© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/23 / 10. Februar 2023

„Friedrich Merz hat viele enttäuscht“
Interview: Was steckt hinter den Vorwürfen gegen Hans-Georg Maaßen? Der Ex-Verfassungsschutzchef warnt vor einer linken Parteielite in der CDU und einem linken Rassismus in unserer Gesellschaft
Moritz Schwarz

Herr Dr. Maaßen, wird das angedrohte Parteiausschlußverfahren gegen Sie erfolgreich sein? 

Hans-Georg Maaßen: Darüber werden vermutlich erst die Gerichte entscheiden. Ich sehe nicht, daß ich mir habe etwas zuschulden kommen lassen und daß die Voraussetzungen für einen Parteiausschluß gegeben sind. Seit 45 Jahren bin ich CDU-Mitglied, habe 2021 sogar unter großem persönlichem und finanziellem Aufwand für die CDU Thüringen um ein Bundestagsmandat gekämpft und ein für die damalige schwierige Lage gutes Ergebnis erzielt. Auch die sehr aufgeregten Vorwürfe von linker Seite, die teilweise niederträchtigen Anwürfe gegen mich verlaufen ja immer mehr im Sande. Viele Menschen verstehen inzwischen, wie die Dinge einzuordnen sind, und viele CDU-Mitglieder haben mir berichtet, daß sie die Parteiführung darum gebeten haben, daß sie ihre Meinung nochmal überdenkt. Ich persönlich halte das Ganze nach wie vor für eine unglückliche und unüberlegte Angelegenheit, die der Partei sehr schaden wird, und würde der CDU empfehlen, eine Gesprächslösung zu suchen und nicht mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. 

Vorgeworfen werden Ihnen Antisemitismus und Verschwörungsideologie ...

Maaßen: Moment, nein! Vorgeworfen wird mir vom CDU-Präsidium die „Übernahme des Vorsitzes der Werteunion“ sowie „Äußerungen in der Sprache aus dem Milieu der Antisemiten und Verschwörungsideologen“. Würde man mir Antisemitismus vorwerfen, könnte ich dagegen womöglich gerichtlich vorgehen. Aber ein Ausdruck wie „Verwendung der Sprache ...“ läßt sich kaum überprüfen, da kaum jemand weiß, welche Ausdrücke in diesen Milieus verwendet werden. Diese Formulierung ist subtiler als „Antisemit“, hinterläßt aber die gleiche diffamierende Wirkung. Als mir während meines Wahlkampfs 2021 die Verwendung „antisemitischer Codes“ vorgeworfen wurde, sagte uns ein Rabbiner, daß mittlerweile nach seiner Meinung achtzig Prozent aller Antisemitismus-Vorwürfe politisch motiviert seien, um Menschen damit mundtot zu machen. Der Begriff Antisemitismus wird heute mißbraucht, um Menschen zu diffamieren und sie aus dem demokratischen Diskurs auszuschließen. Rafael Korenzecher, Herausgeber der Jüdischen Rundschau, kritisierte vergangene Woche genau das und nannte es einen „von grün und links mitkonstruierten und abwegigen Antisemitismusvorwurf“ gegen mich. Diejenigen, die so inflationär diesen schrecklichen Vorwurf erheben, relativieren in meinen Augen Haß gegen Juden und diesen furchtbaren Teil der deutschen Geschichte. Mich macht das alles sehr traurig. Es scheint, als hätten viele nichts aus der Geschichte gelernt – und zwar gerade jene, die für sich reklamieren, für die Lehren aus der Geschichte zu streiten. Viele von ihnen sind bereit, sich jedem noch so böswilligen Mob anzuschließen, solange ihre Fahne vorangetragen wird. Es ist wirklich traurig.

Was entgegnen Sie auf den Vorwurf der „Verschwörungsideologie“?

Maaßen: Wir leben eigentlich in einem Rechtsstaat. Das bedeutet, um jemandem Fehlverhalten vorzuwerfen, muß er gegen eine klar definierte Norm verstoßen haben. Aber was ist „Verschwörungsideologie“? Es ist weder ein Straftatbestand noch eine Ordnungswidrigkeit, sondern ein politischer Kampfbegriff, der willkürlich gegen die Meinungsfreiheit und jeden verwendet werden kann, der eine bestimmte Politik ablehnt. Man könnte den Begriff auch durch „Ketzerei“ ersetzen.

