© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/23 / 03. Februar 2023

„Wir müssen jetzt handeln“
EU: Die Rückführung abgelehnter Migranten soll verbessert werden, da sind sich Brüssel und die Partnerländer einig
Christian Schreiber

Bereits im Vorfeld des Migrations-Sondergipfels der EU-Justiz- und Innenminister in Stockholm drückten Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und sein niederländischer Amtskollege Mark Rutte (VVD) aufs Tempo. „Es braucht zusätzliche Mittel aus dem EU-Budget für einen robusten Außengrenzschutz. Gleichzeitig sind Pilotprojekte für Außengrenzverfahren und schnellere Rückführungen in Herkunftsländer notwendig.“ Es müsse sich in der EU „endlich etwas ändern, um den Migrationsdruck zu stoppen“, erklärte der Österreicher.

Rutte pflichtete ihm bei: „Wenn wir die EU als sicheren Hafen für Flüchtlinge erhalten wollen, müssen wir auch sicherstellen, daß die Zahlen zu bewältigen sind.“ Allerdings werde es mehrere EU-Gipfel für eine Lösung dieser Fragen brauchen. Als 2016 der EU-Türkei-Flüchtlingsdeal beschlossen wurde, sei es einfacher gewesen. Doch nun habe die EU eine Fülle von Problemen, darunter Schengen, die EU-Grenzschutzagentur Frontex, das Dublin-System und Rückführungen. „Wir müssen uns wieder an die Dublin-Regeln halten“, forderte Rutte, ansonsten „wird Schengen nicht überleben“.

Wenige Tage zuvor hatte die EU-Kommission ein Strategiepapier vorgelegt, um Abschiebungen von Einwanderern ohne Bleiberecht künftig zu erleichtern. Es beinhaltet gemeinsame Rückführungsaktionen in bestimmte Drittländer, die Förderung der Rückkehrberatung und Wiedereingliederung sowie die Digitalisierung des Rückkehrmanagements. „Ein wirksames und gemeinsames EU-Rückführungssystem ist eine zentrale Säule gut funktionierender und glaubwürdiger Migrations- und Asylsysteme“ sowie des umfassenden Ansatzes ihres neuen Strategiepakets“, erklärte die Kommission am 24. Januar.

EU-weit wurden nur 21 Prozent der Rückführungen vollstreckt

Um die Akzeptanz der Rückkehr bei denen, die die EU verlassen müssen, zu erhöhen, habe die Kommission bereits 2021 eine neue Strategie zur freiwilligen Rückkehr und Wiedereingliederung angenommen. Darin legte die Kommission einen „Rahmen fest, der die Migration künftig besser steuern soll. „Die Flüchtlingskrise 2015/16 hat erhebliche Mängel offenbart und gezeigt, welch komplexe Aufgabe es ist, eine Situation zu meistern, von der verschiedene Mitgliedstaaten unterschiedlich betroffen sind. Sie hat echte Sorgen und Unterschiede zutage gefördert, die gewürdigt und überwunden werden müssen“, heißt es in dem Papier.

Im Jahr 2019 lebten 20,9 Millionen Drittstaatsangehörige mit legalem Aufenthalt in EU-Mitgliedstaaten, was in etwa 4,7 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU entspricht. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 wurden 1,82 Millionen illegale Grenzübertritte an den EU-Außengrenzen verzeichnet. Diese Zahl ist bis 2019 auf 142.000 gesunken. Die Zahl der Asylanträge erreichte 2015 mit 1,28 Millionen einen Höchststand und lag 2019 bei 698.000. Im Durchschnitt werden jedes Jahr etwa 370.000 Anträge auf internationalen Schutz abgelehnt, aber nur etwa ein Drittel der betroffenen Personen werden in ihre Heimat zurückgeführt.

Das muß und soll sich ändern. Denn das ist eine unverzichtbare Säule gut funktionierender des neuen EU-Pakts zu Migration und Asyl. Es ist auch ein Bestandteil der Strategie für einen voll funktionsfähigen und widerstandsfähigen Schengen-Raum, um das Fehlen von Kontrollen an den Binnengrenzen auszugleichen, und damit auch ein integraler Bestandteil des Schengen-Politikzyklus sowie Teil des europäischen integrierten Grenzschutzes“, heißt aus Brüssel. Ein wirksames und gemeinsames EU-Rückführungssystem sollte auch als Abschreckung dienen, um unsichere und irreguläre Migration einzudämmen, die Ausbeutung von Migranten zu verhindern, indem es das Geschäftsmodell krimineller Schlepperbanden durchbricht, und kann sichere legale Wege fördern.

