Frau Dr. Brinker, zehn Jahre AfD – Sie sind fast seit Beginn dabei. Wie war das damals?
Kristin Brinker: Toll, einfach toll! Es war eine unglaubliche Aufbruchsstimmung, man traf auf einmal auf so viele Menschen, die diese Energie versprühten, etwas bewegen zu wollen, großartig.
Was ist daraus geworden?
Brinker: Für mich eine unerwartete Wende meines Weges, denn ich wollte gar nicht in die Politik.
Sondern?
Brinker: Eigentlich habe ich damals nur meinen Mann begleitet. Als langjähriger Vorsitzender des Bundes der Steuerzahler Berlin bereitete ihm die Euro-Krise natürlich besonders Sorge. Als wir dann von einer Initiative „Wahlalternative 2013“ hörten, besuchten wir eine Veranstaltung. Dort suchte ein Professor Lucke Leute zur Gründung einer Partei. Danach sagte ich zu meinem Mann: „Du kannst ja ruhig Mitglied werden – aber bitte übernimm nicht wieder ein Amt!“ Tja, was soll ich Ihnen sagen, von der nächsten Veranstaltung kam er als Landesvorsitzender der Berliner AfD zurück.
Und Sie als gute Ehefrau ...
Brinker: ... habe meinen Mann unterstützt, genau.
Nicht nur das, inzwischen haben Sie ihn abgelöst und mit dem Fraktionsvorsitz gar überrundet.
Brinker: Nun, dazwischen gab es ja andere Vorsitzende. Aber mich hat im Zuge seiner Unterstützung die Politik zunehmend interessiert. Und es hat Spaß gemacht, sich so richtig in die Themen einzuarbeiten, zum Beispiel in der Finanzpolitik.
Er wurde 2016 abgewählt, Sie 2021 gewählt. Warum?
Brinker: Ich glaube, er ist zu emotional engagiert. Eine Partei muß man aushalten können, da prallen viele Welten aufeinander, unterschiedliche Vorstellungen, Mentalitäten, soziale Verhaltensweisen. Ich bin da wohl etwas robuster. Doch uns beiden ging es nie um das Amt, sondern um die Herausforderung und darum, einen Beitrag zu leisten, in unserem Land politisch etwas zu bewegen.
Im Frühjahr 2013 traten dann auch Sie in die AfD ein. Wie hat sich diese seit damals verändert?
Brinker: Vor allem haben wir uns professionalisiert, aber auch wertvolle Mitglieder verloren. Es war wohl ein Fehler, nicht von Beginn an zu schauen, wer da kommt, sondern jeden aufzunehmen.
Aber das ist doch sehr demokratisch.
Brinker: Es hat jedoch auch Leute angezogen, die nicht konstruktiv waren, die etwa in anderen Parteien bereits ihr Glück versucht hatten und glaubten, nun in der AfD etwas werden zu können. „Eine Partei zu gründen“, diesen Spruch habe ich inzwischen kennengelernt, „ist wie im Urwald nachts das Licht einzuschalten.“
Andere sind gegangen, Sie nicht. Warum?
Brinker: Weil ich mich viel zu sehr darüber aufgeregt habe, wie die Partei von Anfang an verunglimpft wurde! Und ich bin nicht der Typ, bei dem das den „Bloß weg!“-Reflex auslöst, sondern ein: „Jetzt erst recht!“ Ich will es mir einfach nicht gefallen lassen, daß man so mit Bürgern umgeht, die liberalkonservative Politik machen wollen.
Die wesentlichste Veränderung ist wohl, daß die Partei im Vergleich zu 2013 nach rechts gerückt ist.
Brinker: Aber nicht in die Schmuddelecke, in die man sie von Beginn an zu drücken versucht hat. Zudem besteht ein Teil dieses „Rechtsrucks“ in Wirklichkeit nur darin, daß die anderen, inklusive der Union, immer weiter nach links rücken.
Allerdings gab es Fälle von Extremismus, und auch wenn das bei den etablierten Parteien nicht anders ist – nur werden die von den meisten Medien nicht thematisiert –, kann man das Problem nicht leugnen.
