Kurz vor Weihnachten besuchte die damalige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht die Bundeswehrangehörigen in Mali und dankte den Soldaten, die an der UN-Mission MINUSMA beteiligt sind. „Deutschland ist und bleibt verläßlicher Partner im der Sahelzone. Es darf so nicht weitergehen“, betonte die nun von ihrem Amt zurückgetretene sozialdemokratische Ministerin. Es müsse sich etwas tun, etwas bewegen.
Im Fokus stünden hierbei unter anderem die Garantie für die im Februar 2024 geplanten Präsidentschaftswahlen und die Ermöglichung der Operationsführung, insbesondere auch für Aufklärungsflüge mit der Drohne Heron 1. Bisher habe die malische Regierung im Dezember nur zwei Drohneneinsätze zur Konvoibegleitung genehmigt.
Sonst, so drohte Lambrecht, werde die Bundeswehr nicht bis Mai 2024 bei der MINUSMA-Mission bleiben können. Trotz des geplanten Endes der Beteiligung an der UN-Mission dürfe die Sahel-Zone aber nicht allein gelassen werden. „Die Gefahr des Terrorismus ist noch lange nicht bekämpft. Sondern sie ist da, sie ist ganz akut.“ Deswegen sei man dabei, das Engagement im Niger auszuweiten. „Wir wollen dazu beitragen, daß die Region mehr Stabilisierung erfährt. Da wollen wir dabeisein, da wollen wir dazu beitragen, auch bei einer EU-Mission.“
Die multidimensionale integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) wurde durch die Resolution 2100 des Sicherheitsrates vom 25. April 2013 eingerichtet, um die politischen Prozesse in diesem Land zu unterstützen und eine Reihe von sicherheitsrelevanten Aufgaben wahrzunehmen. Die Mission wurde gebeten, die Übergangsbehörden Malis bei der Stabilisierung des Landes und der Umsetzung des Übergangsfahrplans zu unterstützen.
Die Franzosen gingen, und die Deutschen bleiben
Durch die einstimmige Annahme der Resolution 2164 vom 25. Juni 2014 beschloß der Rat ferner, daß sich die Mission auf Aufgaben wie die Gewährleistung der Sicherheit, Stabilisierung und des Schutzes der Zivilbevölkerung konzentrieren sollte; Unterstützung des nationalen politischen Dialogs und der Aussöhnung; und Unterstützung der Wiederherstellung der staatlichen Autorität, des Wiederaufbaus des Sicherheitssektors und der Förderung und des Schutzes der Menschenrechte in diesem Land. Pro Jahr stellte die Uno ein Budget von rund 1,3 Milliarden US-Dollar dafür zur Verfügung.
Nach knapp zehn Jahren und fast 300 getöteten Missionsteilnehmern ist nun Schluß mit der so genannten Stabilisierungsmission MINUSMA. Aber was hat diese Mission stabilisiert? Ist die Sahelzone sicherer geworden? Ganz im Gegenteil. Die von der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich angeführte Mission mußte von Jahr zu Jahr mehr Verluste hinnehmen und war mit immer mehr Widerständen in der Bevölkerung konfrontiert. In den letzten Jahren hat Frankreich nur noch verschiedene Einsätze ihrer europäischen Partner aus der Luft gesichert und abgeriegelte Sicherheitszonen überwacht.
Der wachsende Unmut in der Bevölkerung gegen die ausländischen Militärs – ob mit Blauhelm oder ohne – endete 2020/21 in der Machtübernahme des Militärs in Mali. In Bamako übernahm der 1983 geborene Colonel Assimi Goïta die Führung. Bei den westlichen Militärs in der Sahelzone und in den westlichen Medien war von Putsch und Militärjunta die Rede. Besonders Frankreich sah sich mit wachsenden Aggressionen und schwindendem Einfluß konfrontiert. So wurden in Mali vom neuen Präsidenten schnell Verträge gekündigt und besonders französische Staatsbürger mißtrauischer überwacht.
