Jürgen Heiducoff, ein in der Sowjetunion ausgebildeter ehemaliger Oberstleutnant der NVA, dann der Luftwaffe der Bundeswehr, diente als OSZE-Beobachter im ersten Tschetschenienkrieg, später im Stab der ISAF in Afghanistan und als Militärberater des deutschen Botschafters in Kabul. Dort fiel der 1952 in Sachsen geborene Soldat 2007 wegen seiner antifaschistischen Gesinnung und kritischen Berichte über die aus seiner Sicht unverhältnismäßig brutale und mörderische US-Kriegsführung, eine Kritik, die auch als „Brandbrief aus Kabul“ an den damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier publik wurde, in Ungnade und wurde entlassen.
In dieser Phase findet er Tröstung und Zuspruch bei den Kameraden, pardon: Genossen, der russischen und chinesischen Militärmission in Kabul, ein für einen deutschen Militärattaché etwas ungewöhnliches Verhalten. Da die Chinesen auch nach dem Sieg der Taliban an ihrem afghanischen Nachbarn und deren weltgrößtem Kupfervorkommen von Aynak sehr interessiert bleiben, zumal ihnen deren inneres System wie immer gleichgültig ist, laden sie den entlassenen Stabsoffizier und Afghanistan-Experten gern nach China ein, wo er auch mit seinen neuen soldatischen Freunden plaudern kann. Sein von unverhohlener DDR-Nostalgie geprägtes Weltbild ist dabei von außerordentlicher Schlichtheit. Die chinesische Geschichte erzählt er nach den Darstellungen des Pekinger Militärmuseums nach. Waren ursprünglich die bösen westlichen Kolonialisten und die aggressiven japanischen Faschisten für alles Unheil des stets friedliebenden Chinas verantwortlich, so haben seit 1945 die USA sämtliche Kriege der Welt von Korea und Vietnam über Libyen, den Irak, Syrien bis Afghanistan angezettelt und brutalisiert und versuchen jetzt mit Hilfe der Nato China und Rußland, immerhin die größten Flächenstaaten der Welt, einzukreisen.
China folgt nur defensivem Auftrag gegen einen aggressiven US-Kurs
China hat dagegen unter der von „uneingeschränkter Zustimmung“ getragenen Führung von Xi Jinping, der auch die Korruption als „Begleiterscheinung des Kapitalismus“ im Lande erfolgreich ausgemerzt hat, keinerlei expansive Ambitionen. Seine modernisierte Volksbefreiungsarmee hat gegen den aggressiven Kurs der USA seit Obama nur defensive Aufgaben, und sei es durch drei (und bald sechs) Flugzeugträgergruppen. Die Drohungen gegen Taiwan seien irrelevant, da die Insel ohnehin zu China gehöre. Auch die Atolle im Südchinesischen Meer wurden nur als Schutz vor der US-Flotte annektiert und als „unsinkbare Flugzeugträger“ militarisiert. Und wie die Tibeter, Uiguren, Mandschus, Inneren Mongolen und die Völker des Yunnan unter die Herrschaft der Han-Chinesen gerieten, darüber schweigt sich der Autor aus.
Interessanterweise auch kein Wort über die fortgesetzte Gültigkeit der letzten der verhaßten „Ungleichen Verträge“, mit denen das Zarenreich die Qing-Dynastie zur Abtretung des südlichen heutigen „Russisch Fernost“ gezwungen hatte. Chinesisches Militär in Xinjiang dient selbstredend nur dem Schutz vor kriminellen Banden und Terroristen, denn Chinas lange Außengrenzen können leider nicht so gut geschützt werden wie die „Staatsgrenze West der DDR“. All dieser Propagandamüll wäre noch erträglich, würde Heiducoff eine saubere Analyse der Stärken und Schwächen des chinesischen Militärs, des Personals, seiner Rüstung, Ausbildung, Dislozierung, Strategie und verschleierten Finanzen liefern, wie man dies von einem Stabsoffizier mit langjähriger internationaler Erfahrung erwarten sollte. Allein, abgesehen von martialischen PR-Fotos einer – ähnlich der russischen – Parade- und Schau-Manöverarmee, unüberprüfbaren Modernisierungsmeldungen und inhaltsleeren offiziellen Diagrammen herrscht bei ihm weitgehend Fehlanzeige.
Bezeichnenderweise ist die einzige West-Politikerin, die als „China-Freundin“ mit ihren alljährlichen Pilgerfahrten nach Peking vor seinen Augen Gnade findet, die vormalige FDJ-Funktionärin Angela Merkel, für die sich das Mekka des Ostens wie für den Autor von Moskau nach Peking verlagert hat. Was an dem Buch nur noch fehlt, ist ein lobendes Vorwort des chinesischen Botschafters.
Jürgen Heiducoff: Die neue Militärmacht. Welche Pläne verfolgt Peking? Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2022, gebunden, 189 Seiten, 18 Euro