Seit drei Jahrzehnten sind die Zeiten vorbei, da die Bundesregierung die Herstellung von Tausenden Panzern und anderen Kampffahrzeugen bei Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann (KMW ) in Auftrag gab. In den 70er und 80er Jahren existierten in Deutschland gewaltige Fabrikhallen, wo monatlich mehrere Dutzend Panzer vom Fließband liefen. Nach dem Ende des Kalten Krieges strichen Bundeskabinette unterschiedlicher Couleur die Friedensdividende ein: Die Truppenstärke der Bundeswehr sank von 495.000 (1988) auf 183.000 (2022); aus über 7.000 Kampf- und Schützenpanzern wurden 1.000, von 1.000 Kampfflugzeugen blieben 250 übrig. Die deutsche Rüstungsindustrie bekam viel weniger und auch andere Aufträge – weg von der Landesverteidigung, hin zur globalen Einsatzarmee in Afghanistan oder Mali.
Die geschrumpften Lieferanten sollten nur noch den Bedarf einer Rumpftruppe decken, Auslandsexporte wurden restriktiv gehandhabt. Die Panzer-Fertigungsstraßen verschwanden, das hochqualifizierte Personal und die Zulieferer wanderten in andere Branchen ab. Gleiches galt für die Munitionsproduzenten. Das unaufhaltsame Sterben der klassischen Rüstungsindustrie wurde stillschweigend hingenommen. Großaufträge gab es immer seltener. Etliche Firmen machten dicht oder stellten auf den zivilen Sektor um. Seit der „Zeitenwende“ (Olaf Scholz 2022) durch den Ukrainekrieg kommen nun laute Vorwürfe von seiten der Politik. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, Soldatensohn und Ex-Zivildienstleister, drohte sogar, die benötigten Waffen auch im Ausland kaufen zu können – beispielsweise bei den Amerikanern.
Die Truppenbestände werden kannibalisiert und geplündert
Doch die im Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) organisierten Unternehmen hatten bereits kurz nach dem Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 deutlich gemacht, daß sie nur auf schriftliche Aufträge der Bundesregierung warten. Die momentan beispielsweise auf Manufakturbetrieb ausgelegte Leopard-2-Fertigung ließe sich nicht auf Knopfdruck auf Massenproduktion umstellen. Spezialmaterial muß bestellt, geliefert und verarbeitet werden. Neues Personal muß eingestellt und angelernt werden; Produktionsstraßen müssen aufgebaut werden. Daß die Ampelparteien jetzt der Industrie den Vorwurf machen, weil diese nicht mit mehreren Milliarden an Investitionskosten in Vorleistung gegangen ist, ist absurd. Ohne das große „Go!“ der Politik kann das bei Privatfirmen nicht geschehen. Hier zeigen sich auch die Unzulänglichkeiten des 100 Milliarden Euro schweren „Sondervermögens Bundeswehr“, das keine Planungssicherheit gewährleistet.
Wie viele einsatzbereite Panzer oder Flugzeuge die Bundeswehr überhaupt noch hat, ist inzwischen wie im Kalten Krieg geheim. Der Bericht über die „materielle Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr“ wird 2023 in seiner alten Form vom Verteidigungsministerium nicht mehr veröffentlicht, sondern durch eine neue Berichtsform ersetzt, die zudem Verschlußsache ist. Von den weniger als 300 in Bundeswehrbeständen befindlichen Leopard 2 sind jedoch nicht alle auf den neusten Stand gebracht. Bis Ende 2023 sollte die Industrie laut Plan einen Großteil der noch im Dienst befindlichen Panzer auf die neueste Version 2A7 bringen. Aber was ist mit dem Rest? Klar scheint, daß ein beachtlicher Teil der militärischen Unterstützung Deutschlands an die Ukraine aus Bundeswehrbeständen erfolgt.
So soll die Lieferung der angekündigten 40 Marder aus den Schützenpanzer-Beständen der Truppe kommen, die nun hoffen muß, daß die Abgänge entweder durch neue Puma oder andere Marder ersetzt werden. Auch beim Leopard 2 werden die Bundeswehr-Bestände geplündert. André Wüstner, Chef des Bundeswehrverbandes, warnte: „Die Wahrheit ist: Seit Februar geben wir weiterhin Waffengeräte und Munition ab. Wir sind immer noch im freien Fall, wir haben immer noch keine Wende mit Blick auf die eigene Verteidigungsfähigkeit“, so der Heeresoberst in der Welt. Ein Ende dieser Unterstützung scheint noch nicht in Sicht – die Wiederherstellung der Einsatzbereitschaft der Truppe wird daher wohl teuer.