Die an MINUSMA beteiligten afrikanischen Soldaten wurden aufgefordert, ihre Arbeit zu beenden und in ihre Länder zurückzukehren. Frankreich kündigte dann relativ schnell an, Mali zu verlassen. Ihre deutschen Partner von der Bundeswehr waren davon genauso überrascht wie über den Truppenabzug der USA aus Afghanistan. Im Bundestag diskutierte man derweil noch über eine Verlängerung und um Aufstockung des Kontingents in Mali. Die Realität war aber eine ganz andere.
Nachdem die Franzosen Mitte 2022 ihr Camp im malischen Gao geräumt haben und mit anderen EU-Truppen (Italien, Dänemark, Spanien und Großbritannien) ihre Verbände ins benachbarte Niger verlegt haben, steht die Bundeswehr in Gao auf verlorenem Posten.
Einsätze und sonstige Feindfahrten wurden von den malischen Behörden untersagt. Die Versorgung der 1.300 Soldaten erfolgt nur noch in geregelten Korridoren, und ein Austausch der Soldaten (alle 3 bis 4 Monate) erfolgt nur noch mit gecharterten Privatmaschinen, weil es keine Überflugsrechte der malischen Regierung mehr gibt. Kurzum, der Einsatz der Bundeswehr in Mali ist quasi zum Erliegen gekommen und wird von Tag zu Tag teurer und gefährlicher.
Obwohl von der malischen Regierung unerwünscht, verlängerten die Uno und die Bundesregierung die Mission MINUSMA, um den internationalen Terrorismus zu bekämpfen. Aber was für ein Terrorismus ist das im weitläufigen Norden Malis?
Zu den aktiven Terrorgruppen gehören der Islamische Staat (IS) in der Großen Sahara und Jama’at Nusrat al-Islam wal-Muslim – die Dachorganisation, die sich 2017 nach dem Sahara-Zweig von al-Qaida im islamischen Maghreb, al-Murabitoun, Ansar, gebildet hat, sowie Ansar Dine und deren Ableger Macina-Befreiungsfront (MLF, franz: Force de libération du Macina). Seit 2011 versuchte MINUSMA unter der Führung der Franzosen vergeblich, diese Gruppierungen zu bekämpfen.
Nachdem Colonel Goïta die von Frankreich unterstützte Regierung aus dem Land getrieben hat und dafür vom malischen Volk und anderen westafrikanischen Staatsbürgern als Held gefeiert wird, gab es eine Richtungsänderung in der Bekämpfung der mutmaßlichen Terroristen. Mali holte sich, wie andere Regierungen auf der Welt auch, Unterstützung von einem privaten Militärdienstleister. Aber nicht aus dem unübersichtlichen Fundus der Amerikaner oder Franzosen. Nein, aus Rußland von der Wagner-Gruppe.
Victoria Nuland, Staatssekretärin für politische Angelegenheiten im US-Außenministerium, kritisiserte Ende November 2022 diesen Schritt heftig. „Die malische Junta hat Wagner angeheuert, und der Terrorismus hat sich deutlich verschlimmert“, erklärte sie und betonte, daß es „zahlreiche Berichte über Menschenrechtsverletzungen in der gesamten Region, in der die Wagner-Truppen tätig sind“ gebe.
Im Mali selbst aber wurde die Zusammenarbeit nicht nur als Erfolg gefeiert, sondern diese Allianz war auch erfolgreich. Nach fast zehnjährigem erfolglosem Einsatz der Franzosen („Barkhane“) mit 56 getöteten französischen und unzähligen einheimischen Soldaten, waren die Wagner Gruppe und ihren neuen Partnern in Mali sehr erfolgreich. Innerhalb von vier Monaten gab es keine nennenswerten Strukturen des mutmaßlichen internationalen Terrorismus mehr.
Aber gab es diesen immer als Vorwand der Anwesenheit der Franzosen benutzten Terrorismus wirklich? Nach Abzug der Franzosen und ihrer EU- Partner zeigte sich vielerorts ein anderer Grund: Verlassene Goldminen und unzählige zurückgelassene Ausrüstung und Fahrzeuge. Nach vorliegenden Aussagen von den Bewohnern Nord-Malis wurden große „militärische Schutzgebiete“ zum Abbau von Gold genutzt. Dagegen haben sich natürlich die Einheimischen gewehrt und Überfälle auf Bergarbeiterdörfer und französische Schutztruppen organisiert.