Brinker: Das stimmt, aber es sind Einzelfälle, was sofort klar wird, wenn man ihre geringe Zahl den knapp 29.000 Parteimitgliedern gegenüberstellt. Natürlich aber muß in jedem einzelnen Fall gehandelt werden. Was ja auch passiert, denn es laufen Parteiausschlußverfahren. Aber es ist nicht einzusehen, warum eine kleine Zahl an Problemfällen die wertvolle demokratische Parteiarbeit Abertausender Unbescholtener entwerten soll. Zudem muß doch entscheidend sein, welches Selbstverständnis eine Partei hat und welche Politik sie macht. Und da muß man sich ja nur mal unser Grundsatzprogramm und unsere Arbeit in den Parlamenten ansehen: unsere Reden, Anträge, Anfragen – man findet dort nicht das Geringste, was die Stigmatisierung, die wir erfahren, rechtfertigen würde!
Einerseits hat diese seit 2013 erheblich weiter zugenommen, andererseits ist die AfD heute akzeptierter denn je, in dem Sinne, daß sie faktisch dazugehört: Anders als zu Beginn glaubt heute ja niemand mehr, daß sie wieder verschwindet. Somit ist die Frage: Ist die Partei in den letzten zehn Jahren auf dem Weg zur möglichen Regierungsbeteiligung vorangekommen – oder, wie die Stigmatisierung nahelegt, hinter ihren Ausgangspunkt von 2013 zurückgeworfen worden?
Brinker: Ich glaube, trotz der Stigmatisierung zählt, daß wir nun einmal eine Realität sind und sich an dieser auch nichts mehr ändern wird. Früher oder später werden Union und FDP erkennen, daß sie um eine Beteiligung der AfD an der Macht nicht mehr herumkommen. Zumal hier bei uns in Berlin, wo beide Parteien sowieso nicht so stark sind.
Aber es ist doch klar, was passiert, sollte jemand versuchen, mit ihnen zu kooperieren: Politik, Medien und Ausland – letzteres teils auf Initiative hiesiger Politiker –, würden ein Empörungsinferno entfesseln, vor dem jeder CDU/FDP-Landesverband innerhalb eines halben Kemmerichs in die Knie geht.
Brinker: Ich sage ja nicht, daß das zuerst in Berlin gelingt, eher wohl in einem ostdeutschen Bundesland. Dort ist die AfD bereits oft stärkste Kraft. Das kann nicht mehr ignoriert werden. Auch merke ich, daß es schon jetzt an der Basis von CDU und FDP spürbar mehr Offenheit uns gegenüber gibt als unter den Funktionären. Die sind es vor allem, die den Druck gegen uns aufbauen und aufrechtzuerhalten versuchen. Aber auch da kann und wird sich sicher etwas verändern. Ich glaube, das entwickelt sich behutsam, Jahr um Jahr immer weiter. Deshalb müssen unbedingt auch wir unsere Kooperationsfähigkeit entwickeln – bezüglich unserer Kompetenz und unseres Auftretens!
Zunächst wird die AfD wohl weiter in der Opposition bleiben. Was kann sie da nach zehn Jahren vorweisen?
Brinker: Ich denke, einiges. Allerdings wird vielfach versucht, uns als Opposition zu sabotieren.
Die Opposition legt der Regierung Steine in den Weg – und die eben der Opposition. Ist das nicht normal?
