize Andrea Lindholz (CSU) sieht dadurch die Gefahr, daß die Verfahren nicht verkürzt, sondern im Gegenteil in die Länge gezogen werden könnten. Und der AfD-Bundestagsabgeordnete Christian Wirth, Mitglied im Innenausschuß, nennt die von der Regierungskoalition neu eingeführte behördenunabhängige Asylverfahrensberatung „einen Skandal in doppelter Hinsicht“: Zum einen diene sie „der Finanzierung linksgerichteter NGOs aus Steuermitteln, zum anderen hintertreibt sie die Durchführung eines neutralen Asylverfahrens“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT. „Es ist offenkundig, daß ideologische Befürworter einer Politik der offenen Grenzen die Antragsteller in Hinblick auf einen positiv ausfallenden Asylbescheid beraten – auch wenn ein Asylgrund objektiv nicht vorliegt“, befürchtet der Innenpolitiker.
Vergangene Woche kündigte Bundesinnenminister Nancy Faeser (SPD) unterdessen einen weiteren konkreten Schritt bei der Umsetzung der neuen gesetzlichen Möglichkeiten an. Samt warmem Geldregen für zivilgesellschaftliche Organisationen. Verwendungszweck: „Spezialisierte Angebote der besonderen Rechtsberatung für queere und weitere vulnerable Schutzsuchende“. Die Fördermittel können nun beim Bamf beantragt werden. Die Projektförderung erfolge „in Form von nicht rückzahlbaren Zuwendungen“. Sieben Prozent Eigenmittel müssen die Antragsteller vorweisen, noch bis Ende des Monats läuft das Bewerbungsverfahren.
Für Faeser ist das ein wahrer Fortschritt: „Viele Schutzsuchende fliehen vor Verfolgung und schweren Repressionen durch staatliche Akteure in ihrer Heimat. Sie haben oftmals Hemmungen, ihr Leid gegenüber amtlichen Stellen zu offenbaren“, ließ sie mitteilen. Weil die besonderen Bedürfnisse „von Schutzsuchenden, die zum Beispiel Opfer von Folter geworden sind oder aufgrund ihrer sexuellen Orientierung geflohen sind“, besser erkannt und im Asylverfahren berücksichtigt werden, gestalte man die Asylverfahrensberatung behördenunabhängig.
In der Praxis bedeutet das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit: Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen gehen an möglicherweise ausgedachte Geschichten im Asylverfahren sicherlich (noch) weniger kritisch heran als Behördenmitarbeiter oder Beamte. Unklar ist zudem: Wird diese staatlich finanzierte nichtstaatliche Beratung auch denjenigen gewährt, deren erstes Asylgesuch bereits abschlägig beschieden wurde?
Beifall für die neue Förderung gab es unterdessen vom Queerbeauftragten der Bundesregierung, Sven Lehmann. Der verwies auch sogleich darauf, daß nun umgesetzt werde, was schon in seinem „Aktionsplan Queer leben“ vorgesehen ist. Darin heißt es: „Einrichtung einer behördenunabhängigen Asylverfahrensberatung, die auch eine besondere Rechtsberatung für queere Geflüchtete und andere vulnerable Geflüchtete umfassen soll.“
Klar ist nun allerdings auch: Um das Geld, das der Staat an die freien Träger zum Zwecke der Asylantenberatung verteilt, wird künftig ein größerer Konkurrenzkampf entbrennen. Wohlfahrtsverband gegen „zivilgesellschaftliche Organisationen“, sprich Lobby-Vereine.