Und plötzlich sind da Kai Wegner und die CDU. Seitdem die Berliner wissen, daß sie aufgrund der Pannenwahl vom September 2021 ihr Abgeordnetenhaus am kommenden Sonntag erneut wählen müssen, hatte es lange nach einem Zweikampf zwischen der SPD mit der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey und den Grünen mit ihrer Spitzenkandidatin und Verkehrssenatorin Bettina Jarasch ausgesehen. Doch in den vergangenen Wochen hat sich der Wind gedreht, jedenfalls ein bißchen.
Seit Mitte Januar liegt die Union mit ihrem Spitzenkandidaten Wegner deutlich vor SPD und Grünen – mit wachsendem Abstand. Mittlerweile lautet die Frage daher nicht mehr, ob Giffey oder Jarasch als erste durchs Ziel geht, sondern wer den zweiten Platz hinter dem CDU-Herausforderer schafft. In den jüngsten Umfragen liegen die Christdemokraten zwischen 24 und 26 Prozent, die SPD kommt auf 17 bis 21 Prozent während die Grünen konstant bei 18 Prozent verharren.
Fast scheint es so, als ob immer mehr der 2,5 Millionen Wahlberechtigten in Berlin die berüchtigte Berliner Wurstigkeit, die dazu führt, daß die Hauptstadt zunehmend in den Ruf gerät, eine dysfunktionale Metropole zu sein, auf den Geist geht und ihr Interesse für den bislang eher blassen, aber auch unverbraucht wirkenden Wegner geweckt hat. Zumindest bei der Frage, wen die Berliner von den Spitzenkandidaten direkt wählen würden, hat Giffey mit 34 Prozent die Nase eindeutig vorne. Wegner, der als einziger der drei Spitzenkandidaten in Berlin geboren wurde, kommt auf 20 Prozent, Jarasch landet mit 15 Prozent abgeschlagen auf dem dritten Platz.
Sollte die Union am Wahlabend tatsächlich mit deutlichem Abstand als Erste durchs Ziel gehen, könnte es bei der Regierungsbildung noch einmal spannend werden. Es ist schwer vorstellbar, daß Rot-Rot-Grün als „Koalition der Verlierer“ dann einfach weitermachen kann wie bisher. Bei einer rechnerischen Mehrheit für eine Deutschland-Koalition aus CDU, SPD und FDP dürften der Hauptstadt politisch interessante Wochen bevorstehen – und sei es nur, weil die SPD den Preis für eine Fortsetzung der rot-rot-grünen Koalition hochtreiben will. Eine Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP scheint dagegen schon jetzt ausgeschlossen, nachdem Wegner den Grünen eine kaum verhohlene Absage an eine Zusammenarbeit erteilt hat – ein Schritt, der bei den Grünen durchaus auf Sympathie gestoßen sein dürfte.
Gespanntes Warten, ob diesmal alles glatt läuft
Die anderen drei Parteien im Abgeordnetenhaus liefern im Vergleich mit dem Spitzentrio einen verhältnismäßig unspektakulären Wahlkampf ab, bei dem thematisch die wachsende Wohnungsnot in Berlin und die Verkehrspolitik im Mittelpunkt standen.
Während die FDP unter Sebastian Czaja sorgenvoll auf die Fünfprozenthürde schaut, die sie den Umfragen zufolge nur knapp überspringen dürfte, verharrt die regierende Linkspartei (siehe unterer Beitrag) bei 11 bis 12 Prozent und könnte damit schlechter abschneiden als 2021 (14,1 Prozent).
Besser läuft es dagegen für die AfD, die unter Kristin Brinker um einen betont bürgerlichen Wahlkampf ohne schrille Zwischentöne bemüht ist. Nachdem die Partei bei der vergangenen Wahl von 14,2 Prozent (2016) auf acht Prozent abgestürzt war, kann sie nun auf eine Erholung und gut zehn Prozent hoffen. Vermutlich wäre ohne den Schlußspurt der Union, die unter anderem die gewalttätigen Silvesterkrawalle in Berlin schnell und zupackend für ihren Wahlkampf genutzt hat, für die AfD noch deutlich mehr möglich gewesen.
Mindestens so gespannt wie auf das Wahlergebnis sind viele Beobachter darauf, ob diesmal organisatorisch alles glatt läuft. Doch nicht nur die Erfahrung spricht dagegen – bereits bei der Wahlvorbereitung gab es erste Pannen. Damit das ganz große Desaster ausbleibt, hat der Senat einiges anders gemacht als bei der Pannenwahl. So wurde die Zahl der Wahlhelfer von 34.000 auf 38.000 erhöht. Auch in die bessere Schulung und die finanzielle Entschädigung der unentbehrlichen Helfer haben die politisch Verantwortlichen investiert, das sogenannte „Erfrischungsgeld“ für den Dienst an der Demokratie wurde auf 240 Euro aufgestockt. Um zu verhindern, daß sich vor den Berliner Wahllokalen wie 2021 wieder lange Schlangen bilden, sollen in den Räumen mehr Wahlurnen aufgestellt werden. Insgesamt hat der Senat 39 Millionen Euro für die Wiederholungswahl bereitgestellt.
Doch all diese Mühe könnte vergeblich gewesen sein, wenn das Bundesverfassungsgericht, dessen endgültige Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Wiederholungswahl noch aussteht, zu dem Ergebnis kommt, daß die komplette Neuwahl trotz aller Wahlfehler unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig war. Daß es so weit kommt, glauben die Experten zwar nicht, wohl aber könnte die Neuwahl in einzelnen Wahlbezirken für ungültig erklärt werden. „Wenn die Wiederholung der Wahl ganz oder in Teilen unverhältnismäßig war, müßte in den betreffenden Wahlkreisen das seinerzeitige Wahlergebnis wieder ‘aktiviert’ werden“, sagte der Verfassungsrechtler Michael Brenner dem Tagesspiegel: „Das könnte natürlich auch zu erneuten Wechseln im Abgeordnetenhaus führen.“