© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/23 / 03. Februar 2023

„Krise beherrschbar gemacht“
Jahreswirtschaftsbericht: Unbezahlbare Energiepreise, Rekordinflation und ein stark ausgebremstes Wachstum – und trotzdem optimistisch?
Christian Schreiber

Glaubt man der Ampelkoalition, dann ist die Lage besser als erwartet. In ihrem vorige Woche veröffentlichten „Jahreswirtschaftsbericht 2023 – Wohlstand erneuern“ rechnet die Bundesregierung im laufenden Jahr sogar mit einem Wirtschaftswachstum von 0,2 Prozent. Man habe die wirtschaftlichen Folgen des Kriegs in der Ukraine bislang gut bewältigt und sich trotz Energiekrise und Lieferkettenproblemen behauptet. „Deutschland zeigt, was es kann“, sagte Robert Habeck bei der Vorstellung des 160seitigen Reports. „Wir haben eine Krise beherrschbar gemacht. Die schlimmsten Szenarien konnten wir vermeiden“, so der grüne Wirtschaftsminister.

Voriges Jahr sei eine neue Dynamik entfacht worden. 2022 sei die Wirtschaftskraft um 1,9 Prozent gewachsen – doch im Corona-Jahr stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sogar um 2,6 Prozent; nur 2020 gab es trotz diverser Milliardenhilfen einen Einbruch von 3,7 Prozent. 2023 soll es nun doch keine Rezession geben, denn die Regierung habe umfangreiche Maßnahmen ergriffen, um die Energieversorgung zu sichern und „die entscheidenden Rahmenbedingungen zum schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien geschaffen, um die Klimaschutzziele zu erreichen“, heißt es in dem Bericht.

„Zeitlich begrenzter Rückgriff auf Kohle- und Kernkraftwerke“

„Das letzte Jahr hat viele Gewißheiten und viele Selbstgewißheiten von Europa und auch von Deutschland zerstört“, räumte Habeck mit Blick auf den Ukrainekrieg und die Energiekrise ein. Man habe viele Entscheidungen schnell treffen müssen, aber auch Unternehmen und Verbraucher hätten sich den neuen Umständen schnell angepaßt. Der „zeitlich begrenzte Rückgriff auf bestehende Kohle- und Kernkraftwerke“ wird zwar schamhaft erwähnt, doch Dunkelflauten wird es immer geben. Woher soll also der Strom kommen, wenn Wind und Sonne nicht „liefern“? Der „konsequente Ausbau der LNG-Infrastruktur“ entspannt für viel Geld den Erdgasmarkt, aber die Mengen reichen nicht für den vollständigen Öl-, Kohle- und AKW-Ersatz.

Und Habeck mußte auch eingestehen: „Wachstum bedeutet nicht automatisch Wohlstand.“ Für den Einbruch der Nominal- und Reallöhne im Corona-Jahr 2020 um fünf Prozent war die Merkel-Regierung verantwortlich – der Reallohnverlust von fast sechs Prozent – bei zweiprozentiger Nominallohnsteigerung – war nicht nur „Putin“-bedingt: Ein verlängerter „Tankrabatt“ oder noch besser eine Energie- und Mehrwertsteuersenkung auf das EU-Mindestniveau sowie eine Abschaffung der „CO2-Bepreisung“ wären möglich gewesen. Doch eine solche spürbare Verbraucherentlastung paßt nicht in das klimaideologische Ampel-Weltbild. Und die CDU ist angesichts ihrer aktuellen „Weimarer Erklärung“ zur Energie- und Klimapolitik nur um Nuancen besser: „Wir sind die Partei der Nachhaltigkeit, die Wirtschaft, Umwelt und Soziales zusammenbringt, um international den 1,5-Grad-Pfad zu beschreiten“ – Habeck hätte es kaum anders formuliert.