Konkret vorgeworfen wird Ihnen unter anderem, daß Sie auf Twitter von einem „eliminatorischen Rassismus gegen Weiße“ gesprochen haben. „Eliminatorisch“ ist seit der „Goldhagen-Debatte“ mit dem Holocaust verknüpft.War Ihnen nicht klar, was Sie heraufbeschwören, wenn Sie Worte gebrauchen, die für die Beschreibung des NS-Völkermords „reserviert“ sind? 

Maaßen: Der Historiker Daniel Goldhagen sprach von „eliminatorischem Antisemitismus“, in meinem Tweet hieß es „eliminatorischer Rassismus“. Das ist ein Unterschied! „Eliminatorischer Rassismus“ wurde auch schon von anderen verwendet, wenn es um gezielte Vernichtung von Menschen aus rassistischen Motiven geht. Die linksradikale Amadeu-Antonio-Stiftung etwa sprach von „eliminatorischem Rassismus“ im Zusammenhang mit dem Anschlag von Hanau. „Eliminatorisch“ hat sich teilweise als Synonym für „Vernichtungsabsicht“ verselbständigt. Dafür daß der Begriff aus dem Milieu der Antisemiten stammen soll, wie mir von der CDU unterstellt wird, gibt es keine Belege. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es Rechtsextremisten gibt, die diesen Begriff verwenden. Der Tweet wurde übrigens von einer Mitarbeiterin vorgeschlagen, die Holocaust Communication und Judaistik studiert hat. Sie empfahl den Begriff als Reaktion auf einen Tweet von Axel Steier, dem Gründer der Seenot-Schlepperorganisation „Mission Lifeline“, der davon sprach, die „Weißbrote“ – darunter versteht er Menschen weißer Hautfarbe – in Deutschland abzuschaffen. Sowie bekannte, daß die massenhafte Einschleusung von Migranten der „Enthomogenisierung“ unserer weißen Gesellschaft diene. Das ist eine zutiefst rassistische Geisteshaltung. Vor diesem Hintergrund hielten wir den Ausdruck „eliminatorischer Rassismus“ für gerechtfertigt und unproblematisch und waren ehrlich erschrocken über die Reaktion darauf – die wir in keiner Weise auslösen wollten! Auch haben wir direkt nach Bekanntwerden der Kritik des Antisemitismusbeauftragten Felix Klein an unserem Tweet diesen angeschrieben, unsere Beweggründe erklärt, um Aufklärung gebeten, ein Gespräch angeboten und versichert, daß wir – wenn der Begriff tatsächlich antisemitisch sei, was wir eben nicht sehen könnten – ihn natürlich auch nicht mehr verwenden würden. Es kam keine Reaktion. 

Tatsächlich haben Sie sich als Verfassungsschutzchef doch für die Sicherheit der deutschen Juden eingesetzt.

Maaßen: Ich kämpfe seit Jahrzehnten dafür, daß auch und gerade unsere jüdischen Mitbürger sicher leben können. Und wenn mir jemand, dem ich Antisemitismus vorwerfe, erschrocken schriebe, daß er das gar nicht verstehen könne und das Gespräch sucht, würde ich das sofort annehmen, da ich nicht an der Instrumentalisierung tatsächlichen oder vermeintlichen Judenhasses interessiert bin, sondern daran, daß es so wenig wie möglich davon gibt. Ich habe in meinem langen Berufsleben die Erfahrung gemacht, daß nur jene den Dialog nicht wollen, die aus der Verhärtung von Fronten Nutzen ziehen, sei er emotional, sozial, strukturell, wirtschaftlich oder politisch.

Sie habe auch davon gesprochen, daß „politische Verfolgung aus rassischen Gründen gegen Weiße erlaubt“ sei. Wo sehen Sie hierzulande eine „Verfolgung“ Weißer? 

