Rot, radikal, realistisch – drei Worte mit denen die Berliner Linke in den aktuellen Wahlkampf gezogen ist. Sie möchte der Bundespartei zeigen, welches Potential linke Politik hat, wenn sie denn den Menschen glaubwürdig vermittelt werden kann. Dafür hat sie sogar ein „Kurzwahl-Programm in Leichter Sprache“ kreiert. Und in Sachen Wählermobilisierung für die Wiederholung der Abgeordnetenhauswahlen gehen sich die Prominenten tunlichst aus dem Weg. Wer Sahra Wagenknecht hören will, besucht deren Veranstaltungen, andere lauschen lieber der früheren Parteivorsitzenden und heutigen Senatorin Katja Kipping. Kein potentieller Wähler soll am Ende sagen können, er habe die sozialistische Programmatik nicht verstanden.
Gleichzeitig gibt es linke Intellektuelle, die am Unvermögen der eigenen Partei schier zu verzweifeln drohen. Heinz Bierbaum beispielsweise, Vorsitzender der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung. Als Professor für Betriebswirtschaft lehrte er mehr als 20 Jahre lang Unternehmensführung und Unternehmenspolitik an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlands. Als Pensionär will er nun wissenschaftlich analysieren, die intellektuelle Auseinandersetzung führen und „gleichzeitig politisch wirksam“ werden – nur daß ihn und die vom Steuerzahler gut dotierte Stiftung keiner zur Kenntnis nimmt.
Aufmerksamkeit bekommt die Partei, wenn sie sich streitet
Dabei könnten die Linkssozialisten theoretisches Rüstzeug gut gebrauchen. „Wir sind nicht so in die Diskussion reingekommen, wie es notwendig wäre“, beklagt Bierbaum, der einst drei Jahre lang Präsident der Europäischen Linken war, gegenüber dem Neuen Deutschland. Die Strategiekonferenz 2020 sei folgenlos geblieben, die Konflikte würden zu stark personalisiert und „zum Teil zerstörerische Dimensionen“ annehmen.
Wenn beispielsweise Kipping, von 2012 bis 2021 mit Bernd Riexinger Bundesvorsitzende der Linken und seit 2021 Berliner Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, davon spricht, daß man sich gegenseitig respektiere, dann meint sie nicht die Genossen, sondern die amtierende Koalition, die es trotz politischer Differenzen schaffe, „in Krisen schnell zu belastbaren Lösungen zu kommen“. Kippings Bilanz als Parteichefin ist dagegen ernüchternd. Sie habe „alles gegeben, damit die Linke eine moderne sozialistische Partei auf der Höhe der Zeit ist, die nicht mehr das SED-Manko hat“, sagte sie im taz-Interview: „Und wir haben viele Fortschritte erzielt, die leider zum Teil wieder eingerissen worden sind.“
Aus Kippings Sicht könnte die Berliner Linke ein Vorbild für die Bundespartei sein: In der Hauptstadt ringe man „gemeinsam um eine Positionierung, diskutiere da auch kontrovers, und am Ende verständigt man sich und vertritt sie nach außen“.
Schaut auf diese Stadt, möchten die Berliner Genossen am liebsten rufen und ihre Erfolge aufzählen: mehr sozialer Wohnungsbau, stärkerer Mieterschutz, Vergesellschaftung wichtiger Infrastruktur und Wohnungen. Bierbaum hätte das mit Blick auf die „strategischen Ansatzpunkte für sozialistische Politik“ gern deutschlandweit in den Mittelpunkt gerückt: „Jetzt gibt es das große Thema Klimagerechtigkeit und sozial-ökologische Transformation.“ Dazu kommen der Frieden, die geopolitischen Herausforderungen, der „Kampf gegen Rechts“ und die soziale Gerechtigkeit in Verbindung mit der Entwicklung der gesellschaftlichen Arbeit, kurzum Solidarität mit allen. All das wird die Partei weiterhin umtreiben. Aufmerksamkeit bei den Wählern zu erregen, gelingt der Linken aber nur über handfesten Streit. Und schon dafür braucht sie noch immer wortgewandte Politiker wie Wagenknecht und Gregor Gysi.