Brinker: Natürlich, was aber in einer Demokratie absolut tabu sein muß, ist die Opposition in ihrem Tun an sich zu behindern! Doch genau das ist es, was wir vielfach erleben, im Bundestag, wie auch bei uns im Berliner Abgeordnetenhaus. Zum Beispiel werden unsere Anträge grundsätzlich abgelehnt, selbst wenn CDU und FDP sie inhaltlich teilen. Da geht es also nicht um die Sache, um Inhalte, um Politik, da geht es nur noch darum, zu verhindern, daß wir überhaupt Opposition machen können. Ebenso werden uns die uns zustehenden Vorsitze in Ausschüssen, Mitgliedschaften in Gremien und hier in Berlin auch die Bezirksstadtratsämter vorenthalten. Das ist übrigens etwas, was mich persönlich sehr enttäuscht: Ausgerechnet die Parteien, die sonst das Wort Demokratie wie eine Monstranz vor sich hertragen und uns als undemokratisch verleumden, haben offenbar gar keine Achtung vor dieser und tun selbst genau das, was sie uns vorwerfen. Zudem ist jeder Versuch, Opposition an sich zu verhindern, nicht nur gegen uns gerichtet, sondern auch gegen ein essentielles Element der Demokratie und unseres Grundgesetzes – und schließlich gegen den Willen der Wähler, von denen ja ein nicht unerheblicher Teil mit ihrer Stimme der AfD einen demokratisch-parlamentarischen Auftrag erteilt hat! Und trotzdem können sie nicht verhindern, daß wir immer wieder den Finger in die Wunde legen. Zum Beispiel als wir nach den Silvesterkrawallen in Berlin Auskunft bezüglich der Vornamen der Festgenommenen verlangt haben, um uns so ein Bild von deren tatsächlichem soziokulturellen Hintergrund machen zu können. Was bei der Aufarbeitung der Exzesse schließlich relevant sein kann.
Moment, diese Auskunft hat doch die CDU verlangt.
Brinker: Ja – nachdem wir das getan hatten! Aber der Umstand, daß Sie zwar von der Anfrage der CDU, offenbar aber nichts von der unseren wissen, zeigt ein weiteres Problem: Die Medien berichten häufig nicht angemessen über unsere Arbeit, was die Erfüllung unserer Oppositionsrolle natürlich weiter erschwert. Übrigens verfolgen wir die Forderung nach Auskunft über die Vornamen konsequent weiter und klagen nun gegen die Berliner Behörden, die dies verweigern. Was dagegen tut die Berliner CDU? Nachdem sie die offenbar gewünschte Öffentlichkeitswirksamkeit erzielt hat, interessiert sie sich nun nicht mehr dafür.
Der größte Oppositionserfolg der AfD der letzten zehn Jahre überhaupt dürfte aber wohl sein, die Wiederholung der Wahl in Berlin mit durchgesetzt zu haben.
Brinker: Nicht nur „mit“ durchgesetzt. Von allen im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien waren wir die einzigen.Weder CDU noch FDP hielten eine verfassungsrechtliche Überprüfung für notwendig.
Allerdings hat ja nicht nur die AfD geklagt – und ins Rollen gebracht haben die Sache der parteilose Abgeordnete Marcel Luthe und das Magazin „Tichys Einblick“.
Brinker: Von den über dreißig Klagen gegen die Chaoswahl 2021 hat der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin nur vier zugelassen: neben unserer die der Spaß-„Partei“ Martin Sonneborns, der Landeswahlleiterin und der Senatsverwaltung für Inneres, die aber alle drei nicht auf eine vollständige Wiederholung der Wahl zielten! Deshalb habe ich Zweifel, ob der Verfassungsgerichtshof auch so entschieden hätte, wenn er nicht durch unsere, viel weitergehende Klage dazu gezwungen gewesen wäre, sich so intensiv mit dem Thema zu befassen.
Dieser hat in seinem Urteil von „einem einmaligen Vorgang in der Geschichte der Wahlen in der Bundesrepublik“ und von „schweren Demokratieverstößen“ gesprochen. Eigentlich war diese Wahl für unser demokratisches System also so etwas wie ein „Flugzeugabsturz“: eine Katastrophe. Doch in den meisten Medien wird die Sache – wenn auch als große Peinlichkeit – nicht als solche behandelt. Warum eigentlich nicht?
Brinker: Gute Frage. Aber erinnern Sie sich, daß ja auch jene, die von Beginn an die Wiederholung gefordert haben, zuerst als Spinner galten. Dabei sind uns die eklatanten Mängel noch am Wahlabend aufgefallen, sie waren für jeden ersichtlich!
Bemerkenswert, außerhalb Berlins allerdings kaum bekannt, ist, daß Sie – und zwar ganz persönlich – 2020 die Berliner Wohnbausenatorin Katrin Lompscher von der Linken zu Fall gebracht haben.