Maaßen: Das ist in meinen Augen eine allgemeine Haltung, die als Melange aus der Ideologie der „Antideutschen“ und der „Critical Race Theory“, kurz CRT, immer wirkmächtiger wird. Bei der politischen Linken hat sich die neomarxistische Strömung der CRT und der „Critical Whiteness“ durchgesetzt und wird nun auch im politisch-medialen Mainstream immer populärer. Das kommt manchmal recht harmlos daher, wie in der Floskel vom „alten weißen Mann“ oder dem Ausdruck „Kartoffel“ für ethnische Deutsche, aber auch als demographische Kampfansage, wenn Anetta Kahane, Chefin der erwähnten linksradikalen Amadeu-Antonio-Stiftung, die zu den führenden Meinungsmachern bei uns zählt, davon spricht, daß Ostdeutschland zu weiß sei. Junge Grüne sprechen von einer „eklig weißen Mehrheitsgesellschaft“. Weiße werden immer mehr durch Quoten benachteiligt, eben weil sie weiß sind. Das ist rassistisch. Ich lehne jeden Rassismus ab, muß aber feststellen, daß er mit umgekehrten Vorzeichen in den Staaten des Westens und bei uns schleichend eingeführt wird. Um eine Diskussion darüber zu verhindern, wird von linker Seite behauptet, es könne keinen Rassismus gegen Weiße geben. Das ist wirklich absurd! Diese rassistische Haltung unter dem perfiden Deckmantel des Minderheitenschutzes hat sich bei uns schon in den Universitäten, den Schulen, Kitas, Behörden und nicht zuletzt in den Parteien breitgemacht. Die linken NGOs sind dabei massive Treiber dieser rassistischen Ideologie.

In einem Interview auf dem Portal des Journalisten Alexander Wallasch urteilen Sie, die für die Massenzuwanderung „verantwortlichen Politiker und Haltungsjournalisten … hassen das deutsche Volk.“ Hassen wirklich alle entsprechenden Politiker und Journalisten Deutschland – ist das nicht völlig übertrieben?

Maaßen: Ich habe mich in dem Interview dazu geäußert, daß anders als vor Jahren heute die ungesteuerte Migration nicht mehr mit Flüchtlingsschutz oder humanitären Anliegen begründet wird – sondern gar nicht mehr! Sie findet einfach statt, weil man die Macht dazu hat und man sie aus ideologischen oder rassistischen Gründen will. Wir können gerne die Biographien und Äußerungen von Politikern in bezug auf ihr Verhältnis zu Deutschland durchgehen, da finden sich manch interessante Erkenntnisse. 

Es gibt in der Tat einen manifesten und belegbaren linken Rassismus, aber fürchten Sie nicht, sich durch solche Übertreibungen die Zahl der Bürger, die Ihnen eigentlich zustimmen würden, erheblich zu verringen, und machen Sie sich zudem damit nicht angreifbar?

Maaßen: Bevor ich darauf eingehe, möchte ich einen wichtigen Punkt, der mir bei Ihnen auffällt, ansprechen: die politische Linke schafft es, Sachdiskussionen zu verhindern, indem sie den Scheinwerfer von der Sachebene auf die Sprachebene richtet: Es wird dann nicht mehr darüber diskutiert, was sondern wie es kritisiert wurde – wobei die Technik des bewußten Mißverständnisses extensiv eingesetzt wird. Die Sachkritik wird mit einer Stilkritik beantwortet: es wird nur noch darüber diskutiert, wie die Kritik vorgebracht wurde. Ist Ihnen nicht aufgefallen, daß wir in den letzten Minuten nicht über die Gefahren des linken Rassismus, sondern nur darüber geredet haben, ob ich meine Kritik nicht „schöner“ hätte formulieren können? Im übrigen ist auch eine Kritik, die „unschön“ oder ruppig ist, die rhetorische Spitzen und Übertreibungen enthält, vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt, und diese Kritik rechtfertigt nicht, sich einer Sachdiskussion zu verweigern. Nun zu Ihrer Frage: Ich bin überhaupt nicht der Meinung, daß ich übertrieben habe. In Anbetracht der Gefahr, die von linken fanatischen Ideologen ausgeht, die das Land durch ihre Migrationspolitik grundlegend verändern wollen, muß man sich Gehör verschaffen. Ich kann nicht erkennen, daß das Thema CRT und Rassismus gegen Weiße in der Öffentlichkeit angekommen wäre, wenn ich es nicht verschärft angesprochen hätte. Oder haben Sie von Herrn Merz oder Herrn Söder dazu schon einmal etwas gehört?

Sie hatten jahrelang eine Innenansicht der Politik, wie stellt sich das Ausmaß von Haß und Rassismus auf/gegen Deutsche/Weiße in der Politik denn konkret dar? 