Als eine der wichtigsten Neuerungen des Neuen Pakts zur Erreichung seiner allgemeinen Ziele nennt die Kommission die Ernennung eines EU-Rückkehrkoordinators, der die verschiedenen Bereiche der EU-Rückkehrpolitik zusammenführen und eine nahtlose und miteinander verknüpfte Umsetzung des Rückkehrprozesses erleichtern soll.

Überhaupt habe sich die Arbeit im Bereich Rückkehr in den vergangenen Jahren erheblich weiterentwickelt. Die Verhandlungen zur Überarbeitung des EU-Rechtsrahmens für Asyl und Migration, auch im Bereich der Rückkehr (Neufassung der Rückführungsrichtlinie, der Verordnung über Asylverfahren und der Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement), seien im Gang und sollten mit Hochdruck fortgesetzt werden. Derzeit gebe es 24 Rückübernahmeabkommen und -vereinbarungen der EU mit Drittländern, von denen einige gut funktionieren, während bei anderen eine verstärkte Umsetzung erforderlich sei.

 „Rückkehrmaßnahmen sind erfolgreicher, wenn die Rückkehr freiwillig vonstatten und mit echten Wiedereingliederungsmöglichkeiten einhergeht“, erklärte der zuständige Vizepräsident Margaritis Schinas. Die EU-Migrationsvorschriften seien nur dann glaubwürdig, wenn diejenigen, die kein Aufenthaltsrecht in der EU haben, auch tatsächlich rückgeführt würden, fuhr der Grieche fort.

Laut Eurostat wurden von den 340.515 Rückführungsentscheidungen, die im Jahr 2021 erlassen wurden, nur 21 Prozent tatsächlich vollstreckt. Darüber hinaus sind nur fünf Mitgliedstaaten für 80 Prozent der von Frontex unterstützten Rückführungen verantwortlich. Dieser Umstand, so Schinas, untergrabe das Vertrauen der Bürger in das gesamte Asyl- und Migrationsmanagementsystem und wirke als Anreiz für irreguläre Migration..

 Die Arbeit im Bereich Rückführungen werde häufig durch die knappen finanziellen und personellen Ressourcen in den Mitgliedstaaten behindert. Die Verfahren in den einzelnen Mitgliedstaaten müssen gestrafft und optimiert werden. Zwar seien viele Fortschritte erzielt worden, doch die Mitgliedstaaten hätten immer noch mit „erheblichen Engpässen und mangelnder Koordinierung zwischen den Akteuren des Prozesses zu kämpfen“. Entscheidungen zur Beendigung des legalen Aufenthalts führten nicht immer zu einer Rückkehrentscheidung, und die Nichteinhaltung einer Frist für die freiwillige Rückkehr nicht immer zu einer erzwungenen Rückkehr. Ein zentraler Aspekt zur Verbesserung der Wirksamkeit sei die Schließung dieser Lücken, so Brüssel.

Die aktuellen Rückführungsquoten „sind nicht akzeptabel“

In der Abschlußerklärung betonten die Justiz- und Innenminister, daß die Schwierigkeiten bei der Rückführung von Drittstaatsangehörigen, die nicht zum Aufenthalt in der Europäischen Union berechtigt seien, für viele Mitgliedstaaten eine große Herausforderung darstellen. „Die derzeitigen Rückführungsquoten sind nicht akzeptabel und wirken sich negativ auf die Aufnahmekapazität sowie die Legitimität unserer nationalen Asyl- und Migrationssysteme aus. Es muß mehr getan werden, sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene.“ Um in bezug auf Drittländer Fortschritte zu erzielen, müsse die EU nun alle verfügbaren Instrumente voll ausschöpfen. Es seien sowohl positive Anreize als auch restriktive Maßnahmen erforderlich. „Dabei müssen wir alle relevanten Politikbereiche nutzen, wie Visapolitik, Entwicklungszusammenarbeit, Handel und diplomatische Beziehungen. Wir müssen gemeinsam handeln, und wir müssen jetzt handeln“, so das Fazit des Sondergipfels.