© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/23 / 27. Januar 2023

Ein Müllcontainer für den Agrarminister
Es hagelt Kritik – doch Cem Özdemir zeigt sich uneinsichtig
Martina Meckelein

Cem Özdemir, vor 57 Jahren in Urach am Fuße der Schwäbischen Alb geboren, ist seit 13 Monaten Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft. Doch außer herzigen Zeitungsfotos wie dem mit der treublickenden Tierheiminsassin „Jolandi“, einer Kangalhündin, hat er noch nicht richtig was auf die Reihe gekriegt. Das sind jedenfalls die Vorwürfe seiner Kritiker. Vorigen Freitag hätte der Grünen-Politiker eine Möglichkeit gehabt, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, ihre Argumente zu hören. Doch diese Chance hat er gründlich verpatzt. Der Hüter unser aller Ernährung öffnete an diesem Tag die Türen zur größten Küche der Welt – der Internationalen Grünen Woche Berlin. Landwirte und Tierschützer blieben außen vor.

„Cem Özdemirs einziger Beitrag zur Ernährungssicherheit ist, daß er Arme und Bedürftige in Müllcontainern vor den Supermärkten ungestraft nach Essen suchen lassen will“, sagt Christian Linne aus Sottmar in Niedersachsen. Er ist Mitglied der Bundesvertretung der Freien Bauern. Die vor drei Jahren gegründete Interessenvertretung der bäuerlichen Familienbetriebe fordert faire und verläßlichen Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft.

Linne und weitere Freie Bauern stehen am Freitag morgen schon um kurz nach sechs Uhr auf dem Parkplatz der Messe, Eingang Nord. Sie hoffen, daß der Minister kurz bei ihnen vorbeischaut. Schließlich hat sein Haus zu acht Uhr einen offiziellen Presserundgang anberaumt, und er müßte diesen Eingang benutzen. Extra für ihn haben sie einen riesigen Müllcontainer als Symbol für seine ihres Erachtens gescheiterte Agrarpolitik mitgebracht. „Der Container ist leer“, sagt Linne und schmunzelt bei diesen Worten ein wenig. Genauso inhaltsleer wie die Rede, die Özdemir einen Tag später vor dem Auswärtigen Amt halten wird. Aber dazu später.

Die Lage der deutschen Bauern ist alarmierend. Das Umweltbundesamt meldet, daß von 2016 bis 2021 der Anteil landwirtschaftlicher Nutzfläche um 2.047 Quadratkilometer (km²) von 51,1 auf 50,5 Prozent der Gesamtfläche sank. „Diese Abnahme erfolgte besonders im Umland städtischer Verdichtungsräume. Der wichtigste Grund dafür ist die Zunahme der Fläche für Siedlung und Verkehr um 2.559 km² im gleichen Zeitraum.

„Deren Lebensrealität ist weit entfernt von der der Bauern“

Aber auch die Zunahme der Wälder und Gehölze erfolgt zum Teil zulasten landwirtschaftlicher Flächen. Das Statitische Bundesamt meldet, daß zum Beispiel die Zahl der schweinehaltenden Betriebe von 2021 bis 2022 um 10,1 Prozent, knapp 1.900 Betriebe, auf 16.900 Betriebe gesunken sei. „Zum Stichtag 3. Mai 2022 wurden in Deutschland gemäß der vorläufigen Ergebnisse rund 21,3 Millionen Schweine gehalten“, so Destatis. „Das waren 10,2 Prozent oder 2,43 Millionen Tiere weniger als zum 3. November 2021.“ Dafür werden die Tiere jetzt in Spanien oder Chile gezüchtet.

„Agrarpolitik ist für den städtischen Verbraucher, der nichts mit Landwirtschaft zu tun hat, schwer verständlich“, sagt Sabine Töpfer. „Deren Lebensrealität ist weit entfernt von der der Bauern – und natürlich umgekehrt.“ Töpfer ist CDU-Mitglied und war von 2011 bis 2016 Staatssekretärin in der Berliner Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz. Aus dieser Zeit kennt sie auch die Freien Bauern. „Seitdem haben die Bauern mit ausgezeichnet informativen Youtube- oder Facebook-Kanälen aufgeholt. Wer sich über die Situation in der Landwirtschaft informieren will, der könnte das tun.“

Doch hier am Morgen des Eröffnungstags der Agrarmesse, direkt am Eingang, sucht kaum jemand das Gespräch mit den Bauern. Auch nicht der Minister. Hundert Meter Luftlinie entfernt, direkt vor dem Haupteingang, über dessen Portal ein meterhohes Banner mit dem Spruch „Möge die Vielfalt mit euch sein“ flattert, stehen deutsche Tierrechtler der millonenschweren US-NGO Peta unter trübem Himmel und behaupten mit viel Kunstblut an den Händen: „Jede Haltung tötet Tiere.“ Links von ihnen frieren „Vier Pfoten“-Jünger im eisigen Morgenwind und fordern unverdrossen: „Grausame Tiertransporte stoppen!“ Das müßte ja alles sehr schön ins Weltbild von Özdemir passen, dem erklärten Vegetarier mit einem Herzen für Tiere, schlägt er doch sogar ein pauschales Haltungsverbot für bestimmte Tierarten vor. Doch auch hier ist der Minister nicht in Sicht. Er ist geschäftig. Immerhin ist er Gastgeber der parallel stattfindenden Agrarministerkonferenz.

24 Stunden später. 54 Traktoren dieseln durch Berlin. Das Bündnis „Wir haben es satt“ demonstriert dafür, das Höfesterben zu stoppen, die Klimakrise zu stoppen, das Artensterben zu stoppen, Megaställe zu stoppen und den Hunger zu bekämpfen. Außerdem ist das Bündnis gegen Gentechnik, gegen Braunkohleabbau, gegen Sexismus. Kurz: der woke Wind kommt von links. Mit von der Partie: Attac, BUND, die Naturfreunde, die Linkspartei, die taz und die Junge Welt. Kein Wunder, daß extra für sie dann Özdemir seine Gespräche auf der Agrarministerkonferenz unterbricht, um ihren Forderungskatalog persönlich entgegenzunehmen.

Doch auch hier läßt Özdemir Kritik an seiner Politik, nämlich zu langsam mit dem Umbau der Landwirtschaft zu sein, an sich abperlen. Die Bundesregierung werde eine Politik in Deutschland machen, die auf weniger Tiere, aber dafür auf mehr Platz für Tiere setze. Wie er damit die Ernährung der Bevölkerung sichern will, läßt er offen. Er dreht den Spieß sogar um: Es wäre seitens der Kritiker unehrlich zu erwarten, daß „in einem Jahr die Folgen von 16 Jahren falscher Politik ungeschehen gemacht werden könnten“. Rund 7.000 zumeist jugendliche Demonstranten bibbern derweil am Brandenburger Tor. Am Stand der Linkspartei herrscht Frust. Ein desillusionierter Helfer: „Ich bin enttäuscht, viel zu wenige Demonstranten. Irgendwie scheint die Mobilisierung dieses Mal nicht geklappt zu haben.“

Kritischer Agrarbericht 2023 „Landwirtschaft & Ernährung für eine Welt im Umbruch“:

 kritischer-agrarbericht.de

 www.freiebauern.de