© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/23 / 27. Januar 2023

Dorn im Auge
Christian Dorn

Mit metaphorischem Anflug kündigt der Radiomoderator den Wetterbericht an: Der Winter mache gerade Tour durch Deutschland. Das erinnert mich daran, daß ich zum Jahreswechsel zur ersten Separatenausgabe von Heinrich Heines Versepos „Deutschland. Ein Wintermärchen“ greifen wollte. Allein den Buchrücken in der Hand zu halten und die erste Seite des Buches aufzuschlagen, das 1844 im Verlag Hoffmann und Campe erschien, erfüllt den Augenblick mit einem historischen Atem, der mich ehrfurchtsvoll tief Luft holen läßt. Dagegen erscheint die Gegenwart mit dem totalitären Wahn der Klimarettung als echte Luftnummer. Währenddessen sucht das Gleimhaus Halberstadt, das sich dem Projekt der Aufklärung verpflichtet sieht, die „Dummheit des Jahres 2022“. Vorschläge können noch bis zum 29. Januar via E-Mail eingesendet werden (an gleimhaus@halberstadt.de). Mein Favorit ist Robert Habeck, der in einer Maischberger-Sendung „erklärt“ hatte, daß Betriebe, die nichts mehr verkaufen können und daher ihre Produktion einstellen, ja nicht automatisch insolvent seien. Hier ist nun wirklich „Ende Gelände“.

Die Polizei begründet ihre Präsenz damit, daß sie nur auf das „subjektive Sicherheitsempfinden“ reagiert.

Hinterm Horizont geht es bekanntlich weiter. Als ich plötzlich – nach unzähligen Jahren – Udo Lindenbergs „Gegen die Strömung“ (1981) im Radio höre, wird mir augenblicklich bewußt, daß dieser Song eigentlich ein schamloses Remake des ein Jahr zuvor von Bob Seger veröffentlichten Songs „Against the Wind“ ist. Wäre ich in der Unterhaltungsbranche, würde ich ein Bewertungs- und Ratespiel unter dem Motto „Song-Rating“ lancieren. Zu eröffnen wäre es mit dem abschreckendsten Beispiel überhaupt: den DDR-Staatsrockern der Puhdys. Deren Song „Wenn ein Mensch lebt“ ist sogar ein doppeltes Plagiat, das sich gleich zweimal bei den Bee Gees bedient – die einleitenden Takte beim Hit „Spicks and Specks“, die folgende Melodie beim Song „Sir Geoffrey Saved The World“. Kreativere Beispiele wären die Pankow-Songs „Freitag“ („Friday on My Mind“, The Easybeats) oder „Wetten, du willst“ („Let’s Spend the Night Together“, Rolling Stones) oder die von Karat besungenen „Blumen aus Eis“, die wie ein – allerdings auswechselbarer – Status-Quo-Hit klingen.


Ganz anders die Fachkräfte in Halberstadt aus der ZASt, der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber in Sachsen-Anhalt. Auch ohne Kenntnis des Smiths-Songs „Shoplifters of the World Unite“ wissen sie, wie sie vorzugehen haben, und stürmen im Pulk die Filiale der Modekette AWG, deren Abkürzung offenbar für „Alles wird geklaut“ steht. Entsprechend kultursensibel verläuft die Ausbildung junger Polizisten – diese dürfen nur noch so fragen, daß der Delinquent sich selbst salvieren kann. So erklärt sich auch, daß die Polizei ihre Präsenz im Stadtzentrum als objektiv unbegründet darstellt, da es nur darum gehe, auf das „subjektive Sicherheitsempfinden“ zu reagieren. Ebenso reagiert das mit Klamottentüten vollbepackte Dutzend Asylanten, die – als die zwei Mannschaftswagen der Polizei entdecken – sofort eine andere Richtung einschlagen.