Wilhelm von Gottberg legt eine kritische Biographie seines Großonkels, „Friedrich von Berg – Berater des Kaisers“ vor. Friedrich von Berg (1866–1939) war Chef des Geheimen Zivilkabinetts des letzten Deutschen Kaisers. Zuvor machte er als adliger Gutsbesitzer aus Ostpreußen eine steile Karriere vom Landrat über die Ämter des Landeshauptmanns und des Oberpräsidenten der Provinz Ostpreußen bis in die unmittelbare Umgebung von Kaiser Wilhelm II. Er wurde dessen Vertrauter und hatte erheblichen Einfluß auf wichtige Entscheidungen des Monarchen im letzten Kriegsjahr. Wilhelm II. duzte Berg, der zum Kaiser eine persönliche Verbindung hatte, gar eine Freundschaft empfand. Sie hatten sich 1886 über ihre gemeinsame Verbindung im Kösener Corps Borussia in Bonn kennengelernt.
Der Autor arbeitet detailliert die Geschehnisse nicht nur im Zivilbereich, Berg war Chef des geheimen Zivilkabinetts, sondern auch im militärischen und außenpolitischen Bereich auf. Berg überschritt grundsätzlich seine Zuständigkeiten und wirkte auf die Entscheidungsfindung umfassend ein, dies oft „respektlos und intrigant“. Von Gottberg unterwirft seinen Großonkel heftiger Kritik und schreibt ihm eine maßgebliche Verantwortung am Verlauf des militärischen und politischen Niedergangs des Reiches und der Monarchie zu. Er war der „Totengräber der Monarchie“, so Außenstaatssekretär von Kühlmann. Gottberg sieht die Tragik seines Großonkels darin, daß dieser den Kaiser zur Entlassung des Kanzlers Bethmann Hollweg drängte und zur Erzielung eines Siegfriedens um jeden Preis geraten hatte, dies viel zu lange, bis schließlich die militärische Lage aussichtslos war und eine Bereitschaft zu Gesprächen über Waffenstillstand und Friedensverhandlungen bei der Entente nicht mehr vorhanden war.
Bereits 1917 waren die Gegensätze zwischen der Reichsregierung, dem Kanzler Bethmann Hollweg und der Obersten Heeresleitung (OHL) mit Kronprinz Wilhelm und konservativen Politikern in Militär und Reichstag ein dauerhaftes Intrigenspiel. Neben der militärischen Kriegsstrategie waren innenpolitische Meinungsverschiedenheiten wie die Änderung des preußischen Dreiklassenwahlrechts mehr und mehr bestimmend. Berg hatte sich bei Diskussionen darüber jeglichen Reformen widersetzt.
Friedrich von Berg bremste Friedensverhandlungen aus
Wilhelm II. war in diesen Konflikten immer ein Getriebener der OHL. „Wenn der Monarch den Wünschen der Generäle ablehnend gegenüberstand, drohten diese mit Rücktritt. Nichts fürchtete er mehr, als die Demission Hindenburgs und Ludendorffs.“ So wollte er 1917 Theodor von Bethmann-Hollweg und im Sommer 1918 seinen Außenstaatssekretär Kühlmann anfangs unbedingt halten. Er hatte gar eine positive Einschätzung zu dessen Verhandlungsgeschick mit Sowjetrußland. Aber das Verhältnis zur OHL, die für demütigende Friedensbedingungen für Rußland eintrat, war zerrüttet. Kühlmann mußte gehen, wie es Berg wochenlang gefordert hatte.
Nach der gescheiterten Sommeroffensive im Juli 1918 wurde die Lage für das Reich aussichtslos. Im Umfeld des Kaisers setzte man letzte Hoffnungen auf den US-Präsidenten Woodrow Wilson für das Erreichen erträglicherer Friedensbedingungen. Im Gegensatz zur unerbittlichen Feindschaft Frankreichs, das die vollständige Niederwerfung Deutschlands forderte, unterlag man der Illusion, Wilson könnte unter Bezugnahme auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker eine gerechte Friedensordnung anstreben. Dem war nicht so, im Herbst 1918 forderte er, „Demokratisierung Deutschlands und die Abschaffung der Militärherrschaft“, später gar die Auslieferung von Kaiser und Kronprinz, um diese vor ein Kriegsverbrechertribunal zu stellen.
Im Oktober 1918 war klar, daß für Berg als Berater keine Verwendung mehr bestand. Er mußte am 7. Oktober seine Abdankung einreichen. Bereits am 1. November reiste er zurück nach Ostpreußen und zog sich auf sein Gut in Markienen bei Bartenstein zurück, blieb aber politisch aktiv. 1919 wurde er für die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) in den Provinzlandtag der Provinz Ostpreußen gewählt.
Das Urteil des Autors, daß die Geschichte für Deutschland anders verlaufen wäre, hätte Berg anstatt auf einen Siegfrieden zu setzen einen Verhandlungsfrieden priorisiert und dem Kaiser dazu geraten, muß nicht geteilt werden. Weder nach dem Sichtbarwerden der militärischen Schwäche des Reiches noch davor hat es ernstzunehmende Signale seitens der Alliierten gegeben. Ein Verständigungsfrieden war für die Entente zu keinem Zeitpunkt ein Thema. Richtig ist wohl die Einschätzung von Gottberg, daß Berg „als willfähriger Handlanger der OHL mißbraucht wurde“. Berg selbst konnte das nicht sehen.
Auch nach dem Ersten Weltkrieg blieb Berg dem Hause Hohenzollern als Generalbevollmächtigter eng verbunden. Von 1921 bis 1926 vertrat er das ehemalige Königshaus zusammen mit dem Kaisersohn Wilhelm in den Auseinandersetzungen mit dem Reich um das Hausvermögen. Als Vorsitzender der Deutschen Adelsgenossenschaft und als Synodalpräses der evangelischen Kirche Ostpreußens wirkte er in der Zeit des Umbruchs. Friedrich von Berg starb 1939 auf seinem Gut Markienen.
Wilhelm von Gottberg wurde noch in Ostpreußen geboren. Er war langjähriger Vorsitzender der Landsmannschaft Ostpreußen und Bundestagsabgeordneter. Mit der vorliegenden Biographie seines Großonkels hat der Verfasser ein Stück Familienhistorie und deutsche Geschichte festgehalten.
Wilhelm Gottberg: Friedrich von Berg – Berater des Kaisers. Eine kritische Biographie. Gerhard-Hess Verlag, Bad Schussenried 2022, gebunden, 278 Seiten, 19,90 Euro