Bei Bild als Chef abgesetzt, gründete Julian Reichelt im Frühling vergangenen Jahres sein eigenes Unternehmen Rome Medien und startete den Youtube-Kanal „Achtung, Reichelt!“ Innerhalb nicht mal eines Jahres gewann die stark an Fox-Moderator Tucker Carlson erinnernde Sendung fast 300.000 Abonnenten. Mit pleiteticker.de – anfangs als Aufzählaktion für sich mehrende Insolvenzen ins Leben gerufen – wurde parallel eine Nachrichtenseite für Online-Artikel und als eigenes Verteilerkreuz aufgebaut.
Und die Rome Medien wachsen fleißig weiter, neue Formate ploppen auf, das Team in Berlin wird erweitert. Dabei gelang Reichelt ein kleiner Coup. Nachdem er bereits vergangenen Sommer die Gender-kritische Journalistin Judith Sevinç Basad gewinnen konnte, verpflichtete er Ende 2022 den Ex-Leiter des Bild-Parlamentsbüros, Ralf Schuler, als Politikchef. Der 58jährige hatte wie Basad den Springer-Konzern im Streit verlassen, weil er mit Blick auf die LGBTQ-Gemeinschaft nicht „für eine politische Bewegung und unter ihrer Flagge“ arbeiten wollte. Der in der Hauptstadt bestens vernetzte Politik-Insider bekam sofort sein eigenes Vier-Augen-Gesprächsformat auf Youtube: „Schuler! Fragen, was ist“ (18.400 Abonnenten). Dort traf er bisher, was in der Union noch als konservativ und kantig gilt – und oftmals dort nicht mehr viel zu sagen hat: Joachim Herrmann, Thorsten Frei, Herbert Reul, Kristina Schröder.
Die AfD kommt bei ihm nicht zu Wort
Zum Beginn des neuen Jahres startete zudem „Stimmt! Der Nachrichten-Talk“ (24.500), in dem Mitglied der Rome-Chefredaktion und Moderator Sebastian Vorbach vier Gäste zu Themen begrüßt, „die wirklich wichtig sind“. Doch „Panzer-Frage“, „Mogelpackung Wahlreform“, „Lauterbachs Corona-Politik“ oder „Grüner Terror“ werden auch bei anderen alternativen Medien heftig debattiert.
Reichelts Start-up bedient jedoch, was andere rechtskonservative Angebote zu lange sträflich vernachlässigt haben: aktuelle Bewegtbilder. Mit dem früheren Springer-Redakteur Julius Böhm und mit Jan Karon, der an den „Schattenwelten“-Reportagen des RBB mitwirkte, hat Reichelt junge, außendienst- und kameraerfahrene Journalisten in die Mannschaft geholt. In allen sozialen Netzwerken von Twitter bis Instagram sind die entsprechenden Formate präsent, bieten bei jungen Nutzern beliebte Hochkant- und Kurzclips. Reichelt verfolgt hier die Ansätze weiter, die er mit seinem Herzensprojekt Bild TV initiiert hat: örtlich hochflexible mobile Videoberichterstattung. Krawalle in Lützerath: ein Kamerateam ist vor Ort. Messermord in Illerkirchberg oder Streit um eine Flüchtlingsunterkunft im bayerischen Peutenhausen: bei „Achtung, Reichelt!“ geht kurz darauf eine Doku online. Neujahrsrandale in deutschen Großstädten: Reichelt-Reporter sind mittendrin und liefern die Bilder, die kurz darauf exemplarisch für die Ausländerexzesse durch Internet und Presse gehen. Die Rome-Redaktion hatte angesichts entsprechender Polizeimeldungen in den Tagen vor Silvester den richtigen Riecher für eine sich anbahnende Top-Story.
Reichelt versteht sein Handwerk, weiß Bild-typisch Geschichten zu erkennen, sie knapp und bündig zu erzählen und Schlagzeilen knackig zu formulieren. Die vielen Ausrufezeichen in den Sendungen und die Großbuchstaben in den farbigen Headlines sind nur zwei von vielen Hinweisen, wie treu der frühere Kriegsreporter dem Boulevard bleibt. Mit Fürstin Gloria von Thurn und Taxis und der Niederländerin Eva Vlaardingerbroek hat er darüber hinaus aussagekräftige Klartext-Kommentatorinnen an der Seite. Mit seiner kürzlich bekanntgegebenen persönlichen Verweigerung des Rundfunkbeitrags „aus Gewissensgründen“ angesichts von „Propaganda“ und „Fake News“ bei ARD & ZDF zeigt Reichelt zudem Gespür für die Stimmungen in seinem anvisierten Protest-Zuschauermilieu. Die Stoßrichtung der Videos ist dabei größtenteils stark meinungslastig und regierungskritisch, was Reichelt bereits den vorhersehbaren und ausgelutschten Mainstream-Vorwurf des „Rechtsradikalen“ und „Rechtspopulisten“ eingebracht hat. Doch so sehr sich der 42jährige mit berechtigter und gut gemachter Kritik an Migration, Wokeness, Klima-Klebern und Öffentlich-Rechtlichen als Dissident inszeniert, zur Wahrheit gehört: Wäre der Hamburger nicht über umstrittene Sexismus- und Machtmißbrauchsvorwürfe gestolpert, hätte er munter weitergemacht beim Mainstreamriesen Springer (der 2015 den Schlachtruf „Refugees welcome!“ übernahm). An dessen transatlantischen Leitlinien des Schulterschlusses mit den USA und Israel hält er sich weiterhin. Sein jetziges Engagement ist aus Not und Marktkalkül geboren, nicht aus Überzeugung.
Seine Verbindungen zum Milliardär und Medienunternehmer Frank Gotthardt (JF 16/22) und anderen Pressegrößen führen in alte CDU-Zirkel. Sind Reichelts Unternehmungen, die in erster Linie lautes SPD- und Grünen-Bashing betreiben, daher nur ein Versuch, die im aktuellen Zeitgeist abgeschriebenen schwarzgelben Positionen wiederzubeleben? Die AfD kommt bei Reichelt zumindest nicht zu Wort. Solange „ die AfD den Holocaust für einen Fliegenschiß der Geschichte“ halte, „sind das für mich keine Gesprächspartner“, stellte er gegenüber Corrigenda klar. Auch eine JF-Anfrage zu den künftigen Plänen und ob man als Politikjournalist nicht grundsätzlich mit allen im Parlament vertretenen Parteien reden müßte, blieb unbeantwortet.