Die neue Regierung in Bamako unter Colonel Goïta ist nicht wie die Franzosen mit Gewalt gegen diese Banditen vorgegangen, sondern man hat das Gespräch mit den mutmaßlichen Terroristen gesucht. Es gab nur zwei Alternativen. Zusammenarbeit oder Konfrontation mit den neuen Machthabern und den russischen Partnern. Die meisten bewaffneten Banditen haben ihr Militärgerät niedergelegt und sich dem Militär um Colonel Goïta angeschlossen oder sind in die von den Franzosen verlassenen Goldminen gezogen, um zu arbeiten.Aus der Bevölkerung gab es großen Zuspruch für diese Taktik. Echte Kriminelle und Banditen sind im Niger untergetaucht. Seit dem Abzug der Franzosen ist größtenteils Ruhe in Mali eingekehrt. Deshalb muß sich Frankreich die Frage gefallen lassen, was sie dort eigentlich gemacht haben und wen oder was sie bekämpft haben. Internationale Terroristen waren es mit Sicherheit nicht.
Und was macht jetzt eigentlich die Bundeswehr noch dort? Nach unkoordinierten und unorganisierten Besuchen von Lambrecht und ihrer Staatssekretärin war klar, daß der Einsatz im Mai 2023 beendet wird. Nach Unstimmigkeiten zwischen Lambrecht und Außenministerin Annalena Baerbock einigte man sich auf einen Abzug bis Mai 2024. Aber was sollen die Soldaten die nächsten eineinhalb Jahre noch in Mali machen? Innerhalb der Truppe gibt es nur Kopfschütteln und Schulterzucken. Soldaten der Bundeswehr in Gao berichten von gespenstischen Zuständen, Ausgangssperren und Langeweile. Niemand fährt mehr Einsätze und niemand interessiert sich für die Bundeswehr. Vieleicht bis auf die Ortskräfte, die die Truppe mit einheimischen Schnitzereien und Zigaretten versorgen. Mehr aber auch nicht.
Noch hat die Bevölkerung nichts gegen die deutschen Gäste
Noch hat die Bevölkerung nichts gegen die deutschen Gäste, aber die Frage muß erlaubt sein, warum sie noch da sind? Von der deutschen Politik und einer grünen Außenministerin auf eine anderthalbjährigen Exit-Strategie gestuft, nur um eventuelle Wahlen 2024 abzuwarten? Lange wird sich die malische Regierung die Spielchen der bundesdeutschen Politiker nicht mehr ansehen.
Auch in anderen Ländern Westafrikas lösen sich Regierungen von Frankreichs Einfluß. So wurde auch die frankophile Regierung unter Roch Marc Kaboré in Januar 2022 in Burkina Faso gestürzt. Das Militär unter Leitung von Paul-Henri Sandaogo Damiba übernahm die Macht. Er wurde aber am 30. September 2022 von rivalisierenden Militärs unter Hauptmann Ibrahima Traoré gestürzt, die mit Rußland sympathisieren. Wieder gleichen sich die Stimmen und Bilder. Traoré wird in Burkina Faso genauso als Volksheld gefeiert wie zuvor sein Militärkollege Goïta in Mali. Und wieder wehen neben den Landesfahnen von Burkina Faso die russischen Farben.
Sowohl in Afghanistan als auch in Mali seien die westlichen Versuche, legitime und widerstandsfähige lokale hoheitliche Strukturen (Armee, Verwaltung, Regierung) aufzubauen, kläglich gescheitert, stellt Bakary Sambé, Leiter des Timbuktu-Instituts in Dakar, fest. In diesen Gebieten „verbergen die sehr schnell als militärischer Erfolg gewerteten Durchkämmungs- und Sicherungsoperationen oft den Keim künftiger, noch komplexerer Konflikte“, zieht der Senegalese über die MINUSMA-Mission als Fazit.
Foto: Die damalige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) spricht mit Soldaten im deutschen Camp Castor (Mali): Lobende Worte hier – Schulterzucken dort