„Man bräuchte 300 Milliarden Euro, um in der Bundeswehr signifikant etwas zu verändern“, erklärte Eva Högl (SPD), die Wehrbeauftragte des Bundestages, in der FAZ. Die selbe Summe nannte Roderich Kiesewetter, Oberst a.D., CDU-Bundestagsabgeordneter und Vizechef des Kontrollgremiums der Nachrichtendienste, bereits im November 2022. Und das Geld dürfte zum Großteil ins Ausland fließen. Daß das Tarnkappen-Mehrzweckkampfflugzeug F-35 Lightning II vom US-Konzern Lockheed Martin kommt, ist verständlich. Aber auch der Leopard 2 könnte im Ausland produziert werden, dies zeigt das Beispiel „Stridsvagn 122“. Der „schwedische“ Kampfpanzer ist eine eigens modifizierte Version des Leopard 2A5.
Er hatte sich bei der Auswahl gegenüber dem US-Konkurrenten M1A2 Abrams und dem französischen Leclerc durchgesetzt. Von den 120 bestellten Leopard-Grundmodellen für die schwedische Armee wurden dabei 29 von KMW und 91 von der schwedischen BAE Systems Hägglunds gefertigt. Die Produktionskapazitäten wären also theoretisch auch in anderen Ländern vorhanden. Rheinmetall Hungary mit Sitz im westungarischen Egersee (Zalaegerszeg) produziert seit Jahresbeginn bereits Schützenpanzer vom Typ Lynx für die heimischen Streitkräfte und Bergepanzer 3 Büffel.
Produktion im Ausland und die riesigen Bestände der USA
Insgesamt sollen bis 2026 etwa 172 Lynx und weitere Unterstützungsfahrzeuge dem ungarischen Militär zur Verfügung gestellt werden. Auch die Munition wird auf eigenen Fertigungsstraßen produziert. Rheinmetall wird über die ungarischen Werke in der Lage sein, Munition für den Leopard 2 und die Panzerhaubitze 2000 herzustellen und zu liefern. In der Stadt Burgschloß (Várpalota) nördlich des Plattensees sollen dafür die Produktionskapazitäten bis 2025 geschaffen werden. Es braucht keine Raketenwissenschaft, um hier weiter hochzuskalieren und Systeme wie Panzerhaubitze und Leopard vom Fließband laufen zu lassen.
Die USA hingegen haben bereits vergangenes Jahr angekündigt, daß sie die industrielle Produktion von Munition für Artillerie, Panzer und Handwaffen deutlich ankurbeln wollen. Bis 2025 soll genug Munition produziert werden, um den Bedarf der Ukraine zu decken und gleichzeitig die eigenen Reserven wieder aufzufrischen. Auch hinsichtlich der Lieferbarkeit von Kampfpanzern und anderen militärischen Fahrzeugen besitzen die US-Streitkräfte ausreichend große Depots und Liegenschaften für die Produktion. Zudem lagern Tausende von M1-Abrams-Panzern in unterschiedlichen Versionen noch in riesigen Army-Depots. Die neueren Versionen könnten direkt für die Ukraine verfügbar gemacht werden – doch das wäre aus Geheimhaltungsgründen gefährlich. Daß die Amerikaner etwas länger für die Panzer-Lieferung brauchen, spricht dafür, daß die US Army keine aktiven Panzer abgibt, sondern Depotbestände aufarbeitet.
Bei all dem, was nun in den Kampf geschickt werden kann, kommt es letztlich aber sehr auf die Ausbildung und das Zusammenwirken aller Kräfte im Feld an. Gerade die im Ukrainekrieg breite Verfügbarkeit von Panzerabwehrwaffen, Drohnen zur Aufklärung und zur Bekämpfung von Gegnern sowie die Dominanz der Artillerie im Gefecht macht es ungleich schwieriger für traditionelle Panzer. Vor allem dann, wenn diese, wie oft bei den Russen beobachtet, ohne Unterstützung von abgesessener oder aufgesessener Infanterie vorgehen. Im Gefecht der verbundenen Waffen zählen das Zusammenspiel und die Koordinationsfähigkeit der einzelnen Truppenteile. Es wäre naiv zu glauben, daß die Leopard 2 oder ähnliche Waffensysteme über Nacht den Sieg bringen. Mit Verlusten auch dieser hochmodernen Panzer ist im Krieg zu rechnen, und die Politik in Deutschland täte gut daran, sich darauf einzustellen und vorzusorgen.
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