Bei der Chaoswahl 2021 stimmten über eine Million Berliner für die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“. Während eine Expertenkommission über die Umsetzung des Volksentscheids grübelt, läuft der Wahlkampf fürs Abgeordnetenhaus – und egal, wie es am 12. Februar ausgeht: Die Immobilienfirmen können vor deutschen Gerichten eine volle Entschädigung erstreiten, sollte, wie gefordert, die Enteignung zu einem Drittel unter dem wahren Wert stattfinden. Und wenn die Wohnungspreise nach der „Vergesellschaftung“ sinken, könnte es für die Konzerne sogar das Geschäft des Jahrhunderts werden: Billig einkaufen, teuer vermieten.
Schwieriger ist die Lage bei den Enteignungen infolge der Rußland-Sanktionen. Am 19. Januar verabschiedete das EU-Parlament eine Resolution, russische Vermögenswerte für Reparationen und den Wiederaufbau in der Ukraine einzusetzen. Das US-Justizministerium prüft bereits, wie in den nächsten Monaten ein Teil der in den USA eingefrorenen russischen Vermögen in Höhe von 330 Milliarden Dollar der Ukraine (Wirtschaftsleistung 2021: 200 Milliarden Dollar) übergeben werde können. Im Energiesektor ist es schon soweit: Rußland hat bereits seit Monaten die Beteiligungen westlicher Konzerne an Energieprojekten übernommen, während im Westen das Eigentum russischer Firmen, etwa Rosnefts PCK-Raffinerie, unter staatliche Verantwortung gestellt wurde.
Sollten die Pläne umgesetzt werden, droht eine Enteignungsspirale: Ex-Premier Dmitri Medwedew will in diesem Fall Entschädigung durch Enteignung westlicher Vermögenswerte in Rußland. Deren Wert dürfte den des russischen Staatsvermögens von 330 Milliarden Dollar um einiges überschreiten. Und es sind nicht nur Großkonzerne, die betroffen werden. Rentenkassen, Stiftungen und Privatanleger halten russische Aktien und Anleihen, von denen viele bis vor einem Jahr noch an westlichen Börsen notiert waren – bis die Sanktionen über Nacht die bisher staatlich geförderte Globalisierung rückgängig machten. Westliche Anleger investierten in russische Aktien durch sogenannte Hinterlegungsscheine (JF 21/22), die inzwischen nicht mehr gehandelt werden und der Sanktionen wegen auch keine Dividenden mehr bekommen. Bis vor wenigen Wochen konnten Anleger noch die Umwandlung in die den Hinterlegungsscheinen zugrundeliegenden Aktien beantragen. In vielen Fällen klappte das, es wird aber berichtet, daß häufig die Abwicklung scheiterte. Jetzt haben auch noch die Treuhänder der Hinterlegungsscheine ihre Verträge gekündigt.
Diese Hinterlegungsscheine befinden sich jetzt in einem juristischen Niemandsland, ohne Treuhänder und durch westliche Sanktionen ihrer wirtschaftlichen Substanz beraubt. Die Anleger sind praktisch schon enteignet. Es fehlt nur noch, daß Wladimir Putin die Enteignung noch formell absegnet. Bei Verwendung des russischen Staatsvermögens wird er dies tun – und auch gleich noch alle anderen Aktionäre enteignen. Die Auswirkungen der Enteignungen auf beiden Seiten gehen weit über Rußland hinaus. Investoren müssen die Risiken von Entwicklungsländern neu einstufen, weil die westliche Politik bei künftigen Konflikten ähnlich lax mit dem Vermögen ihrer Bürger und Unternehmen umgehen dürfte. Im Klartext: Investitionen in Entwicklungsländern wenden sinken. Deren Investitionsbedarf geht aber nicht unbedingt zurück. Gedeckt wird er dann eben von China, und irgendwann auch wieder Rußland.