Brinker: Das ist ein gutes Beispiel dafür, was machbar ist, wenn man seine Möglichkeiten als Opposition nutzen kann. Als damalige finanzpolitische Sprecherin der Fraktion hatte ich durch eine parlamentarische Anfrage zu den Aufsichtsratspositionen der Berliner Senatoren herausgefunden, daß Frau Lompscher Vergütungen in Höhe von über 15.000 Euro nicht an das Land abgeführt hatte.
Ein Irrtum oder Absicht?
Brinker: Das weiß natürlich nur sie selbst. Ich würde aber sagen, es war wohl ein Fehler. Allerdings war Senatorin Lompscher nicht neu im Amt, kannte also die Regeln, auch die, daß sie Vergütungen für Aufsichtsratspositionen nur bis 7.000 Euro pro Jahr behalten darf. Die Ursache damals war womöglich Überforderung angesichts einer für sie politisch angespannten Situation. Immerhin hat Frau Lompscher aber anständigerweise den Hut genommen. Was ich eigentlich von Innensenator Andreas Geisel auch erwartet hätte, der nämlich das Berliner Wahlchaos zu verantworten hat, das den Steuerzahler übrigens 39 Millionen Euro kostet, so hoch veranschlagt der Senat den Aufwand für die Wiederholung. Aber der Sozialdemokrat klebt wie Pattex an seinem Stuhl, daß jeder Klimakleber neidisch werden könnte.
In der jüngsten Umfrage liegt die Berliner AfD bei elf Prozent. Das sind zwar drei Punkte mehr als die acht Prozent bei der Chaoswahl 2021 – allerdings hatte die Partei da auch sechs Prozent gegenüber der vorherigen Wahl 2016 verloren. Warum kommen Sie jetzt nur auf 11 und nicht wie damals wieder auf 14 Prozent?
Brinker: Die Wahl 2016 stand noch unter dem Eindruck der Asylkrise. Diesen Rückenwind haben wir nicht mehr. Zudem ergab eine Erhebung, daß viele unserer Wähler Berlin in den Jahren seitdem Richtung Speckgürtel verlassen haben. Aber wir müssen auch einräumen, Fehler gemacht und etliche unserer Protestwähler von 2016 nicht gehalten zu haben.
Was muß die AfD in Berlin – und anderswo – also in den nächsten zehn Jahren anders und besser machen, um wieder in die Offensive zu kommen?
Brinker: Ganz klar: unsere Selbstdarstellung, unser Image verbessern. Nach meiner Erfahrung könnten wir viele Bürger gewinnen, wenn wir nicht so harsch im Auftreten wären. Hart in der Sache, auf jeden Fall – aber nicht im Ton!
Viele AfDler antworten: Wir werden sowieso schlechtgeschrieben, also brauchen wir uns gar nicht zu bemühen.
Brinker: Das ist ein fataler Irrtum. Ja, natürlich stoßen Freundlichkeit und Offenheit manchmal auch an Grenzen. So zogen nach der Berliner Chaoswahl etliche neue Abgeordnete der Grünen, SPD und Linken ein, die sich selbst „People of Colour“ nennen und im Abgeordnetenhaus für eine merklich schlechtere Stimmung uns gegenüber sorgen. Also habe ich sie alle persönlich angeschrieben, zum Dialog und gegenseitigen Kennenlernen bei Kaffee eingeladen. Kein einziger hat geantwortet. Dennoch darf man sich von so etwas nicht entmutigen lassen. Denn die Sympathie der Wähler gewinnt man viel eher, wenn man freundlich, verbindlich und offen ist. Und auch gegenüber Journalisten und Politikern anderer Parteien, die wir ja eines Tages brauchen, wenn wir regieren und die Dinge auch gestalten wollen, habe ich mit Geduld und unbeirrter Freundlichkeit schon manches Eis gebrochen. Unser Erfolg wird also davon abhängen, ob wir hier dazulernen!
Dr. Kristin Brinker, ist seit 2021 Landes- und Fraktionsvorsitzende der AfD in der Bundeshauptstadt und seit 2016 Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin. Geboren wurde die Bankkauffrau und Architektin 1972 im anhaltinischen Bernburg an der Saale.
Foto: Spitzenkandidatin Brinker: „Für die Zukunft der Partei müssen auch wir unsere Koalitionsfähigkeit weiterentwickeln – bezüglich Kompetenz und Auftreten“