„Klimaneutralität spätestens 2045“ und „Emissionen ein Preisschild geben“ heißt: Benzin, Diesel, Gas, Heizöl, Kerosin und Kohle sollen nach CDU-Willen noch teurer werden. Der beschleunigte „Ausbau aller Erneuerbaren Energien“ ist grün pur – und das kostet erfahrungsgemäß zusätzliche Steuer- oder Abgabenmilliarden. Die drei verbliebenen AKWs sollen „bis mindestens Ende 2024“ mit neuen Brennstäben weiterlaufen. Vom Ausstieg aus Angela Merkels Atomausstieg ist in der CDU-Erklärung keine Rede – nur schüchtern von „Forschung und Entwicklung der Kernenergie der nächsten Generation“. Daß die EU zumindest Atomkraft und Erdgas als „nachhaltig“ einstuft, interessiert die schwarz-rot-grün-gelben Besserwisser nicht – nur die AfD ist hier auf Brüssel-Kurs.

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat die Habeck-Welt in Zahlen umgerechnet: Demnach „kosten der Ukrainekrieg und alle damit verbundenen wirtschaftlichen Bedrohungen rund 175 Milliarden Euro an Wertschöpfung“, so IW-Makroökonom Michael Grömling. „Das entspricht preisbereinigt etwa 4,5 Prozent des BIP.“ Für diese Berechnung sei die aktuelle Lage mit einem „kontrafaktischen Konjunkturverlauf“ verglichen worden, „also einer Welt, in der es keinen Krieg und damit keine hohen Energiepreise oder Lieferengpässe gibt“. Und da ließen sich die direkten Wohlstandsverluste „auf 2.000 Euro je Einwohner beziffern“, rechnete der IW-Konjunkturexperte vor. Seit Pandemieausbruch 2020 hätten sich die Einbußen auf insgesamt 595 Milliarden Euro summiert – das 1,67fache des Bundeshaushalts von 2019.

Äußerst kritisch äußerte sich auch der Bundesverband der Familienunternehmer zu dem Jahreswirtschaftsbericht. „Für Freudenpartys ist jetzt wahrlich nicht die Zeit. Wir schrammen haarscharf doch noch an einer Rezession vorbei. Mehr aber auch nicht. Im Gegenteil: Die Unternehmen in Deutschland büßen durch hohe Energiepreise, zu hohe Steuern und Abgaben und zunehmend weniger Fachkräfte Tag für Tag an internationaler Wettbewerbsfähigkeit ein“, sagte Albrecht von der Hagen, Hauptgeschäftsführer des Verbands. Viele Firmen würden lieber im Ausland als weiterhin in Deutschland investieren, wo überbordende Bürokratie nicht nur Planungs- und Genehmigungsverfahren, sondern eine Vielzahl von Verwaltungsakten auf Schneckentempo bremse. „Damit die Regierung ihr ambitioniertes Wachstumsziel für 2024 auch nur annähernd erreichen kann, muß sie umgehend an den richtigen Stellschrauben drehen“.

Keine Unterschreitung der 60-Prozent-Schuldengrenze

Auch bei Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), ist wenig Euphorie erkennbar: Die Unsicherheit der Unternehmen bleibe weiter hoch; oftmals seien die Aussichten nach wie vor eher bescheiden: „Hohe Energiepreise, Rekordinflation und ein weltweit merklich abgebremstes Wachstum begleiten unsere Unternehmen durch das Gesamtjahr“, sagte der Wirtschaftsfunktionär und fügte hinzu: „Deutschland muß dringend bei den Investitionen drei Gänge nach oben schalten, um die Herausforderungen zu meistern und schnellstmöglich auf einen nachhaltigen Wachstumspfad umzuschwenken.“

Die trüben Aussichten für die Staatsfinanzen haben die Beamten des grünen Wirtschaftsministeriums auf Seite 126 gestellt: „Die Schuldenquote wird bis zum Jahr 2026 auf voraussichtlich rund 67,25 Prozent des BIP zurückgehen. Eine Unterschreitung der 60-Prozent-Grenze wird daher im Zeitraum der aktuellen mittelfristigen Finanzplanung nach derzeitigem Stand nicht erreicht.“ Und auf Seite 135 wird prognostiziert: „Für den Jahresdurchschnitt 2023 erwartet die Bundesregierung einen Anstieg der Verbraucherpreise um 6,0 Prozent gegenüber dem Vorjahr.“ Das macht nachdenklich: Im „Jahreswirtschaftsbericht 2022“ wurde für das vergangene Jahr mit 3,3 Prozent gerechnet – im wahren Leben waren es dann im Jahresdurchschnitt 8,6 Prozent.

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