Maaßen: Die CRT ist eine neomarxistische Ideologie, die aus den USA zu uns kam und mit der Ideologie der „Antideutschen“, einer linksextremistischen Strömung, eine eigentümliche Mischideologie bildet, die schleichend Einfluß auf den Mainstream in Medien und Politik nimmt, auch wenn vielen sicher nicht bewußt ist, daß es sich um eine Ideologie und nicht um eine zufällige Entwicklung handelt. Denken Sie etwa an den schon erwähnten Ausdruck „alte weiße Männer“, der heute kaum mehr als rassistisch oder diskriminierend angesehen wird. Nahezu unwidersprochen werden „alte weiße Männer“ für den Klimawandel, die Ungleichheit in der Welt, Kriege etc. verantwortlich gemacht und aus dem gesellschaftlichen Diskurs gedrängt. Ersetzen Sie mal den Ausdruck „alte weiße Männer“ durch „junge schwarze Männer“, was das bei Ihnen auslösen würde, wenn man diesen Leuten das vorwerfen würde. Wir wundern uns, daß es neuerdings normal ist, so etwas zu sagen, aber die wenigsten verstehen, daß das Ausdruck einer Ideologie ist. Oder denken Sie daran, daß in Medien und Politik die aus den USA importierte Auffassung vertreten wird, ein Rassismus gegen Weiße sei nicht möglich, Rassismus gebe es nur gegenüber nichtweißen Menschen. Eine völlig abwegige Rechtsauffassung, wenn man nur einmal in die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 schaut.

Viele fragen sich, warum Sie „diese“ CDU nicht freiwillig verlassen, andere, warum Sie nicht der AfD beitreten. Was antworten Sie?

Maaßen: Ich bin Junger Union und CDU wegen Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und Helmut Kohl beigetreten, deren politische und ethische Positionen ich immer noch für richtig und zukunftsweisend halte. Es ist wohl unbestritten, daß Angela Merkel aus der christlichen CDU eine linke Partei gemacht hat. Ein großer Teil der Mitglieder hatte Friedrich Merz unterstützt, weil man hoffte, er würde den Merkel-Laschet-Kurs nicht fortsetzen, sondern eine Politikwende bringen. Der Umgang mit mir wird auch zeigen, wo die CDU künftig steht: Wird sie zu einer von vier linken Parteien im Bundestag? Oder wird sie wieder für die bürgerliche Mitte wählbar, die den Linkskurs nicht mitgeht?

Am 28. Januar haben Sie den Vorsitz der Werteunion übernommen. Diese gilt allerdings als politisch tot, welche Perspektive sehen Sie also?

Maaßen: Friedrich Merz hat viele seiner Anhänger und Wähler enttäuscht. Die Werteunion hatte massiv für ihn Werbung gemacht, weil sie hoffte, daß es zu einer bürgerlichen Politikwende und einem personellen Neubeginn kommt. Jetzt zeigt sich das als Fehleinschätzung, denn Merz setzt den Kurs Merkels in weiten Bereichen fort, und es ist nicht abzusehen, daß er überhaupt zu einer Kurskorrektur bereit ist. Ich bin von den CDU-Freunden aus der Werteunion gebeten worden, den Vorsitz zu übernehmen und sehe die Notwendigkeit, eine Bürgerbewegung zwischen einer linken Union und der AfD zu schaffen. Deshalb können jetzt auch Nichtmitglieder von CDU/CSU der Werteunion beitreten.

Wie empfinden Sie das Verhalten der CDU persönlich? 

Maaßen: Ich bin überzeugt, daß kein einziger im Bundespräsidium die Vorwürfe gegen mich wirklich ernst nimmt. Aber sie halten mich offensichtlich für gefährlich für das in meinen Augen verfilzte Parteiestablishment. Die CDU-Führung, in der weitestgehend noch Merkelianer das Sagen haben, will offensichtlich nicht, daß die aktuell in ihren Führungspoisitionen grün-linke CDU auch nur einen Millimeter wieder Richtung Mitte geht. Ich habe aber noch viele Freunde in der CDU, die mir täglich den Rücken stärken, in meinem Kreisverband Schmalkalden-Meiningen, im Berliner Kreis, in der Werteunion und viele weitere Parteimitglieder, die mich auffordern, nicht darin nachzulassen, weiter zu kämpfen.






Dr. Hans-Georg Maaßen war von 2012 bis 2018 Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Ab 1991 im Bundesinnenministerium tätig, war der 1962 in Mönchengladbach geborene Jurist für Zuwanderung, Ausländerrecht und Terrorbekämpfung zuständig. Zudem lehrte er an der FU Berlin sowie am Europäischen Zentrum für Staatswissenschaften und war Autor eines Grundgesetz-Kommentars. Seit 1978 gehört er der CDU an.